Kolumnen_Miststück der Woche IV/11 - Leserwunsch #21

Marc Almond: "Jacky"

Die meisten Menschen haben dieses Lied sicher schon vergessen, denn selbst im Mutterland des gepflegten Pop landete es seinerzeit nur auf Platz 17. Daß es der Track einige Jahre vorher schon mal in die mittleren Chart-Ränge schaffte, wissen sicher noch weniger Leute. Aber unser Schlauberger Manfred Prescher bildet euch weiter - und schwimmt vermutlich, wie früher "Milky Way", sogar auf Milch.    26.01.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Auf die Größe kommt es manchmal eben doch nicht an. Marc Almond ist schließlich ein ziemlich kleiner Mann. In "What Makes A Man A Man" fragte er sich mal, worauf es wirklich ankommt. Die Antwort fand er jedenfalls nicht. Daß er unter seiner geringen Dienstgipfelhöhe gelitten hat, gab er im Interview mit mir zu Protokoll. Da geht es ihm wie praktisch jedem Menschlein, dessen Füße zu groß, Beine, Bauch, Po zu dick, Rüsselchen zu kurz, Lippen zu schmal, Haare zu dünn oder Nase zu lang sind. Daß all diese scheinbaren Mankos auch was mit der Rezeption durch andere Menschen zu tun haben und die freilich auch nicht das Meinungsmaß aller Dinge mit sich rumschleppen, wußte Almond natürlich auch; aber er lernte, das Defizit wirkungsvoll zu kaschieren, und glich die scheinbar eher Popstar-ungeeigneten äußeren Merkmale durch große Gesten, wunderbar-warmen Kitschgesang oder auch pfauenhafte Maskeraden aus. Das machte er schon bei Soft Cell so - und das tut er, freilich erfolgloser, auch heute noch.

Ob mit seinem Partner David Ball oder mit seinen Mambas, ob als Solist oder im Duett zum Beispiel mit Gene Pitney - stets schärfte Marc sein Dramolett und hieb uns damit den Weg zu großen, freilich artifiziellen Gefühlswelten frei. Wie das in einem Moebius-Comic Usus ist, setzte er dabei auf feinste Details. "In My Room", "Bedsitter", "Mother Fist", ah, ah, ah, wie herrlich. Moment, ich schweife mal eben rüber in meine Plattensammlung, die tatsächlich endlich - und erstmals seit Jahren - wieder das Licht der Oberfläche erblickt, auf daß sie erhört werde, und hole mir ein paar Almond-LPs als Appetitanreger. Er ist für mich der siebte Zwerg des Pop, die anderen sechs sind bekannt. Die löffeln gerade aus, was ihnen Lana del Rey, Katy Perry und Taylor Swift bei ihren Prinzessinnenbesuchen übrig gelassen haben. Die genannten Künstler krallten sich alle Zutaten, die man für guten Pop braucht, ließen aber - wie es aussieht - nur den Schnaps übrig. Damit Almond, wie vorher schon "Jackie" Brel, sich die Welt irgendwie stimmig und schön trinken kann. Das hat aber, nicht mal durch den Glasboden einer leeren Wodkaflasche betrachtet, schon damals nicht geklappt.

 

Cover-Versionen gehörten beim mittlerweile 57 Jahre jungen Zwerggranden aus Southport auch seit jeher zum guten Ton. Das fing mit "Tainted Love", einem wirklich schwungvollen Remake des eher unbedeutenden Soul-Songs von Gloria Jones, an und ging über "Something´s Gotten Hold On My Heart" bis zur ebenfalls von Pitney bekannt gewordenen Minioper "Backstage (I´m Lonely)" und zu "Kitsch" von Barry "Eloise" Ryan. Besonders wichtig sind Almond die Lieder von Jacques Brel. Übrigens steht auch Meister Bowie auf den belgischen Tragöden unter den Songwritern. Almond widmete ihm 1989 gleich ein ganzes, durch und durch mollig-trauriges Album namens "Jacques". Zwei Jahre später nahm er dann ein weiteres Stück Brel auf: "Jacky", die erste Single aus dem weithin unterschätzten Werk "Tenement Symphony". Ja, ich sage unterschätzt, weil man Almond als Solist fast immer nur mit dem Riesen-Hit in Verbindung bringt, den er - siehe oben - im Verein mit Pitney hatte. Das ist schändlich, da dieses Lied garantiert nicht zu den Highlights gehört, weder von Almond noch überhaupt. Es zeigt nur, wie ätzöde die 80er Jahre sein konnten.

 

Am Anfang pfeift das Schwein ... Aber nein, es ist nur ein Synthie, der da ziemlich quetscht. Dann kommt der Eurodisco-Rhythmus dazu und verbindet sich mit einer ziemlich Sixties-mäßigen Melodie zu einem tanzbar-flotten, irgendwie vertraut klingenden Track. Ja, man meint zum Beispiel "The Days Of Pearly Spencer" rauszuhören - aber das hat Almond auf "Tenement Symphony" doch ebenfalls gecovert, mag der geneigte Kenner der Marcterie einwenden. Stimmt. "Jacky" klingt trotzdem irgendwie nach diesem Stück, oder nach "The Sun Ain´t Gonna Shine Anymore" oder "In My Room" (genau, das hat Almond auch gecovert) von den Walker Brothers. Oder oder. Das paßt auch. Scott Walker schaffte es nämlich mit seiner ersten Solosingle, der ähnlich bombastischen, aber doch bei weitem nicht so tanzbaren Version von "Jacky" bzw. "Jackie" 1967 immerhin bis auf Platz 22 der britischen Hitliste. Walker und Almond sind halt Brüder im schwelgerischen Geiste ...

Almonds Aufnahme von "Jacky" war bei Veröffentlichung irgendwie altmodisch. Heute würde das Lied aber glatt als moderner Gassenhauer durchgehen. Es spricht also nichts gegen eine Neuauflage. Wahre Größe entdeckt man bzw. frau halt auch erst nicht gleich beim ersten Zeitzeichen. Nur würde frau sich heute eher über den Text wundern bzw. ärgern, den sie seinerzeit vielleicht geflissentlich überhört hat. Wenn dieser Jackie, dieser "Brellkopf", wie der Franke sagen würde, nämlich nicht so ein Weichei wäre, dann, ja dann ... dann würde er überall und in jedem bzw. jeder seine Finger drinhaben. Würde Bordelle gründen, Frauen und Männer kaufen, Banken übernehmen und die Welt mit Hedgefonds übersäen, würde jedes Land der Welt mit Gewaltherrschaft überziehen. Und dabei alle Brücken zur Menschlichkeit endgültig sprengen. Genauso, wie es viele rücksichts- und rückgratlose Arschgesichter auch tatsächlich tun. In "Jackie" steckt der ganze Haß, den Jacques Brel auf diese Welt hatte und der ihn letztlich vorzeitig das Leben kostete. In diesem Seitenarm der Galaxis schien es ihm einfach nicht lebenswert zu sein. Das kann man gut verstehen, man schaue sich nur den Irrsinn der Perfida-Männlein und auch -Weiblein an. Das Gute ist aber, und da genügt ein Blick auf deren Obersturmbannführerin, daß die tatsächlich sehr schnell altern. Mögen sie in Unfrieden auf dem Schuttabladeplatz der Geschichte ruhen.

 

 

Dieser Jackie singt von sich selbst, und er beschreibt dabei einen Zustand, der in den Sechzigern mit ihren Greueltaten in Algerien oder Vietnam, mit ihrer pervers-spießigen Engstirnigkeit all over there einfach unfaßbar grausam war - und es heute immer noch ist. Darf man, um mit Adorno und Gernhardt zu fragen, nach all dem, was mindestens von Kaiserszeiten an bis jetzt passiert ist, noch dichten? Und das gleich auch noch so zynisch? Oder muß man das sogar, weil einem irgendwann jeder Funken Hoffnung ausgetreten wurde wie eine Zigarette, der das Nikotin ausgehaucht wurde?

Jackie hat am Ende jedenfalls eine andere Lösung parat, eine, die mit gleichem Größenwahn in den Himmel führt. Dort würde er den Engerln vorsingen und den Teufel bekehren - oder umgekehrt. Er wäre nicht irgendein Gutmensch, der zur Rechten von Gottvaterson, dem alten Schwedenrätsel, sitzen dürfte. Nein, Jackie wäre der weiseste unter den Weisen, das friedfertigste unter den Lämmlein. Und so weiter. Man muß sich schon in den Werken von Brel und Almond auskennen, um zu wissen, daß beide Künstler verbittert an der Welt scheitern und eben nicht einen IS, einen Idiotenstaat, gründen wollen. Den gibt´s nämlich schon.

Nächste Woche gibt es hier allerdings einen wirklich alten Wunsch-Song - der stammt nämlich aus dem Barock. Nicht aus dem, in dem sich Marc Almond für gewöhnlich aufhält, sondern aus dem gleichnamigen Erdzeitalter: "Kommt, ihr angefochtnen Sünder" heißt der Track und stammt von John Sebastian Bach. Und irgendwie fügt es sich, daß dieses Stück doch auf den "sex dwarf" Marc Almond ganz gut paßt. Vermutlich könnte er sein großes Herz dafür mindestens so erwärmen wie für "Le Chanson de Jacky" aus dem dann kurz und groovend "Jacky" wurde.

 

 

PS: Wer Zeit und Lust hat, nehme seinen Liebespartner oder seine Liebespartnerin und höre Almonds LP "Mother Fist", die wird einem im Netz nachgeworfen. Oder suche die beiden selteneren Werke von Marc & The Mambas. Die gebt ihr euch dann gegenseitig und abwechselnd mit der zweiten und dritten LP von Cultured Pearls - genau, "Space Age Honeymoon" und "Liquefied Days" - auf die Ohren. Tut dies, und wir lesen uns nächste Woche wieder, in old freshness, wie ein Bekannter an ähnlichen Stellen immer betont.

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Marc Almond: "Jacky"

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Enthalten auf der gleichnamigen Single-CD (Wea)

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