Kolumnen_Linientreu #13
Was vom Sommer übrigblieb
Die Gesichter werden länger, die Busse voller, die deutschen Erstsemester zahlreicher - der Sommer ist vorbei. Zeit für eine Rückschau, Zeit für eine unterirdische Zusammenfassung. Was hat uns der Sommer 2013 gebracht? 09.09.2013
Straßenbahn, U-Bahn, Autobus - die öffentlichen Verkehrsmittel (im Wiener Werbefirmen-Dialekt "Öffis" genannt) sind social ohne network, die dringend nötige Pause zwischen Streß im Job und Streß zu Hause, der bekanntlich viel interessantere Weg zum ohnehin immer gleichen Ziel. Nirgendwo sonst liegen Freud und Neid, Tanzschule und unterste Schublade, Hoffnung und Verspätung so eng nebeneinander. Und die Wahrheit lauert stets irgendwo im Spalt zwischen U-Bahntür und Bahnsteig. Vorsicht beim Einsteigen!
Hitze. Flucht ins Tunnelsystem. Wind, die U-Bahn fährt ein, bauscht Sommerkleider auf, trocknet schweißnasse Oberschenkel. Kurze Erleichterung, Vorfreude auf die Klimaanlage. Aber man sieht es schon an den Gesichtern, die aus der U-Bahn tropfen: drinnen lauert der Grill. Hitze, unentrinnbar. Die U-6, linkslastig in die eine Richtung, rechtslastig in die andere. Menschen im Schatten vereint, die Sonnenbänke bleiben leer. Die Ballungszentren verlagern sich je nach Kurve. Zeitungsfächer sind der Renner der Saison. Die Fenster sind dicht. Stehen ist genauso schlimm wie sitzen. Alles klebt. Ein Baby schreit. Alles stöhnt. Die Haltegriffe schwitzen Plastik. Keiner spricht, brütende Aggression, aber wer ist schuld? Hitze, stumm. Weniger kann ich mir nicht mehr anziehen.
Die anderen schon. Beine, soweit das Auge reicht. Bis zum Horizont, bis zum Hals oder doch nur bis zur Hüfte: braun und lang, dick und kurz, O-förmig, X-haxig, mit Dellen und ohne, behaart, rasiert, mit Wadenimplantat - Beine. Und Venen mit Bitte um Aderlaß.
Beine in Ballerinas, in Flip-Flops, in Sandalen mit Socken. In Miniröcken mit kurzem, unverschämtem Blick auf Tangas. In Shorts mit freier Sicht auf die Gebärmutter. In Radlerhosen mit Pavianhintern. Und, ganz arm, bemitleidenswert: Beine im Anzug. Hitze, beinfrei.
Vorteil: Keiner ißt warm. Kauen begünstigt Schweißperlen. Stanniol ist der Feind. Jede Bewegung kostet Wasser. Eis ist trügerisch, verrinnt zwischen den Fingern wie Geld, bleibt am T-Shirt haften wie Pech. Flecken statt Kälte. Des Körpers Gegenargument: noch mehr Hitze produzieren. Sinnloses Eis. Stanitzel unter den Schuhen zu Staub zertreten. Ein reißendes Geräusch, wenn sich der Pick nur widerwillig von den Sandalen löst. Abgebrochene Absätze, verloren in Vanilleresten. Hitze, gerecht verteilt. Gedanklich gehe ich baden. Mein Kopf in Eiswasser, eine ganze Regentonne voll. Mir gegenüber sitzt einer, der trinkt ein Bier. Idiot.
Was vom Sommer übrigbleibt: Hitze, Beine, Eisreste. Und Touristen, zum Stillstand verdammt. Unzufriedenheit über verdorrte Wiesen. Jetzt ist der Sommer vorbei und wird betrauert. Der beste Sommer, den wir je hatten. Kaiserwetter. Die paar Gelsen. Die paar Wespen. Ein paar kollabieren immer. Urlaubsfetzen, Hysterie am Handy. Marbella? Ursuper. Istrien? Geil. Wien? Hitze, nostalgisch.
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