Kolumnen_Linientreu #5
Frauenpower alter Schule
Der Kampf der Kulturen wird dort besonders deutlich, wo die Menschen nicht mehr fliehen können. Normalerweise kann man sich ja ins eigene Grätzel zurückziehen, in getrennte Restaurants oder Supermärkte, in teure Privatkliniken und Privatschulen. In den öffentlichen Verkehrmitteln prallt man aber zwangsläufig aufeinander - kleine bis mittelschwere Scharmützel inklusive. Nina Munk erlebte Integrationspolitik live. 18.03.2013
Straßenbahn, U-Bahn, Autobus - die öffentlichen Verkehrsmittel (im Wiener Werbefirmen-Dialekt "Öffis" genannt) sind social ohne network, die dringend nötige Pause zwischen Streß im Job und Streß zu Hause, der bekanntlich viel interessantere Weg zum ohnehin immer gleichen Ziel. Nirgendwo sonst liegen Freud und Neid, Tanzschule und unterste Schublade, Hoffnung und Verspätung so eng nebeneinander. Und die Wahrheit lauert stets irgendwo im Spalt zwischen U-Bahntür und Bahnsteig. Vorsicht beim Einsteigen!
Es ist einer jener Sommertage, an denen die Hitze noch mehr Hitze ausbrütet, um dann mit dem Nachwuchs gemeinsam flirrend über den Beton zu ziehen. Jeder Schritt ist zuviel, vor allem die zwei Schritte in den Bus, von dem man sich Abkühlung verspricht und immer enttäuscht wird. Keine Klimaanlage der Welt kommt gegen diese Temperatur an, schon gar nicht, wenn alle zehn Meter die Türen aufgehen.
Ich fließe also in den Bus und versuche meine kochenden Eingeweide auf einen Sitz zu montieren, während ich die Klimaerwärmung im allgemeinen verfluche und speziell die in den Öffis. Zehn Meter weiter springt erneut die Tür auf und läßt den Wüstenstaub ungehindert ins Wageninnere. Er spuckt eine alte Frau aus, die sich nur quälend langsam aus der rotglühenden Lava schält, um sich dort zu plazieren, wo alte Frauen immer sitzen: gleich neben der Tür.
Mittlerweile hat sich die Temperatur im Bus um gefühlte zehn Grad erhöht, und die Fenster lassen sich nur mit dem Nothammer öffnen - klar, die Klimaanlage wäre ja nutzlos, wenn einfach jeder einfach so einfach ein Fenster aufmachen könnte.
Gerade spiele ich mit dem Gedanken, doch den Nothammer zu benutzen, und höre in Gedanken die unweigerliche Antwort: "ES ZIEHT!", als sich zehn Meter weiter die Tür erneut öffnet. Die brennende Luft gibt diesmal eine völlig verhüllte Frau frei, selbst die Augen sind mit einem Gitter verhängt, vielleicht, um keinen Sand ins Getriebe zu bekommen. Sie trägt schwarz, also besonders hitzeabweisend, und setzt sich neben die alte Frau - ein Fehler.
Denn die schnaubt. Und stöhnt. Und schnaubt. Und schaut. Und schnaubt. Und schüttelt den Kopf. Gleich kommt was, das wissen alle, aber noch haben wir die Hoffnung, daß sie es einfach bleiben läßt. Daß sie ihren Unmut nur an ihrer Gestik erkennen läßt und nicht in Worten ausdrückt.
Aber schon geht es los: "Ist Ihnen nicht heiß, hä?" Keine Reaktion, und ob Blicke in diesem Fall töten können, ist ungewiß. "Sie. Hä? Ist Ihnen nicht heiß, Sie?" Wahrscheinlich. Aber vielleicht steckt unter der Meterware ein eigenes Belüftungssystem, das kann man nicht ausschließen. Jedenfalls wird die Frage auch diesmal ignoriert.
"Na, Sie tun mir echt leid, so verhüllt. Es muß Ihnen doch heißen sein, hä? Sie." Und weil Schweigen in diesem Fall alles Gold eines arabischen Souq wert ist, kommt auch jetzt keine Reaktion. Dafür ein weiteres Schnauben. Und ein Schnaufen. Und ein Blasen, das verklebte Haarsträhnen aus dem Gesicht befördert. "Heiß is heute. Sie. Des ist echt a Wahnsinn, was die mit euch machen." Der Rest der unfreiwilligen Hörerschaft zuckt zusammen. Irgendwer zieht scharf die Luft ein und hustet sie gleich wieder raus, weil er sich die Zunge verbrannt hat. Und natürlich, aus den Tiefen des Schleiers ertönt die frostige Antwort: "Das ist Gott."
Mehr hat sie nicht gebraucht, denn darauf wurde schon gewartet: "Sie, Gott? Des ist nicht Gott, des sind die Männer! Die Unsrigen starren´s an, aber euch tun´s verhüllen, des kann doch keinem Gott gefallen. Sie!" Spricht´s und verstummt.
Fazit: Religionsfreiheit hin oder her, gegen den Rededrang aus der alten Schule kommt sie nicht an. In diesem Fall hat aber die dritte Macht im Staat entschieden: das Wetter. Für weitere Diskussionen war es beiden Damen einfach zu heiß.
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