Kolumnen_Miststück der Woche IV/10 - Leserwunsch #20

Led Zeppelin: "Babe I´m Gonna Leave You"

Dieses Lied haben sich gleich zwei Leser gewünscht. Ob sie gerade auf dem Sprung aus einer Beziehung oder gar aus dem Fenster sind, weiß Manfred Prescher natürlich nicht. Aber als harmoniesüchtiger Zeitgenosse wünscht er sich natürlich, daß die Herrschaften nur auf den Song an sich stehen.    19.01.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Led Zeppelin transferierten den Blues in den Hardrock und fügten so tatsächlich zusammen, was zusammengehört. Das virile Machotum, das Bo Diddley, Muddy Waters oder auch der Songschreiber Willie Dixon unters Volk streuten, während sie gleichzeitig den Blues mit Hilfe der elektrischen Oberleitung so modernisierten, daß Rock draus werden konnte, nahmen Plant, Page, Jones und Bonham dabei gleich mit auf ihren persönlichen "Stairway To Heaven". Sie gaben uns "every inch of their love" - und das so, daß sogar die eine oder andere Feministin höchst angetan war. Gut, bei der Veröffentlichung von "Whole Lotta Love" schrieben wir 1969, und die Sexualität trachtete danach, befreit zu werden. Nicht so gut ist, daß diese Befreiung in einer Kapitalisierung des ganzen intimen Geplänkels gipfelte, die hauptsächlich zu Lasten der Frauen ging. Demgegenüber wirken Zeilen wie "every inch of my love" heute ziemlich brav und liebevoll, sodaß sie sich Gender-Diskussionen entziehen. Sexisten waren Led Sepp natürlich trotzdem.

Aber nicht nur das - sie waren auch musikalisch versiert und interessiert. Sie hatten nicht nur ein ausgesprochenes Faible für den Chicago Blues, sondern in ebenso hohem Maße auch für Folk. Sänger Robert Plant war und ist beispielsweise ein ziemlicher Fan von Joan Baez. Und mit der verhält es sich in etwa so wie mit Robert "Bob Dylan" Zimmermann: Man hält sie entweder für eine Nebelkrähe von Format oder für eine große Künstlerin. Eine der Lieblingsplatten von Plant ist der wirklich sehr famose Konzertmitschnitt " Joan Baez in Concert, Part 1" von 1962. Auf dieser Bladde befindet sich "Babe I´m Gonna Leave You", und zwar durchaus ähnlich interpretiert, wie es - elektrisch verstärkt - die britischen Bluesrocker sieben Jahre später auch aufnahmen. Übrigens existieren auch andere sehr gelungene Varianten dieses zeitlosen Schlußmachstücks, unter anderem von The Association - bekannt durch "Along Comes Mary" -, Mark Wynter oder den Hippies vom Quicksilver Messenger Service. Weil aber auf Joan Baez´ Scheibe als Autor "Traditional" steht, dürften wohl nicht mal die Herren im Zeppelin gewußt haben, von wem das Original tatsächlich stammt. Geschrieben hat es die Folksängerin Anne Johannsen irgendwann in den 1950er Jahren. Da hieß sie noch Anne Bredon. Aber halt: Der Name steht ja tatsächlich als Credit auf dem Albumcover der LP "Led Zeppelin". Sie - oder ihre Anwälte - wußten es also doch.

 

 

Was lernen wir daraus? Wahrscheinlich wieder mal nicht allzuviel. Aber etwas könnte doch in den Oberschlundganglien hängen bleiben: Schlußmachen ist - zumindest unter aufgeklärten Menschen - ein Thema, das jeden betrifft. In diesem speziellen Fall des 1969 als Single ziemlich untergegangenen Songs geht es um einen Typen, der die Frau scheinbar wirklich liebt. "Es fühlt sich gut an, dich zurückzuhaben" oder "Ich will dich nicht verlassen" singt der waidwunde Herr Plant. Aber er muß weg, er ist ein Vagabund, ein Streuner, einer, der keine Nähe zulassen kann. Sie machte ihn, heißt es lapidar, zwar an jedem einzelnen Tag glücklich, doch wenn der Sommer kommt, müsse er unweigerlich fort. Da kann frau sich schweren Herzens und doch leicht ziemlich ausgenutzt vorkommen. Wenn es draußen kalt ist und innen die Flammen im Ofen, Herz und in irgendwelchen Chakren lodern, dann bleibt man. Aber wenn es in der Natur allüberall warm genug ist, um unter der Brücke zu schlafen oder irgendwo zu lustwandeln, dann war es das mit der Zweisamkeit.

Natürlich ist das Thema von "Babe I´m Gonna Leave You" bekannt: Der Tramp, der Hobo, der einsame Wanderer findet sich in unzähligen Blues- und Hillbilly-Songs. Wahrscheinlich sind solche Lieder schon geschrieben worden, als Jesus selbst der trauten Beziehungstümelei entfloh und sich lieber zum See Genezareth aufmachte, um dort ein Gelage anzuzetteln. Daß (und damit komme ich wieder auf Joan Baez und Anne Johannsen zurück) Frauen solche Texte schreiben, war indes lange nicht selbstverständlich. Ausnahmen wie "I Never Will Marry" von der Carter Family gab es freilich auch früher schon.

 

 

Wo ich schon beim Geben bin, das bekanntlich seliger als Nehmen ist: In der nächste Woche wird es wieder eine Kolumne geben, und wieder wird darin ein Leserwunsch erfüllt werden. Ich schreibe dann über einen Song aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, über "Jacky" von Marc Almond. Die Maxisingle wurde zwar , unter anderem von meinereinem, in Clubs häufiger eingesetzt, ein Hit war der Song aber dennoch nicht. Als Almond-Fan freue ich mich sehr, darüber schreiben zu dürfen. Bis wir uns wiederlesen, wünsche ich euch, daß ihr nicht weglauft, bei der Stange bleibt und wenigstens wartet, bis der Sommer kommt. Sonst könntet ihr euch leicht was abfrieren. Getreu dem Motto "Hast du Frostbeulen du am Bauch, friert es dich woanders auch." In diesem Sinne ...

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Led Zeppelin: "Babe I´m Gonna Leave You"

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Enthalten auf der CD "Led Zeppelin" (Atlantic/Warner)

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