Manfred Prescher - Es war nicht alles schlecht: Best of Miststück
Kolumnen 2005 bis 2020
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey. 07.10.2020
Das Telefon klingelt, das muß mein Bruder sein. Wer sonst hat meine Festnetznummer? Er behauptete neulich Bill Gates und der kleine rote Drachen, der so gerne Feuerwehrmann werden wollte und nun die Erde übernimmt, habe sie auf jeden Fall. Gut und schön, aber was wollen die damit? Und warum sollte mich das interessieren? Bis jetzt jedenfalls hat noch keiner von denen bei mir angerufen. Mein Bruder hingegen schon.
Seit er eines der Bücher von diesem Koch-Typen aus Berlin in der Mache hatte, sind nicht nur seine Rindsrouladen vegan, was noch anginge. Er plant mittlerweile eine Ausbildung zu einer Art ganzheitlichem Wünschelrutenmasseur. "Diese toxische Müll, dem wir permanent ausgesetzt werden, muß einfach raus", sagt er immer wieder – und verweist dann stets darauf, daß dieses Gift auf normalem Harnweg gar nicht mehr ausgeschieden werden kann. Deshalb bildet er sich weiter und verließ fluchtartig seinen Job als Kolbendreher bei einem namhaften Automobilbauer im Oberbayerischen. Sprich: Er ist jetzt arbeitslos und kann mich zu praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit aus dem Schlaf reißen, von der Arbeit abhalten oder das Schlürfen eines gediegenen Espresso unterbinden. Weil mir nämlich immer der Mund offenbleibt, wie bei einem Kind angesichts des üppig mit den Geschenken ausgeschmückten weihnachtlichen Wohnzimmers. Ich denke während solcher einseitigen Gespräche wenig, weil mir gar kein Raum dazu bleibt. Es sind allerhöchstens Fetzen wie "muß ich mir das jetzt antun?" oder "geh zur Hölle", was ich ihm gegenüber dann manchmal in der abgewandelten Version, als "such dir doch um Himmels Willen einen Job", hervorbringe. Er ignoriert so etwas aber stets, also lasse ich es meist.
Es klingelt immer noch – und das in einer Penetranz, die mich schier an überirdisch-böse Mächte glauben lassen könnte. Aber wer braucht die schon, wo es doch hier unten Godzilla und meinen Bruder gibt? Eben. Es hilft allerdings nichts, denn beide Optionen, die mir bleiben, um das nervige Geklingel zu unterbinden, sind doof: Da es noch doofer ist, das Kabel aus dem Verputz zu reißen und den ganzen Kladderadatsch an die Wand zu pfeffern, entscheide ich mich für den Druck auf den grünen Button und nehme entgegen, was da unweigerlich kommen wird.
Wie immer meldet sich mein Bruder mit "Moinsen" – und daß, obwohl wir keine "Fischköppe" sind und er in seinem Leben freiwillig noch nie weiter nördlich als bis Aschaffenburg gefahren ist, weil, so sagt er, "je weiter nördlich, desto mehr zieht es sich". Mit dem "Ziehen" meint er die Landschaft oder die Entfernung zur heimatlichen Scholle. Dort, wo er am liebsten sitzt und über Wünschelrutenmassagen am lebenden Objekt sinniert, dort will er bleiben. Sein fränkisches Dorf ist ihm genug, von dort will er uns – und zunächst mir – ein Quantum Trost spenden. Hatte ich danach verlangt? Nein, hatte ich nicht.
"Was gibt’s", frage ich und bereue diese beiden Worte sofort. Ich hätte auch "Schieß los" sagen können, aber aktuell bin ich mal wieder der, den man in Kürze von einer Bluttat abhalten wird müssen. "Selig sind die Friedfertigen" heißt es bei Monty Python und bei der Gewaltfreien Kommunikation nach Marianne Rosenberg. Er legt los:
"Ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll ..."
"Dann lass es halt bleiben, ich muß eh gleich weg. Mein Wirtschaftsberater wartet."
"Hör zu ... Deine Ex ist von Alien entführt worden."
"Das glaube ich jetzt nicht. Die Sache war viel simpler. Sie hatte einfach nur die Schnauze voll von mir"
Ich will auflegen, aber das würde nichts bringen. Mein Bruder würde noch mal anrufen,notfalls würde er versuchen, mich über das Hand zu erreichen, obwohl er Steve Jobs und seine Nachfahren für genauso böse und hält wie Bill Gates. Er würde sogar via Outlook Mails an mich schreiben, wenn ich auf moderne Kommunikationssignale nicht reagiere. Also bleibe ich dran. Oder besser, ich lege das Telefon zur Seite und bitte Alexa im Flüsterton Lana Del Reys neuen Song "Chemtrails Over The Country Club" zu spielen. Der passt als Untermalung. Dann zapfe ich mir einen neuen Espresso, weil der letzte mittlerweile kalt geworden ist. Ich trinke ihn gleich an der Maschine und kippe den alten Kaffee in Stauden, die auf dem Sims stehen. Dann nehme ich das schnurlose Plastikteil wieder auf und gehe mittenrein in die Sendung:
"... kannst es wirklich glauben. Die Zeichen sind deutlich zu sehen gewesen. Seit wann vermisst Du sie?"
"Das kann ich nicht sagen. Seit einem halben Jahr vielleicht?"
"Ich meinte nicht, seit wann Ihr Euch entfremdet habt. Wann hast Du gemerkt, daß sie weg war?"
"Na, das war letzte Woche am Sonntag. Es hätte auch ein Montag oder Mittwoch sein können, das ändert doch nichts."
"Tut es wohl. Du weißt doch bestimmt noch, was an jenem Sonntag noch war?"
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, vermutlich hatte der FC Bayern wieder mal gewonnen, vermutlich wurde Bernd Höcke wieder vor dem Reichstag gesehen und vermutlich fiel in der Nähe der chinesischen Kleinstadt Taiming ein mittelgroßer Sack Reis auf ein Klappfahrrad. Ich seufze und bitte Alexa, das Lied von Lana zu wiederholen. Ich kriege aber wieder nicht mit, wie sie von den pentagrammförmigen Kondenssreifen singt. Mein Bruder behauptete übrigens vor Zeugen, die seien aus einer gefährlichen Mischung aus Aluminium- und Bariumgasen. Ich muß bei Gelegenheit mal das Bundesumweltamt und Peter Hiess fragen. Die haben von so etwas mehr Ahnung als ich. Aber im Moment komme ich nicht dazu. Denn mein Bruder ist in seinem fünften Element:
"Natürlich weißt du nicht, was am vorletzten Sonntag los war, du gehst sowieso immer achtlos durch die Welt. Hör zu…" – immer dieses auffordernde "Hör zu" – "wir hatten diese Streifen am Himmel, sternförmig und so riesig, daß das Blau kaum noch zu sehen war"
"Na und? Das ist mir doch egal" – und das ist es tatsächlich, erst recht waren mir solche Erscheinungen in dem Moment piepswurscht als ich merkte, daß die beste Liebespartnerin von allen weg war.
"Dann hast Du sicher nicht mitbekommen, daß sich gleichzeitig Merkel und Kurz getroffen haben ..."
"Nein, und es interessiert mich ebenfalls nicht wirklich"
"Sollte es Dich aber. Merkel machte wieder ihre Raute und der Kurze hatte wieder den unteren Knopf am Sakko offen"
"Und? Der kann doch mit seinem Kommunionsjanker machen was er will"
"Sag mal, bist Du doof, oder was? Damit signalisieren sie doch den Aliens, daß alles für sie bereit ist"
Mir entfährt ein "echt jetzt?" – und ich ärgere mich, daß ich meinem Bruder von den Nachrichten meiner Ex erzählt habe. Der schlachtet kryptische Sachen immer wieder für seine Krytischen Zwecke aus.
Ich drücke das Telefon an meine Brust und sage "Alexa spiele "Fly Me To The Moon" von Sinatra oder nein, öffne meine "Space"-Playlist und starte mit "There’s A Moon In The Sky It Called The Moon". Danach geht es nämlich direkt mit Louis Prima und seinem "Beep! Beep!" und mit "Moon Over Bourbon Street" weiter. Eine sehr schöne, krude Mischung. Passt, wackelt und hat Luft.
"Hörst Du mir eigentlich zu? Du sollst nicht mit dieser Überwachungsdrohne von Amazon rumhantieren. Oder bist Du lebensmüde?"
"Soweit ist es noch nicht"
"Dann hör gefälligst zu! Ich habe mit eigenen Augen eine Armada von fliegenden Untertassen gesehen. Die kamen aus Richtung Südosten und – mit Verlaub – sie waren im Landeanflug"
"Und du hast natürlich genau berechnet oder aus dem Teesieb gelesen, wo sie gelandet sind…"
"Natürlich! Ich bin mir sicher, daß sie auf der Wiese hinter eurem Haus ..."
"Ok, ich schau mal raus, Halme begutachten. See you later, alligator, mach’s gut, alter Reptiloid!"
Bevor er losschimpfen kann, lege ich auf und während ich das Telefon in die Ladeschale stopfe, verwünsche meinen Bruder auf den "Moon Over Bourbon Street" oder nach Corona Dignidad. Hauptsache weit weg von mir und von seiner Freisprecheinrichtung. Irgendwie hatte mein Bruder aber recht. Es warenan jenem Sonntag tatsächlich Außerirdische am Werk. Aber: Entführt wurde meine Ex nicht. Die ist schon freiwillig und vermutlich ganz ohne das Zutun von Merkel und Kurz geflüchtet. Obwohl, wer weiß? Ich stehe auf und schaue nach dem Rechten. Auf der Wiese ist alles wie immer. Ein paar Sommerblumen stehen faul in der Sonne herum, ein paar Kühe grasen und muhen dabei im hiesigen Rindviecher-Dialekt. Hummeln hummeln und brummeln. Die zwei Löcher, die sich im Abstand von einem Meter, fallen mir nur auf, weil ich mich herunterbeuge, um meinen Schuh zu binden. "Wer um alles in der Welt stellt eine Leiter aufs Gras?" Die Antwort kenne ich. Godzilla war es nicht. Ich blicke in den Himmel. Wieder keine Chemtrails über unserem Country Club. Gottseidank.
Der Tag ist komplett im Eimer. Deshalb setze ich mich raus auf die Hollywoodschaukel und halte Maulaffen feil. Irgendwann gehe ich zu Bett. Als ich endlich eingeschlafen bin, träume ich von einer schönen, blonden Seelenklempnerin. Die Sache mit der Ex ist schließlich so schräg, daß mein Bruder in seinem Glauben bestärkt wird und auf die noch schiefere Bahn abdriften könnte. Irgendwie ist alles seltsam, irgendwas stimmt ganz und gar nicht, träume ich. Und die Psychologin muß unbedingt herausfinden, was nicht stimmt. Aber als sie anfängt, mich mit der Wünschelrute zu massieren, wache ich auf.
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