Kylie Minogue - X
(Photos © Ken McKay)
EMI (Australien 2007)
Das "Showgirl" ist wieder zurück und verwandelt die CD-Player dieser Welt in mondäne Las-Vegas-Lasterhöhlen. Alles ist bunt und schillernd, aber leider falsch - sagt Manfred Prescher. 03.12.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Discoqueen und Revue-Star, Melbourne und Las Vegas, Popcorn und Popo - wenn ich an Kylie denke, denke ich immer in dialektischen Grundmustern. Manchmal kommen mir auch Funny van Dannen und sein Lied "Billige Räusche" in den Sinn. Dort heißt es "Ein Engel übergibt dem Teufel einen großen Plan/Der setzt die Brille auf und schaut ihn eine Ewigkeit an/Und dann zischt er, nachdem er das Gesicht verzog/Das ist kein Plan, das ist ein Poster von Kylie Minogue." Gleichzeitig denke ich aber daran, wie sexy die Australierin als Nick Caves Reichswasserleiche aussah. Und während ich mich noch an das Video zu "Where The Wild Roses Grow" erinnere, mäandert mir Otto Waalkes durch den Hirnkanal: Der "ostfriesische Götterbote" hatte vor Jahrzehnten - und mit Robert Gernhardts Hilfe - die vor allem für die Achelhöhlenforschung gedachte Seife "Keili" angepriesen. So wird aus Dialektik in Darmwindeseile eine echte Trialektik.
Aber auch, wenn ich nicht gerade auf dem Namen "Kylie" herumkalauere, schlagen mindestens "2 Hearts" in meiner Brust, wenn ich an die Pop-Königin aus Känguruhland denke. Weil es mir bei einer direkten Konkurrentin der Sängerin ebenso geht, nenne ich diese Ambivalenz, Ambiguität oder Ambirgendwas das "Madonna-Syndrom mit Netzstrümpfen und doppeltem Boden".
Hinter dieser pseudowissenschaftlichen Begrifflichkeit verbirgt sich etwas, das in der Tat leicht zu einem Krankheitsbild, etwa einem Pilzbesatz der Hörorgane, werden kann: Zum einen ist mir völlig klar, daß Kylie Minogue ein Kunstprodukt ist, das von Marketing-Strategen lanciert und mit Talent und der ihr eigenen Chuzpe weiterentwickelt wurde. Deshalb ist es klar, daß ihre Songs und die dazugehörige Videooptik im wesentlichen aus naturidentischen Pop-Ersatzstoffen bestehen. Insofern sind sie natürlich konsequente Weiterentwicklungen der bewährten Hit-Grundlagen; schon zu Zeiten von Pat Boone, den Drifters oder den Everly Brothers wurden die meisten Lieder im Labor entwickelt, mindestens aber veredelt. Andererseits - und das ist die zweite Seite der Medaille - falle ich immer wieder auf die bunte, mit Straßsteinchen besetzte Glitzerwelt herein. So geht es mir auch mit "2 Hearts", der neuen Single von Kylie Minogue.
Nächstes Jahr wird die "echte" Kylie schon 40 und kommt bald in die "Doppelherz"-Jahre. Davon singt die "künstliche" Kylie natürlich nicht. Was wirklich sehr lustig wäre: ein Disco-Wave-Hopser, der mit beachtlichem Aerobic-Tempo von Seniorendrogen und mopsfideler Altersunruhe handelt. Aber nein - "2 Hearts" ist textlich ein derart blutleerer Durchschnittskram, daß ich geneigt bin zu glauben, Kylie hätte den Text bei einem deutschen oder österreichischen Mittelschüler in Auftrag gegeben.
Statt der Kraft der zwei Herzschrittmacher hält dieses Organ-Duo kaum mit der Qualität der Soundproduktion Schritt: "Two love hearts, two love hearts that beat as one". Aha, das übliche Synchronschlagen im gemischten Doppel, schwer zu sagen, wann es das in einem Lied erstmals gegeben hat ... Und weiter: "Two love hearts I need you, I need you". Alles, was ich brauche, ist dein Schrittmacher? Nein, es geht um Liebe. Fast wie bei Buddy Holly, der einst "Piddly pat/And sing to me love´s story/And bring to me love´s glory/Heartbeat ..." sang. Ein Mann mit Brille bringt´s halt textlich besser auf die Rille - allerdings eher in der blütenweißen Reinheit eines Konfirmantenkleides gehalten.
Im Gegensatz dazu nutzt Kylie die dürren Worte "Two love hearts, come on, come on", um sie mit lasziven Tönen wirkungsvoll zu verstärken. Man weiß ja nicht erst seit Meg Ryan, daß Frauen in der Lage sind, Lust glaubhaft zu simulieren - und dies ist so ein Fall. Kylie will eben nur mit uns spielen, und das wahrscheinlich auch nur, weil sie dafür fürstlich entlohnt wird. Denn trotz des hirnrissigen - und daher ziemlich universellen - Texts wird "2 Hearts" ein Hit werden. Es ist eine perfekt überproduzierte Mini-Pop-Revue, die Blondie, Madonna und Kylies eigene musikalische Historie vereint. Intime Momente sehen anders aus, etwa so wie bei Antonys Version von "Knockin´ On Heavens Door". Aber davon mehr im nächsten "Miststück". Zunächst einmal schlagen zwei Herzen, ach, in meiner Brust. Mindestens ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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