Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Weltwissen
Dr. Trash empfiehlt: Werden Sie enzyklopädisch. Versuchen Sie, vom Handy-Bildschirm aufzublicken und alles, was es in diesem Universum zu wissen gibt, zu studieren, zu sammeln und sich darin zu vertiefen. Man mag Sie dessentwegen für einen Exzentriker halten, das wohl, aber wenigstens gehören Sie nicht zu denen, die ihre Anweisungen über Mobiltelefone kriegen.
29.10.2009
Hätte der Doc 250 Jahre früher gelebt, in einer zweifelsohne besseren Zeit, so wie alle vergangenen Zeiten und fernen Kulturen besser erscheinen, weil man sie nur aus Aufzeichnungen kennt und nicht miterleben mußte, weil sie daher erfreulicher wirken als das, was man selbst erlebt hat und fast durchwegs katastrophal findet, endzeitlich, unaufhaltsam auf einen Abgrund zusteuernd, in dem es weder Bildung noch Kultur noch Manieren noch irgend etwas Schätzenswertes gibt ... wo war ich?
Ach ja: Wenn Ihr Doktor also wesentlich früher auf der Welt gewesen wäre, sagen wir, so Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts, dann wäre er wahrscheinlich ein Enzyklopädist gewesen - ein sehr zerstreuter, zugegeben, aber immerhin einer dieser Privat- und Universalgelehrten, die alles bekannte Wissen sammeln, aufzeichnen und für die Nachwelt festhalten wollten. Und das taten sie auch, jene feinen und edlen Herren, in Frankreich mit Denis Diderot und anderen Vertretern der Aufklärung - und im Nachbarland in Gestalt des Berliners und bedeutendsten deutschen Lexikographen Johann Georg Krünitz (1728-1796).
Während heute das Weltwissen, die maß- und zahllosen Erkenntnisse der Wissenschaften, der nötigen wie der unnötigen, in Myriaden von Büchern und auf Fantastilliarden von Websites durch den Äther und die verwirrten Köpfe der Menschen schwurbeln, hatte man damals das hehre Anliegen, all die Daten, Fakten und Erkenntnisse in enzyklopädischen Bänden festzuhalten. Daß dies seinerzeit schon unmöglich war, weil im Laufe der Jahrzehnte währenden Arbeit stets neues Material dazukam, ist auf die schier unendliche Bosheit der Welt zurückzuführen.
Welch monumentales Werk der Naturwissenschaftler und Arzt Krünitz aber dennoch schuf, als er den Auftrag bekam, zwei französische Enzyklopädien ins Deutsche zu übertragen, was sich naturgemäß zu einem monströsen eigenständigen Unterfangen auswuchs, dessen Vollendung der Mann selbst nicht mehr erlebte (er starb nach 23 Jahren enzyklopädischer Tätigkeit, als er pikanterweise im Band 73 genau am Stichwort "Leiche" arbeitete) ...
Ich fürchte, auch dieser Satz ist mir längst entglitten. Aber das passiert eben, wenn man das Krünitzsche Werk, das übrigens erst 1858 und nach 242 Bänden von Nachfolgern abgeschlossen wurde, im Internet auf der herausragenden Website Krünitz Online genüßlich studiert. Es ist die Geschichte eines großen, heldenhaften und insofern unglaublich beneidenswerten Scheiterns. Und (aber bitte nicht weitersagen) es liefert zu so gut wie jedem Thema Zitierenswertes, mit dem man auch heute noch in besseren Kreisen reüssiert. Und dazu ist sich selbst der Doc nicht zu schade.
Dr. Trash
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