Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #51

Kolumnist schreibt erstmals was zu K2-18b auf unnötigen Kanälen

Wenn Sie nicht wissen, was "Social Media" oder "K2-18b" sind, dann können Sie eigentlich gleich aufhören zu lesen. Aber auch sonst raten wir wie immer von der Lektüre dieser irrelevanten Kolumne ab, in der es zwar heute mal um was geht, aber um nichts Wichtiges.    07.01.2020

Die Theorie der Multiversen mag ich besonders gern. Sie geht ungefähr so: Das Universum - also alles, was ist - ist nur eines von möglicherweise unendlich vielen, komma, und das wäre schon kompliziert genug, aber es kommt noch schlimmer.

Denn man kann in dieser Angelegenheit ja sehr viele Fragen stellen. Warum zum Beispiel ist dieses Universum hier ausgerechnet so trist, wie es ist? Statt irgendwie anders zu sein, zum Beispiel besser. Ein ganzes Universum voller alternativer Fakten, das wäre ja mal was, wo man gerner leben würde als in dieser moralinsauren Jauchegrube. 

Ein Universum mit vitaminreichem Wein und schlankmachenden Fritten! Ein Universum mit lauen Wintern und frischen Sommern! Ein Universum mit Religionen, deren Götter sich nicht in unser Paarungsverhalten einmischen, zumindest nicht über vage legitimierte, untervögelte Sprecher auf Erden!

 

Es leuchtet irgendwie völlig ein, daß ein solches Universum, besser noch viele davon, einfach existieren muß.

Warum um Himmels willen sind ausgerechnet wir in ausgerechnet diesem scheißgrauen Universum gelandet, in dem keiner dem anderen die Butter auf dem Brot gönnt und selbst der letzte Röchler von Stephen Hawking noch als Buch gedruckt wird?

Auf diese Frage fanden, gewiß schon bei den alten Griechen, erste menschliche Denker kluge Antworten wie: "Naja, wäre es anders, lebten wir in einem ganz anderen Universum, dann würden wir doch diese Frage gar nicht stellen - sondern eben andere Fragen, passend zum anderen Universum."

Zum Beispiel: Welche lobotomisierten Irren haben diese blöde Hillary gewählt? Warum wurde "Supernatural" schon nach der ersten Staffel eingestellt? Und wer ist dieser Stephen King, von dem im Nachbaruniversum ständig irgendwas (meist schlecht) verfilmt wird?

Und es waren ebenfalls schon Griechen, vermute ich, die daraus schlossen, daß es womöglich waaahnsinnig viele Universen gibt, und jedes ist, wie es ist, doch jedes ist eben anders, und alle zusammen nennen wir mal eben "Multiversum", und das ist jetzt wirklich das Wort, in dem alles drinsteckt, basta, und damit kommen wir langsam zum eigentlichen Thema.

 

Irgendwo im Multiversum, also der Menge aller wahrscheinlichen, unwahrscheinlichen und unmöglichen Universen, gibt es einen ganz schlauen Kopf, der Ihnen jetzt vorrechnen könnte, warum es nur eine Frage der Zeit war, bis irgendeine Entität im Multiversum einer meiner Entitäten im gleichen Multiversum (also nicht etwa in einem anderen!) den Auftrag erteilte: "Bitte schreibe eine Kolumne zu sinnentleerten Social Media" - und wie es der Zufall so will, war es das gleiche Universum, in dem Sie und ich leben. Womit die Frage beantwortet ist, warum ausgerechnet ich ausgerechnet Sie damit ausgerechnet jetzt behellige und nicht Ihre Version im Universum nebenan, sofern die noch lebt und nicht etwa von einem eScooter totgefahren wurde, was ihr einiges ersparen würde.

Doch ich winkte nur müde ab, verwies auf meine vollen Auftragsbücher und den Umstand, daß ich gerade Urlaub machte, Bücher über Multiversen las (allesamt leider schlauer als ich) und daher keine Lust hatte, auch nur den kleinsten Finger zu rühren, dazu würden mich doch noch die zunehmenden Wahnvorstellungen plagen, etwa die Tentakel aus den Metaparalleluniversen, die ich ständig am Rande des Blickfelds sehe, etc. (Sie nicht?) 

Egal, jedenfalls, mein Herausgeber, pflichtbewußt wie ein Preuße, ließ nicht locker und schwang die Peitsche und überwies wie schon so oft erneut ein fürstliches Honorar, natürlich an der Steuer vorbei, was unser schmutziges Geheimnis bleibt, bis es irgendein doppelt lobotomisierter Volldepp im Internet ausplaudert und zur Verteidigung möchte ich vorbringen, daß eine meiner Entitäten im Multiversum gewiß alle Steuern bezahlt hat und man das bitte beim Strafmaß berücksichtigen möchte.

Über das Ansinnen meines Herausgebers haben viele von uns nachgedacht, so auch ich, und es ist mir leider nicht möglich, den Auftrag auszuführen. Denn über Social Media kann man einfach nichts sagen, was Social Media nicht bereits selbst über sich sagt (und das, by the way, nervtötend aufdringlich). Das ist der entscheidende Unterschied zur Wissenschaft, wo der einigermaßen unlängst (hier, bei uns) neu entdeckte Planet K2-18b praktisch nichts über sich selber sagen kann (weil weit weg), weshalb sogenannte "Medien" etwas über ihn sagen müssen.

 

"Forscher finden erstmals Wasser auf K2-18b" titelte zum Beispiel ein namhaftes Magazin. Wie darf man sich das vorstellen? Die Forscher schlappten lässig und weiß bekittelt über die 124 Lichtjahre entfernte Oberfläche von K2-18b und tappten - plötzlich! - in eine Pfütze?

Nun, "Es ist kompliziert" lautet dazu die passende Facebook-Einstellung zum Thema Beziehungsstatus, und Medien neigen eben zur Vereinfachung. Denken Sie nur an die Theorie die Multiversen, denn die ist natürlich viel komplizierter. In sozialen Medien muß hingegen alles sehr einfach sein, und kurz und prägnant. #mltvrsm

 

Ich erinnere mich noch, als ein namhafter Experte für Social Media kurz und prägnant "Fahre Rolltreppe" twitterte. Das dürfte so um die zehn bis zwölf Jahre her sein, und sein Meisterwerk dürfte eine mehrstellige Zahl von Epigonen gehabt haben. 

Geht man von der berechtigten Annahme aus, daß - wie bei allen anderen Medien auch (außer im EVOLVER, speziell in dieser Kolumne) - auch bei sozialen Medien im Verlauf der Zeit ein unerträgliches Herab- und Hinuntersinken der Qualität des Mediums stattfindet (analog zur Zweitberichterstattung tradierter Medien zum hochrelevanten Thema K2-18b), kann man sich vorstellen, wie es auf Twitter heute sein muß.

Da liegt es eigentlich warm dampfend auf der Hand, daß irgendwer selbst in diesem unseren Universum inzwischen längst "Scheiße gerade" getwittert hat - und ich verspreche Ihnen, Sie müssen das nicht überprüfen. Obschon es nicht uninteressant ist, was sich Unpassendes dazu finden läßt (Leserservice: hier klicken).

Nun könnte man argumentieren, zwischen "Fahre Rolltreppe" und "Scheiße gerade" zeige sich eine echte Weiterentwicklung. Denn ersteres ist sozusagen noch finsterster sozialistischer Realismus, letzteres hingegen immerhin schon avantgardistische Provokation (gähn). Doch mir fiele eigentlich nichts ein, was "Scheiße gerade" unterbieten könnte. Außer vielleicht die damaligen Headlines zu K2-18b, in denen wie so oft so oft die Worthülse "erstmals" vorkommt. 

 

Erstmals widerspricht jemand dieser Erstmals-These, nämlich ich hier und heute. Meine These: Wir waren womöglich gerade erst aus dem Meer gekrochen, glotzten gierig die Bäume an und überlegten, wem wir dafür Miete abknöpfen könnten, da hatten vielleicht schon längst grüne Aliens den großartigen Planeten K2-18b entdeckt. Dutzende Zivilisationen vor uns - in einem unendlich großen Multiversum unendlich großer Universumse eigentlich ziemlich genau unendlich viele Zivilisationen vor uns - haben wahrscheinlich lange vor uns den öden Felsplaneten entdeckt. Und gewiß schon unter einem schöneren Namen katalogisiert als wir. Denn mal ehrlich, was soll denn das für ein Name sein? K2-18b. Möchten Sie da etwa wohnen? Und wie nennen die Bewohner von K2-18b wohl ihre Ortsfremden - etwa AußerK2-18bische? Erkennen wenigstens Sie das Problem leichtfertiger Exoplaneten-Benamung?

Doch zurück zu den gloriosen Erstentdeckern. Von denen spricht nämlich niemand (außer mir, erstmals). Warum? Weil sie keine Follower haben! Anders als die Dumpfnewsproduzenten, die heute en gros ihre K2-18b-Entdeckungen ins All und in die überflüssigen "Kanäle" blasen, als ginge es um eine coole Entdeckung zur Lösung der Überbevölkerung. Nun gut, etwas Wahres ist ja dran: Wir könnten Wissenschaftler und Journalisten mit einer Rakete Richtung K2-18b schießen, und das Überbevölkerungsproblem wäre immerhin teilangelöst. Zugleich könnten wir uns den wirklich wichtigen Dingen widmen, etwa Musik und leckeren Speisen.

Mein Rat: Verlassen Sie die sozialen Medien! Meiden Sie einfach alle Schwätzer, die was zu K2-18b meinten sagen zu müssen (außer diese Kolumne, und in Wirklichkeit habe ich ja nichts zu K2-18b gesagt, ich habe nur diesen Text auf das Keyword "K2-18b" suchmaschinenoptimiert, was irgendwie schon klarmacht, was mit Keywordsuchmaschinenoptimierung nicht stimmen kann. Was mit Social Media nicht stimmen kann, erkennen Sie bereits an der Sprache. Ich liefere hier mehr als 8765 Zeichen, mithin eine komplexe Welterklärung - und Sie dürfen "Like" anklicken. Soll das etwa soziale Kommunikation "auf Augenhöhe" sein? Nein. Also bitte kommentieren Sie - mit ebenfalls mindestens 8765 Zeichen. Gemeinsam können wir der Welt zeigen, daß noch nicht alle verblödet sind!). (Aber gehen Sie bitte nicht davon aus, daß mich Ihr Kommentar wirklich interessieren würde ...)


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Das Bilderrätsel:

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Andreas Winterer

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