Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #42
Ich würde gerne Amazon bashen, weiß aber nicht wie
Sie kennen mich: Ich bin kein Freund von ... ach, Sie kennen mich gar nicht? Nun, dann eben so: Ich bin kein Freund von Amazon oder Bashing. Daher heute mal eine total kritische Konsum-Kolumne. Die natürlich niemand braucht. 20.11.2014
Jahrelang war Amazon ein Spitzenladen. Man bestellte sich was, und zack!, war es da. Und das, ohne daß man zum vierhundertneunten Mal seine gesamten Kreditkartendaten an Formulare übergeben mußte, die sie ja eh ohne Umwege in den Ostblock schickten. Als Shop ein Wunder. Und meist auch noch billiger als der Fachhandel, wo man sich vorher natürlich ausführlich zu informieren versucht hatte (was aber, wie man unfairerweise dazusagen muß, stets gescheitert war).
Und das Angebot war überwältigend. Es gab alles. Gaffer-Tape. Macheten. Plastikplanen. Bleichmittel. Best-of-Black-Sabbath-CDs. Was man halt so braucht, um seinen zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt abzumurksen, ohne daß die Nachbarn bei der Polizei petzen. Selbst exotische Dinge hatte Amazon. Zum Beispiel exotische Bengalhölzer. Erotische E-Books mit Beschreibungen von Exotinnen. Smartphone-Hüllen aus Plastik in Form von erbrochenem Thai-Essen. Nur "Der eiskalte Engel", den hat Amazon nicht auf DVD, aber dafür kann Amazon nichts, und so richtig exotisch ist der ja auch nicht.
Kurzum: Amazon ist toll.
Es nützt nur nichts.
Denn der findige Web-Laden hat schon lange keinen guten Ruf mehr. Heute muß man sich vielmehr schämen, bei diesen peitschenschwingenden Sklavenschindern zu shoppen. Sich als zufriedener Kunde des famosen Online-Händlers zu outen, das ist so, als würde man während eines Rendezvous gestehen, daß man herpeskranker Phillumenist ist, nichts gegen etwas Gentechnik im Essen hätte und zum Foltern den Strom aus Atomkraftwerken bevorzugt. Obwohl es mir eigentlich wurscht ist, was meine Nachbarn denken, bestelle ich daher schon lange nichts mehr bei Amazon (behaupte ich, aber heimlich tue ich es natürlich schon, weil es einfach so bequem ist).
Neulich versuchte ich, ohne auszukommen. Ich recherchierte stundenlang irgendwelche Bücher zusammen und stopfte sie in meinen elektronischen Warenkorb, bis die Server krachten. Die Liste druckte ich auf Endlospapier und ging damit zum Buchhändler um die Ecke, um die Bücher im lokalen Handel zu bestellen. (Gottlob war es nicht wirklich Endlospapier, sonst hätte ich den Ausdruck wohl nicht tragen können. Wie auch immer:) Ich fühlte mich wie ein Held des analogen Alltags und erwartete, mir würde zum Dank ein Blowjob angeboten, oder wenigstens ein hippes Lesezeichen. Aber Pustekuchen: Die Buchhändlerin, obschon attraktiv bebrillt, wirkte vor allem genervt und bestellte das Bestellte - Bücher, Plastikplanen, Macheten, Bleiche, Pornos - nur widerwillig. Sie lieferte auch nicht ins Haus, ich mußte es abholen. Aber gut: So kam ich mal vor die Tür; dort war es irgendwie nicht uninteressant, denn es gab zum Beispiel Wetter und Mitmenschen, beides war mir lange entbehrlich erschienen.
Kurzum - und ich denke, Sie können meiner stringenten Argumentation folgen: Niemand braucht Amazon. Man lebt ohne viel besser.
Meine Nachbarn finden das nicht. Im Gegenteil: Weil sie mich haben, ihre im Heimbüro freischaffende, daher stets anwesende Poststelle, bestellen sie um so hemmungsloser beim -monopolisten, für den die Vorsilbe "Quasi-" erfunden worden zu sein scheint. Alles landet bei mir, denn die meisten Besteller müssen tagsüber arbeiten, um sich das ganze Zeug leisten zu könnnen.
Das unfreiwillige Postamt eines Hauses zu sein, hat auch Vorteile, und meine wichtige Stellung gibt mir so manche Freiheit. So behalte ich beispielsweise Schokolade, Wurstwaren und elterliche Geldsendungen sofort ein. Mit großer Macht geht große Verantwortung einher: Bomben würde ich (teils) aussortieren, wenn mir denn welche auffielen.
Die Inhalte der Pakete erlauben es mir aber vor allem, mir ein Bild von meinen Nachbarn zu machen. Die zierliche Jogger-Blondine aus dem vierten Stock zum Beispiel holt alle paar Wochen einen sehr, sehr, sehr schweren Karton ab. Legt sie sich Goldvorräte an? Bestellt sie Brennholz online (gibt´s tatsächlich bei Amazon ...)? Nein, es ist nur Hundefutter. Und der Weinhändler aus dem fünften, der darüber klagt, daß immer mehr Leute auch den Wein online bestellen? Der kauft seine Schuhe online und hat ein Socken-Abo.
Die üppige und exotische Brasilianerin aus der vierten Etage erhält immer wieder große Pakete von Victoria´s Secret. Auf deren Katalog-Webseiten surfe ich dann eine Zeitlang herum, kurz bevor sie von der Arbeit kommt und das Zeug abholt. Sie hat dann diesen wissenden Blick in den Augen - einen Blick, der von meinem wissenden Blick weiß und darauf hindeutet, daß sie sich gerade vorstellt, wie ich mir gerade vorstelle, wie sie in die neckischen Negligés schlüpft. Vielleicht denkt sie aber auch nur: "Glotz nicht so schmierlappig, du lustgreiser Creep!", und wenn ich es recht überlege, dann ist letzteres wohl wahrscheinlicher, und obendrein hätte sie recht.
Das ist ja einer der Vorteile des Alterns: daß man immer einsichtiger und weiser wird, vor allem, was das Ausmaß der eigenen Erbärmlichkeit betrifft. Ich glaube, ich war schon letztes Jahr so bei 0,6 Nathan, und doch bin ich dieses Jahr noch weiser, klüger und abgeklärter. Extrapoliert man das in die Zukunft, fällt auf, daß unendliche Weisheit und absolut sicherer Tod auf einen gemeinsamen Termin fallen, der unendlich weit entfernt in der Zukunft liegt, was irgendwie auch als eine Aussage des Seins zum Horror der schieren Existenz lesbar ist. Denkt man hingegen zurück, wird klar, wie blöd man als Teenager war - eine These, die sich bei Inaugenscheinnahme aktueller Teenager und unfreiwilliger Belauschung ihrer Mobiltelefongespräche im öffentlichen Nahverkehr eigentlich von selbst bestätigt.
Der einsame Rentner - noch nicht ich - aus dem sechsten Stock kriegt immer wieder mal eine neutrale Verpackung, wahrscheinlich Sexspielzeug für seine Suche nach autoerotischem Trost. Eine Suche, die natürlich vergeblich ist, wie ferne Bekannte gehört haben wollen. Gelegentlich tagträume ich, die Packung zu öffnen und ihm den Inhalt mit der Entschuldigung zu überreichen, daß das Zeug schon so benutzt gekommen sei, wie er es nun vor sich sähe. "Welcher Irre bestellt sich sowas auch online?" würde ich fragen und ihm unangenehm hart auf die Schulter klopfen.
Was mich daran erinnert, daß ich ihnen, verehrte Leser, eine Sexkolumne versprochen hatte. Nur liefern kann ich die heute noch nicht. Lieferschwierigkeiten ... Nehmen Sie doch einfach diese Kolumne hier. Nein? Auch das noch: Sie wollen die Kolumne sogar zurückgeben? Nein, das geht leider nicht.
"Lieferprobleme", "keine Rückgabe" - dies erinnert uns erneut daran, warum jedermann bei Amazon gerne und reichlich sein Geld läßt, aber wenn einmal ein tiefkreativer Schreiberling wie ich um ein paar zerschrammte Kupfermünzen bettelt, dann grient ihm nur feist das geizige Hohnlachen ins vom Hunger gezeichnete Gesicht. Dabei könnten Sie beides haben: Mir meine Schriften - etwa dieses Buch - abkaufen und dabei zugleich (und aus gutem Grund (nämlich: aus Trotz)) bei Amazon shoppen, was allen zeigen würde, was für ein unabhängiger Geist Sie sind, der sich vom fauligen Rinnsal des amazonbashenden Mainstreams fernhält.
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Das heutige Bilderrätsel beschäftigt sich mit Qualitätsfragen:
Die Frage lautet: Was ist gemeint?
Kommentare_
Tja, vor 5 Jahren akzeptierte der A-Onlinehänder plötzlich meine Bankverbindung nicht mehr. Trotz üppigem Plus auf Konto und Bestandskunde seit der Zeit, als das A noch ABC Bücherdienst hieß. Stattdessen sollte ich eine Kreditkartennummer eingeben. Hatte ich natürlich keine Lust drauf, weil ich auch keine Veranlassung sah. Nach zwei weiteren Einkäufen, die auch sofort ordnungsgemäß abgebucht wurden, hat dann A meine Einkäufe nicht mehr akzeptiert. Auf Nachfrage der Gründe, weshalb meine Bankverbindung nach all den Jahren nicht mehr gut genug sei und mit Hinweis auf die Auskunftspflicht, erhielt ich die Antwort, man sei ein US-Unternehmen und sehe keine Veranlassung irgendwelche Begründungen liefern zu müssen. Seitdem bin ich kein Kunde mehr von A. Bücher kaufe ich jetzt bei ebook.de (ehemals Libri) und Mucke bei JPC.de. Beide mit supertollem Kundendienst.
Leute, es gibt ein Leben ohne diesen Laden, jenseits der US-A-Hybris.