Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #40
Die angewandte Herbst-Depression
"Nach dem Winter ist vor dem Winter" titelte diese Kolumne ursprünglich. Doch ganz so schnell geht es ja nicht - erst müssen wir durch die Herbst-Depression. 14.10.2013
Während es kaum einen Ort zum Glücklichsein zu geben scheint, ist es fast überall möglich, sich eine Depression zuzuziehen. Wenn das lebensspendende Licht schwindet und das hippe Leben am Pool sich der alles verdüsternden Finsternis beugen muß, dann ist das besonders leicht. In solchen Phasen des Lebens suchen die Niedergeschlagensten von uns Schutz vor der bedrückenden Tristesse.
Einige greifen zu beglückenden Kolumnen, die die Welt nicht braucht. Andere flüchten in die Religion. Dieses sinistre Thema hatten wir noch nicht, und ich möchte es daher kurz und ein für allemal abhandeln: ja und nein.
Die meisten modernen Atheisten hatten in ihrer Kindheit prima Religionsunterricht - nur deswegen wurden sie ja zu Atheisten. (Natürlich erst, nachdem sie bei diversen drolligen Initiationsritualen die Geschenke abgegriffen hatten.) Umgekehrt waren die ersten Religionen zwangsläufig von Menschen gegründet worden, die ihrerseits garantiert religionsfrei aufwuchsen. Diese Leute waren also ganz gewiß total unindoktrinierte Nichtfundamentalisten! Ergo ist Religion das Ergebnis freien Denkens. QED. Und wenn das so ist, dann ist dem freien Denken aufs Äußerste zu mißtrauen.
Freies Denken strengt an. Es stört beim Fernsehen. Und es führt ins Ungewisse. Es fehlt ihm die beruhigende Ordnung, wie sie etwa unseren Herbstritualen zueigen ist. Man stellt beispielsweise die Heizung an und hofft auf Wärme. Man stopft die Badehose und die bunten Sommersöckchen in die hintersten Schubladen und holt die warmen Wintersocken und die Schals und Mützen hervor. Man saugt den Sommerstaub aus der Wohnung und fragt sich, warum man draußen die blöden Kastanien gesammelt hat und wo man die nun wieder hintun soll und warum. Man stellt einen Dekorationskürbis irgendwo hin, weil es ihn gerade im Supermarkt für drei Euro gab, und gießt sich eine Instant-Kürbissuppe auf, um ihn schlürfend zu betrachten und die Ausgabe zu bereuen.
So was zieht runter.
Es ist ja auch traurig, wenn geliebte Socken plötzlich Löcher haben. Frustrierend zudem, wenn der Staubsauger beim Sommerwegsaugen ständig das Kabel einzieht; noch frustrierender aber, wenn er es danach partout nicht mehr einziehen will. Man redet dann dem Staubsauger zu, ermunternd, doch nichts passiert. Das Kabel liegt herum, schlaff, entmutigt, antriebslos - und verschandelt die Inneneinrichtung, die gerade erst durch die Kastanien etwas herbstlichen Charme gewonnen hatte.
Das sind herbe, ja herbstliche Schicksalsschläge.
Doch die sind nichts im Vergleich zu den Temperaturen, die uns erwarten, ja, teils schon herrschen. Vor allem, wenn man die Heizung anstellen wollte, diese aber ihren Dienst verweigert. Weil die fossilen Brennstoffe zur Neige gehen? Nein: Schuld sind irgendwelche Trottel, die beim Sanieren irgendwo eine Leitung angebohrt haben, weswegen das Gas sicherheitshalber abgestellt wurde. Ohne Gas aber keine Heizung im Kolumnistenstüberl.
Ich tippe deswegen hier und jetzt live in dicken Socken, Schals und Mützen sowie mit steifen Fingern bei unchristlichen Temperaturen und Kürbiskerzenlicht. Auf meinem Tablet kristallisiert der Dampf der Instant-Kürbissuppe. Die Finger frieren mir beim Wischen fest. Eiszapfen hängen an den Halogenstrahlern über mir. Etc.
Alle zehn Minuten mache ich die Tür auf und lasse einen Handwerker mit Migrationshintergrund oder Alkoholfahne rein. Der dreht dann irgendwo an einer Schraube, geht wieder hinaus und macht dasselbe irgendwo anders. Zwischendurch ertönt im Treppenhaus hysterisches Gemaule von den Nachbarn, die dasselbe tun müssen, weil ja alle Wohnungen betroffen sind. Anders als ich sind meine Nachbarn aber nicht Manns genug, im stillen Kämmerlein zu leiden und einfach im Fernseher einen wunderbaren französischen Film wie "MR 73" anzuschalten, in dem es immerzu regnet und wo am Ende alle sterben.
Ein Burn-out gilt als unverzichtbare Voraussetzung für eine Depression, ersetzbar nur durch schwere Schicksalsschläge. Wer sich allerdings heiter durchs erfolgreiche Leben jobbt, der wird sich von ein paar Kastanien, Eicheln und roten Blättern auf dem Trimm-dich-Pfad nicht die Laune verderben lassen. Der Schwermütige meidet daher klugerweise schon das Joggen. Recht so, das würde nur Serotonin erzeugen, den Feind der Wehmut.
Doch solche trübsinnigen Melancholiker sterben aus. An ihre Stelle treten heutzutage Menschen, die ständig motiviert und heiter sind. Phlegma ist ihnen fremd, sie trinken energetische Tees, sind "pro-aktiv" und gehen auf Parties. Weltschmerz ist für sie ein Schwarzweißfilm auf ARTE. Sie schauen Sitcoms, lesen lustige Bücher und sprechen ständig in Pointen. Derart mit Konfektionsfrohsinn abgefüllt, schaffen sie es einfach nicht, der jetzt nahenden kalten Jahreszeit etwas Trübsal abzutrotzen.
Es gehört eben Übung dazu, depressiv zu sein.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen. Man muß es nur wollen!
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Das Bilderrätsel - ich hoffe auf viele Kommentare (sofern Sie sich aufraffen können):
Welches ist Ihrer Meinung nach der beste Film über fiktive Figuren, die die Inhalte des rechten Glases eher nicht konsumieren wollen?
Kommentare_
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wärs nicht langsam zeit für eine frühlingsausgabe?
Zuerst die fehlende Winterausgabe! Und dann viele, viele Frühlingsausgaben! Die Leserschaft darbt ...
Dem kann ich mich nur voll und ganz anschliessen. Yes, you can!