Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #38

Das bürolose Büro

Wer mit der Bahn fährt, kann das nicht mehr ernsthaft als Teil eines erholsamen Büroaufenthalts empfinden. Die heutige Kolumne zeigt, wie schnell man im Office auf dem Gleis zum elektronischen Mobbing-Opfer wird.    25.06.2013

Wenn man im Zug eine Kolumne schreiben will, sollte man sich tunlichst einen Sitzplatz mit Tisch aussuchen. Das hat den Vorteil, daß man gleich vier Plätze hat, an denen man sich breitmachen kann. Jedenfalls gilt das theoretisch. Bei mir war es unlängst anders: Kaum hatte ich mich niedergelassen, drängte sich schon ein pickelgesichtiger Jüngling mit angestrengtem Busineß-Geschau in mein Territorium und knallte seinen karierten Supermarktblock neben mein handgeschöpftes Büttenpapier.

Sowas zehrt an den Nerven. Diese jungen Leute sind nämlich heute alle so schlau und wichtig. Während ich diese zwar unvergleichliche Kolumne schrieb, die jedoch niemand auf der Welt braucht, skizzierte er gewiß irgendwas Hochimportantes, etwa Nassi-Shneidermann-Diagramme oder das Konzept für eine Website, möglicherweise das lokale globale mobile hippe soziale Netzwerk von morgen. Vielleicht war der Jüngling, der sich ungeniert in meinem Zugabteil ausbreitete, sogar Der Kommende Mann des Nächsten Großen Dings. Die Salzbergs von heute sind ja die Menschen, die morgen unsere Wirtschaft am Laufen halten. Dagegen bin ich nur eine Küchenschabe, zumal ich in der einzigen Wirtschaft, die ich mit am Laufen halte, längst anschreiben lassen muß.

Es gelüstete mich, etwas Progressivität zu demonstrieren und mit Hilfe eines Gegenstandes den baufälligen Fakt zu untermauern, daß ich zwar alt bin, aber nicht von gestern. Dazu zog ich den MP3-Player Microsoft Zune 30 aus der Tasche, ein Relikt der ersten Generation von Microsoft, den das Unternehmen aus Redmond als Antwort auf Apples iPod geplant hatte (und damit so unerhört erfolgreich war, daß er in etlichen Märkten nie auf den Markt kam). Ich hatte das Gerät damals aus den USA importieren lassen, um darüber zu schreiben; inzwischen war es sicher fünf Jahre alt, ergo stylisher Retro-Vintage. Exklusiver geht es kaum.

Entspannt seine Website oder Flußdiagramme oder globale Aktienströme skizzierend, holte mein wichtiger Sitznachbar sein Handy heraus und stöpselte ein paar Mammutkopfhörer an. Diese wurden wahrscheinlich aus gebrauchten Ibiza-Club-Lautsprechern geschnitzt, jedenfalls ließ der Lautstärkepegel nicht nur auf einen ungeheuer schlechten Pop-Geschmack, sondern auch auf gefühlte achteinhalb Kilo Neodym in den Schalltrichtern schließen.

Um nicht völlig ins Hintertreffen zu geraten, zückte ich mein eigenes Handy. Doch ich erkannte sogleich den Fehler. Der Kerl hatte nicht nur das überlegene Kombigerät, sondern mehr noch - sein Handy war kaum noch ein Handy, auch kein Smartphone mehr. Ein kleines Breitschwert. Während ich beim Hin- und Herwischen über meine pixeligen Apps kaum den Daumen bewegen durfte, konnte er mit weit ausholenden Bewegungen wichtige und hochauflösende Datenströme von hier nach da umleiten. Wahrscheinlich fusionierte er mit den ausgestreckten Fingern Großbanken, analysierte am verschmierten Display die menschliche DNS, dechiffrierte das Voynich-Manuskript, entwickelte die Kalte Kernfusion, und und und. Und das alles in Full-HD. Mit NFC und LTE.

Ich ging aufs Ganze und holte mein iPad aus dem iPad-Täschlein, einer der - gelinde gesagt - etwas arg metrosexuellen Begleiterscheinungen im Leben eines Pad-Besitzers. Nun konnte auch ich große Dinge von links nach rechts wischen und zurück. Allerdings nur unwichtige Dinge, etwa die Absätze dieser Kolumne.

Sichtlich beeindruckt verließ er den Sitzplatz neben mir. Er ging zu seinem Koffer. Das Notebook, das er dort herausholte, war so groß wie der ganze Tisch - ein Display wie ein IMAX-Kino. Ich tippte nun heftiger auf die virtuellen Tasten des iPads, um die Scharte mit Fleiß auszuwetzen. Und ich aktivierte zusätzlich den virtuellen Tastaturklick. Doch gegen den hochgerüsteten Nachbarn hatte ich keine Chance. Der konnte nämlich auch real und analog einfach deutlich lauter tippen und übertonte dabei sogar die Pestmusik aus seinem Smartphone-Breitschwert.

Ich dachte an meinen eigenen Koffer. Darin befanden sich eine mobile Ausgabe des "VSC-2", eine tragbare Leinwand der Marke "K2" sowie ein Projektor vom Typ "Strahleninferno".

Aber der Klügere gibt bekanntlich nach.

Natürlich nur, weil ihm nichts anderes übrigbleibt.

 

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Das Bilderrätsel:

Welche Farbe dominiert im Bild?

Andreas Winterer

Kommentare_

leser - 23.07.2013 : 13.31
schwarz? wann gibt es denn eine neue ausgabe?
Trash, Dr. - 24.07.2013 : 08.20
Und wann kommt die nächste?

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