Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #37

Die ganze Welt trauert nicht um (die erste Kolumne nach der Kreativpause)

Seit bald zwei Jahren erscheint die Kolumne, die die Welt nicht braucht, regelmäßig nicht. Etliche Male nur beinahe nicht, dann aber doch nicht. Und letzte Woche und die davor erst recht nicht. Heute nicht nicht, also schon. Zum Trotz.    11.06.2013

Die Frage, die Ihnen jetzt noch nicht einfällt, sei sofort beantwortet: Hat sich die Kreativpause gelohnt? Ich finde schon. Ich wüßte bloß nicht, wie ich das begründen sollte. Gewiß, da war diese ungeheure Kreativität, die plötzlich freigesetzt wurde ... schon in den ersten Sekunden nach dem Beginn der Pause! Ich hatte kaum den abschließenden Punkt der letzten, zunehmend faden Kolumne gesetzt - Sie erinnern sich: es ging um ... nein? Nun, darauf kann ich nun wirklich keine Rücksicht nehmen -, da sprudelten schon neue Ideen aus mir heraus wie Primärschlamm aus einer defekten Kläranlage.

Sie merken gewiß schon diesen ersten Zeilen an, daß ich inzwischen dank wiederholter Dauererholung geradezu vor Kreativität platze, wie einst das Universum beim Urknall. Die ganze Schöpfung ist ja ein unschlagbar kreativer Akt, denn geniale Sinfonien und platte Witze gab es vor dem Urknall nicht, ergo hat selbiger sie erschaffen, sich ausgedacht. Anders als übrigens Mathematik: Die gab es schon vor dem Urknall - na, was sagt uns das, zwinker, zwinker?

Übrigens gelten ja "Werber" heute gemeinhin als "Kreative". Hahaha. Ein schlechter Witz ist das. Während wir Kolumnisten uns großartige Dinge ausdenken, sollen diese schnöseligen, iPhone-Apps-nutzenden Reklamedichter ja nur dafür sorgen, daß wir Schaumüden vor der Betäubungslaterne die in den Werbepausen gepriesenen genetisch verhunzten Tiefkühl-Lebensmittelabfälle für begehrenswerte "französische Baguettes" halten. Kolumnisten sind da nicht nur moralisch, sondern auch als Texter in jeder denkbaren Hin- und Hersicht klar überlegen. Zum Beweis schüttle ich im Folgenden spontan eine Hundertschaft erfundener Claims aus dem Ärmel, die als freudvoll-informative, lustmachende Untertitel dienen könnten: für die Kolumnen, die die Welt nicht braucht.

Doch vorher ein Geständnis. Eigentlich ließ ich die Kolumnen nur ruhen, weil ich einen schrecklichen Nervenzusammenbruch hatte. Burn-out, break-together, borderline, ASPD, BPD, SUV, OCPD, POV & MILF - das volle Programm, plus Misch- und Übergangsformen. Vor allem paranoide Wahnvorstellungen würgten mich: Illuminaten, 9/11, Chemtrails und die fixe Idee, verschiedene Länder hätten sich zu einem Gebilde namens "EU" zusammengeschlossen, das die Krümmung von Gurken vorschrieb, das Rauchen in Gaststätten untersagte und einfach entsorgbare Glühbirnen mit warmen Licht durch quecksilbertriefende Recyling-Monster mit giftgrünem Schimmer zu ersetzen forderte. Absurd! Und irgendwie auch bedrohlich.

Besorgte Freunde rieten mir zum Selbstmord. Ja, daran hatte ich selbst schon oft gedacht, immer beim Steuerzahlen: Nochmal eine letzte Flasche Château d´Yquem trinken, dazu Satie hören, das Digitalpiano aufschrauben und sich einfach mit einer Klaviersaite erwürgen, das wär´s. Und doch war mir der Freitod nie als ein wirklich attraktives Angebot erschienen, gerade im Vergleich zur Freß- und Sauf-Flatrate im Swinger-Club.

"Was stimmt nur mit dem Selbstmord nicht?" fragte ich mich angesichts der vielen Millionen ungeliebter Landsleute und Landesnachbarn, die ihn täglich verweigern. Ist es der Preis? Die Verpackung? Sein schlechter Ruf bei den Katholibans? Wollen die Leute den klassischen Freitod nicht mehr, möchten Sie ihn lieber digital? Als App? Ich schlug Steve Jobs in einem Brief vor, einen zeitgemäßen Suizid zu entwickeln: Würde Apple einen Selbstmord anbieten, jeder würde ihn haben wollen (und es würde die richtigen treffen, hä hä!). Steve hat mir leider nie geantwortet.

Selbstmord kam für mich aber ohnehin nicht mehr in Frage. Weil ich doch gerade so kreativ war. Ich hatte einen Lauf. Schon beim Neujahrfrühstück direkt nach meiner letzten (Silvester-)Kolumne war ich dank geistig Hochprozentigem derart von geistiger Hochpotenz durchdrungen, daß ich auf der Rückseite einer Serviette den schriftlichen Beweis führte, daß die Gödel-Metrik tatsächlich eine korrekte Beschreibung unseres Universums darstellt. (Ja, schlagen Sie das ruhig mal nach!) Die Widersprüche zu dem, was wir beobachten, konnte ich ohne weiteres durch Pinke Materie und Orange Energie erklären, indem ich eine neue Konstante einführte, die ich salopp "Raumzeitflechte" getauft  hatte und die verschiedene Werte (gleichzeitig!) annehmen konnte, je nachdem, wie die Messungen interpretiert werden sollten (das brauchen Sie nicht nachzuschlagen - das ist seiner Zeit und damit Wikipedia um Jahre voraus).

Leider war in jenem Kaffeehaus das Toilettenpapier zur Neige gegangen, sodaß die Serviette mit diesen Notizen den Weg zur Kläranlage nahm. Kein Verlust: Für grobe Berechnungen langt ja auch der olle Einstein. Wissenschaftliche Revolutionen sind ohnehin überbewertet. Genau wie alle anderen Revolutionen, etwa die, die ich mit der Kreativpause schüren wollte.

Der ursprüngliche Plan sah vor, daß ich mit den "Kolumnen, die die Welt nicht braucht" für genau ein Jahr aussetze. Millionen von Fans in aller Welt, auch Iran, China, Nordkorea und Afghanistan, wären dann (laut Plan) davon völlig schockiert und versammelten sich zu crossgenderischen Kiss-ins, für die wir den Arbeitstitel "Arabischer Frühling" vorgesehen hatten (auch in China und Nordkorea - ein interner Gag, den bis heute niemand versteht).

Doch es kam anders. Das Jahr mit der Kreativpause ging vorüber, und unbemerkt passierte: nichts. Es erschien: keine Kolumne. Ich hängte noch ein paar Monate Kreativpause dran. Wieder und wieder: keine Kolumne. Irgendwann hörten der Chefredakteur und der Herausgeber und der viel bessere Musik-Kolumnist auf, danach zu fragen; anfangs hatten sie das noch besorgt getan, dann penetrant nervend, schließlich nur noch aus distanzierter Höflichkeit. Wie in den Filmen, wo die Helden erst die Hoffnung aufgeben müssen, bis ihnen dann doch die Lösung einfällt. Am Ende fragten sie dann wieder fröhlich heiter, weil sie ohnehin mit nichts mehr rechneten und sich hinter feigenblatthaft vorgehalter Hand längst Dinge wie "verbale Impotenz" und "mündlicher Darmverschluß" zuraunten, natürlich so, daß ich sie hören könnte, gerade noch so.

Und dennoch erschien: nichts. Die Welt produzierte ununterbrochen -zig Dinge, die keiner brauchte, etwa iPad 2, 3 und 4, sowie, kaum mehr steigerbar, die ersten Google-Brillen. Nur die Kolumnen, die auch keiner brauchte, die blieben aus. Und das blieb erschreckend folgenlos: Die ganze Welt trauerte nicht, auch nicht Iran, China und Afghanistan. Wenn Sie mich fragen, so war das zu erwarten. Gerade diese Länder (und Nordkorea) bleiben ja immer ein wenig außen vor, wenn es heißt, "die ganze Welt" würde dieses oder jenes tun. Die ganze Welt trauerte ja angeblich mal um Lady Di, in Wirklichkeit ließ sie sich vom Song "Candle in the Wind" das Gehirn verflüssigen. (Es spricht für Schurkenstaaten, daß solche Songs dort gewiß verboten sind.)

Ohnehin denke ich, wenn angeblich die ganze Welt trauert, immer sofort an einen einsamen Bunyip, der irgendwo am Lake Boondooma im Wasser kauert. Bis vor kurzem lauerte dieses selten beobachtbare Fabeltier auf leicht zu verschlingende Beute in Form wohlgenährter US-Touristen. Plötzlich, von heute auf morgen, trauert es dann (wie "die ganze Welt") um Lady Di und Michael Jackson. Oder irgendeine andere Prinzessin aus irgendeinem anderen Land mit irgendwelchen Royals, die irgendein dringend benötigtes Kind nicht kriegen oder eben doch.

 

Hier übrigens, worum laut Google wirklich getrauert wird (erkennbar dank Googles automatischer Vervollständigung, der letzten freien Stimme des Volkes):

 

Unfaßbar, welchen Schmarren die Leute bei Google suchen.

Hier dagegen, wer worauf zu lauern scheint:

Bizarr.

Bedauerlich indes, daß der lauernde Bunyip vom Lake Boondooma von Google so offensichtlich ignoriert wird. Immerhin macht es klar, daß Google sichtlich eine stumpfsinnige Dumpfmaschine ist, die die Schönheit eines Namens wie Boondooma nicht zu erkennen vermag. Dabei klingt der Name Boondooma ein bißchen wie der meines Lieblingsradiosenders soma fm Doomed, der den ganzen Tag die um uns herum stattfindende Katastrophe klanglich untermalt und einem daher beim Zuhören das gute Gefühl gibt, sich endlich in der Apokalypse zu befinden.

 

--

In Wirklichkeit war der einzige Grund, die Kolumne ruhen zu lassen, das vorübergehende Fehlen geeigneter Fotos für das Bilderrätsel, das diese Woche wieder seine volle kreative Wucht entfaltet. Unretuschiert, ehrlich:

 Was steht auf den Klingelschildern?

Andreas Winterer

Kommentare_

Die Menschheit - 06.06.2013 : 21.38
Werter Kolumnist,

ich bedanke mich. Auch, wenn sie keiner braucht, ist es mit ihr weit besser.
Der Kolumnist - 12.06.2013 : 11.17
Ich danke herzlichst. Leider habe ich schon wieder vergessen, Schleichwerbung für mein eigenes Buch zu machen. Wirklich unklug, denn das und nur das war ja der wahre Grund, die Kreativpause an den Nagel zu hängen: um irgendwie den Link auf den Shop zu verbreiten. Und wenn den Quatsch weiterhin keiner kauft, verfasse ich noch mehr Kolumnen - nehmen Sie das als Drohung.

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