Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #26

Das Nichts ist zur Zeit Sein Ein & Alles

"Sag doch was", bat mich neulich meine Ehefrau, die beste Ehefrau von allen. Aber ich sagte nichts. Das sagt doch alles, oder? Heute: Die (ger)ontologische Kolumne über den Sinn des Lebens.    11.11.2010

Grüß Gott, lieber Leser. Ach, das ist Ihnen zu religiös? Meine Güte, ich versuche doch nur, dem ewigen "Hi!" etwas mehr Charme zu geben. Wir Atheisten sollten uns wirklich einmal zusammentun und glaubensfreie Grüße entwickeln. "Grüß Nichts" ist einfach arg trocken, und "Grüß zufällige Verkettung von Ereignissen" finde ich irgendwie zu schwerfällig, etwa so wie ein Walroß beim Tischtennis.

Doch was ist das Leben anderes als eine zufällige Verkettung von Ereignissen? Ich sag’s Ihnen: Das Leben ist eine Anwesenheit zwischen zwei Abwesenheiten. Klingt dämlich, sagen Sie? Ist ja auch nicht von mir. Der Satz stammt - sinngemäß - von Martin Heidegger, einem Philosophen, der unter anderem das Buch "Sein und Zeit" geschrieben hat. Das sollten Sie einmal lesen, das ist wirklich dramatisch im Abgang. Noch ein Lesetip: Sein französischer Kollege Jean-Paul Sartre, wie Heidegger Existentialist, schrieb ein Buch mit dem würde- und eindrucksvollen Titel "Das Sein und das Nichts".

 

Als sie klein waren, und man vergißt ja gerne, daß auch Philosophen einmal Dreikäsehochs waren, die mit leuchtenden Augen auf den Weihnachtsmann warteten, wollten der Martin und der Jean-Paul sichtlich hoch hinaus. Das Sein, die Zeit, das Nichts - eine Hausnummer kleiner ging es nicht. War bei mir genauso. Als ich klein war, wollte auch ich das wichtigste Buch aller Zeiten schreiben. "Alles, was im Weltraum rumstehen tut. Plus Zeit" sollte es zunächst heißen, aber ich war letztlich nicht zufrieden mit dem Titel. Die superlative Alternative "Allesser" fiel bei meinem Deutschlehrer in Ungnade, demselben Mann, der behauptete, ich würde nie Schriftsteller werden, geschweige denn Kolumnist, bekanntlich die höchste Existenzform des Schriftstellers. Ich grüße ihn hiermit herzlich. Er verwarf auch meinen dritten Versuch: "Das holistische Totale und das universell Nichtige (und das jenseitige Dazwischen (auch das derzeit noch nicht Imaginierte))".

Zum Autor, sagte mein Lehrer, hätte ich zu wenig Talent. Dabei ist weniger bekanntlich mehr! Sagt wiederum der rot lackierte Volksmund, das Organ der ungeschminkten Wahrheit. Doch wäre das wirklich so, wäre noch-weniger zwangsläufig noch-mehr, am Ende wäre nichts also alles. Ergo: Weniger ist nicht mehr, weniger ist weniger. Weniger setzt auch nicht an. Das Leben ist schließlich oft nur der endliche Versuch, Teile von der großen Sachertorte des Alles abzuknabbern, ohne dabei mehr zu wiegen, als der Arzt für ratsam und der Partner für attraktiv hält. Sartre und Heidegger sind da nie draufgekommen. Vielleicht hätten sie einmal gemeinsam ins Café gehen sollen, eine Tarte Tatin verkosten. Drei, vier Vinjacks dazu, und die beiden hätten vielleicht etwas Witziges geschrieben. So wie ich hier & heute, Sie liegen doch sicher schon am Boden vor Lachen.

 

Über das Leben läßt sich trefflich alles mögliche sagen, ohne dabei konkret zu werden. Womit strenggenommen nichts gesagt wurde. Von mir. Es ist nämlich schon alles gesagt worden. Von allen. Stimmt nicht, werden einige einwenden, bisher ist nur alles Gesagte schon gesagt worden. Wie wahr! Und weil dabei ja auch die eine oder andere Sprechpause stattfand, ist auch nichts schon gesagt worden. Jedenfalls nichts Wichtiges.

Man kann ewig über alles schreiben, denn vom Alles existiert reichlich. Man kann aber auch ewig über nichts schreiben, wie diese Kolumne eindrücklich vor zunehmend müde Augen führt. Ich deduziere: Alles und Nichts sind identisch. Qed & ein paar Beispiele: Wenig ist bisher über Unterwäsche gesagt worden. Ich persönlich trage meine "auf links". Oder "auf rechts"? Jedenfalls mit den Nähten nach "außen" (doch welche Richtung ist das genau, kosmisch gesehen?), weil das bequemer ist. Solche Nähte können verdammt hart sein zur zarten Haut, gerade bei billigen Slips. So ein Schlüpfer darf ja nicht viel kosten, 7 Euro im Fünferpack oder so, jedenfalls ein unglaublich komplizierter Preis, denn wie teilt man 5 durch 7, können Sie das im Kopf? Hätte Sartre es gekonnt, Heidegger?

Ist auch egal, Hauptsache billig. Billig ist das neue Brauchtman. Daher schießen überall 1-Euro-Läden aus dem Erdboden, wie Pilze, nicht jedoch wie teure Trüffel. Diese Läden braucht man. Sie sind voller Dinge, die man gebrauchen kann. Teils auch verbrauchen. Oder benützen.

- Ich habe was Tolles erfunden.

- Ach? Was denn?

- Einen Gebrauchsgegenstand.

- Wofür braucht man den denn?

- Na ja: Man kann ihn benützen.

- Ja ja. Aber wofür?

- Ist doch egal. Aber benutzerfreundlich ist er! Und gebrauchsfertig.

- Aha. Und wie viel soll er kosten?

- Es ist ein 1-Euro-Produkt. Speziell für ...

Ich gebe an dieser Stelle - nach Absprache mit meinem Therapeuten - zu, daß ich ein Faible für 1-Euro-Läden habe. In denen könnte ich Stunden verbringen. Die Doppelpacks mit dem Kugelschreibern studieren, 55 Cent. Die Teppichmesser mit den Ersatzklingen prüfen, 99 Cent. Das Ölmalerei-Set mit sieben Tuben Farbe und einer 42x62-Leinwand für 9,95 betrachten und mir überlegen, ob ich nicht wieder mit dem Malen anfangen sollte. (Ich habe früher alles mögliche gemalt, aber leider sah nichts davon brauchbar aus. Wäre also ein Zehner für die Kunst nicht ein bißchen mutig für jemanden, der im Kunstunterricht stets mitleidig belächelt worden war beim Versuch, einen Kaminschlot auf einem Hausdach zu zeichnen?)

Also doch lieber das Duftkerzen-Set mit Vanillearoma. Die bunte Party-Girlande. Den 5er-Pack Topfschwämme in Weihnachtsbaumform. Die Plastik-Blockflöte. Den Klebeband-Abroller. Die Knicklichter. Die unvermeidliche Kaffeetasse mit Café-de-Paris-Schriftzug. Man findet in diesen Läden irgendwie alles, und doch auch wieder nichts. Immerhin kann man drin hervorragend die Zeit totschlagen, bis es 15 Uhr ist oder bis der Bus kommt oder Godot oder das Ungeheuer von Loch Ness.

 

"Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" fragte Heidegger. Diese ausgesprochen dumme Frage zeigt, wie sehr MH auf dem Holzweg war. Denn viel öfter ist doch nichts, wo Seiendes sein sollte. Nehmen Sie nur diese tolle Webcam, die meine Frau seit Jahren regelmäßig besucht: www.lochness.co.uk/livecam/.

Klicken Sie sich einmal hin. Na?

Genau. Sie blicken durch dieses Cyber-Auge auf einen der ruhigsten Orte im Universum und haben den Beweis vor Augen: Dort, bei Loch Ness, dort passiert garantiert nichts, gar nichts, denn Nessie kommt einfach nicht raus aus ihrem Tümpel - jedenfalls nicht in der Zeit, in der Sie auf die Webcam starren, dafür lege ich meine Hand ins Wasser.

Bei Loch Ness findet also das sagenumwobene Nichts statt. Live!

Allerdings kann man nur wenig über dieses Nichts schreiben (ca. 7000 Zeichen (mit Leerzeichen)). Weshalb das alles nun ein Ende hat, denn die Zeit ist um. "Das Spiel ist aus", wußte schon Sartre und gab uns Nichtphilosophen auch noch folgende Erkenntnis mit: "Um drei Uhr ist es immer entweder schon zu spät oder noch zu früh für alles, was man tun will." Es sei denn, mein lieber Jean-Paul, man möchte in einem Café noch ein Stück Torte verspeisen.

 

--

Das Bilderrätsel:

Was passiert denn hier?

Andreas Winterer

Kommentare_

Andreas - 23.01.2011 : 15.55
Was passiert denn hier mit dem Bilderrätsel? -- Ganz einfach: Es ist kaputt :-(
Andreas - 23.01.2011 : 16.54
Na fein! Nach meinem Kommentar war dann auch das Bilderrätsel da. Jetzt hab ich 2 Rätsel :) Mindestens.

Das Rätsel des "Auftauchens" ist leicht gelöst (berufsbedingt; ich bin also kein Schriftsteller). Doch was soll eine auftauchende Flüssigkeit sein?

Nach der genüsslichen Lektüre über Nichts und Alles drängt sich mir die Vorstellung des Urknalls auf. Ich fürchte nur, die Ur-Suppe machte nicht einen derart klaren, frischen und trinkbaren Eindruck. Und selbst wenn, wer wollte schon beim Urknall anwesend sein, für ein Glas Wasser, ohne Kaffee und ohne Torte.

Apropos Anwesenheit, nämlich der zwischen 2 Abwesenheiten: Noch lange vor dem Internet hat jemand sinnigerweise in die schematische Darstellung eines Fernsehers geschrieben, der Sinn des Lebens bestünde in der Überbrückung der Zeit zwischen zwei Orgasmen.

Aber ist der Orgasmus nicht eine Abwesenheit? Hat sich Heidegger geirrt? -- Aber nicht doch! Alles ist Nichts, Nichts ist Alles. Und ob wir einen Orgasmus als ultimative An- oder Abwesenheit verstehen, verrät lediglich die Ausrichtung unserer Philosophie-Lehrer.

(Meiner hat so einiges über mich gesagt, was ich hier besser nicht anführe. Ich sag nur, ich war meistens abwesend.)
DerKolumnist - 24.01.2011 : 09.51
Der Sinn des Lebens sei: die Zeit zwischen zwei Orgasmen zu überbrücken? Ich finde das etwas weit gefasst, in jeder Hinsicht. So eine Zeit kann sich, je nach Ehe-Status oder Fälschungqualität des bei Single-Börsen eingestellten Fahnde-mich-Fotos, ganz schön hinziehen. Und die Möglichkeiten des Zeitvertreibs sind zu immens, gerade angesichts des erwähnten Fernsehers.

Die "Ursuppe beim Urknall" fand ich rätselhafterweise eine hervorragende Lösung, vor allem die Idee, es handle sich nicht um einen ekligen Schleim, sondern um etwas Frisches, Trinkbares ... und dennoch: falsch. Was *passiert(e)* hier? Nicht die Ursuppe, jedenfalls, die uns der Schöpfer eingebrockt hat, und die wir zwischen zwei Orgasmen fernsehend auslöffeln müssen.

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