Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #20

Ehe der Hahn dreimal tropft ...

Handwerk hat goldenen Boden. Das kann jeder bestätigen, der eine Küche ohne rechtsverbindlichen Kostenvoranschlag einbauen ließ. Warum das so ist? Es liegt am Verfall!    04.03.2010

Der Genius eines Kolumnisten liegt auch darin begründet, daß er jederzeit und überall eine Kolumne schreiben kann. Ich zum Beispiel befinde mich im Augenblick auf dem Folterstuhl eines Zahnarzts. Über mich beugt sich eine im Prinzip aufregende Blondine, die allerdings einen transparenten Helm trägt, was gewisse Phantasien doch stark limitiert. Doch nicht allein das schmälert ihre Attraktivität, es ist auch der Umstand, daß sie mit einer hochfrequent sirrenden Stahlspitze in meinen Zahnfleischtaschen herumfuhrwerkt, um aus den Zwischenräumen meiner Zähne den mittlerweile fast mittelalterlichen Weinstein herauszubrechen.

Intellektuelle Hypochonder reden sich gern ein, diese schmerzhafte Prozedur diene der dentalen Prävention. Ich bin keiner von denen. Auch kein Masochist. Ich weiß einfach, daß es wirkt, ja wirken muß! Jedenfalls schmerzt es so sehr, daß man sich eine Wirkung herbeiwünscht ... Und von welchem homöopathischen Placebo kann man denn schon behaupten, daß es derart effektiv einen Heilungswunsch im Patienten auslöst? Der mit der Prophylaxe einhergehende unerträgliche Schmerz ist für einen Top-Kolumnisten ohnehin kein Problem. Kraft seiner Konzentration formuliert er die Kolumne einfach im Kopfe, so wie ich jetzt, und tippt sie später einfach nur noch ab, das ist dann nur noch ein Klacks.

 

Ich habe Ihnen nun schon einige Male eine aufregende Sexkolumne in Aussicht gestellt: warum Zahnfleisch eine erogene Zone ist, schmutzige Stellungen in Praxisstühlen, Toys aus Plastik und Metall - all das. Daraus wird aber leider nichts, denn die Frau mit der einzigen Zahnbürste, die tatsächlich gegen Zahnstein hilft, schaltet jetzt auf eine Art Sandstrahler um (Sie sehen, ich formuliere dies wirklich live!). Dabei wird der Zahn mit einer extrem salzhaltigen Lösung beschossen, die natürlich arktisch temperiert ist, sodaß man das Gefühl hat, ein glühender Geier zerrte einem den blanken Nerv aus jenem Zahn, den eine Handvoll durchgedrehter CERN-Physiker vorher bis zum absoluten Nullpunkt abgekühlt haben.

Damit erwähnte Salzlösung nicht so eklig schmeckt, gab man dem Salzwasser bis vor kurzem ein leichtes Zitronenaroma bei. Das schmeckte natürlich auch wieder etwas eklig, war allerdings nichts im Vergleich zu "Tropical Fruit", mit dem mich die schöne Blonde im weißen Medizin-Dreß (hab´ ich schon einen Fetisch?) das letzte Mal gequält hat. Auch heute wieder stellt sie (Sie sehen: alles live!) ihren Sandstrahler an, und plötzlich würgt es mich.

 

  • Hggrrll! Hglllhh!, gurgle ich.
  • Ja, ich weiß, sagt sie. Es ist wirklich schlimm. Kirsche, stellen Sie sich das mal vor! Und ich muß das stinkende Zeug den ganzen Tag in ungepflegte Mundhöhlen spritzen, mein Lieber, Spaß ist das keiner!

 

Sie hat ja so recht. Das Leben ist keine Manner-Schnitte. Man muß sich durchbeißen. Aber wie, wenn doch die Zähne vom ständigen Verfall bedroht sind und reihenweise aus dem Kiefer brechen? Nehmen Sie mal einen Haifisch: Der hat´s gut, bei dem wächst eine Zahnreihe nach der anderen von hinten nach. Ich sage Ihnen: So einer tut sich leicht, ständig sein Maul aufzureißen. Aber die im knappen Bikini strampelnde Synchronschwimmerin über ihm, die ist dental gesehen einfach nicht die Krone der Schöpfung, da hilft auch keine Zahnseide.

Irgendwann beugt sich dann der graumelierte Dr. über mich, mit einer gigantischen Lesebrillensuperlupe, als hätte ich Edelsteine im Mund und er würde sie auf Echtheit prüfen wollen.

 

  • Setzen Sie mal den Vierer auf Grün, sagt er konzentriert zur Entkalkerin, ohne mich auch nur eines Wortes zu würdigen.

 

Vierer auf Grün (oder so ähnlich). Mir wird klar, daß ich bald wieder einen Zahn los sein werde. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, man muß sich das einfach eingestehen: Was wegbricht, ist weg - ganz egal, ob Wirtschaftszweige oder Zahnhälften. Der Moder ist nicht aufzuhalten, in den Gesichtern der Jugend überall Siechtum und Degeneration, die gnadenlose Fäulnis schlägt ihre schmierig-grauen Hauer noch in das unschuldigste Lamm auf Erden. Wo man hinschaut, Agonie und Niedergang, hastig überklebt mit Werbeplakaten für die letzten schalen Vergnügungen vor dem Ende. Meist cineastische Bemühungen zweifelhafter Qualität, nominiert für SFX-Oscars.

Würde ich einen Film drehen, in dem ich den Zerfall einer Ehe subtil darstellen wollte, dann würde ich beide Hälften des Ehepaars zeigen, wie sie beim Vollzug des Liebesakts lustlos Belanglosigkeiten geringer Bedeutungskonzentration ins Smartphone twittern, während sich um sie herum quietschend die Schrauben aus den Ikea-Möbeln drehen. Wahnsinnig subtil, oder? Auch der Rest der Doppelhaushälfte zerfällt: Erst tropft dreimal der Hahn, dann fällt die Waschmaschine aus, der PC hat einen Virus, und am Ende bricht der ganze Stadtteil effektvoll in sich zusammen. Das gab mir letztens zu denken, als ich mit meiner Freundin gemütlich Nüsse naschend vor dem heiter-leichten Liebesfilm "Visitor Q" saß und wieder einmal der Spülkasten dräuend zu plätschern begann.

 

  • Der Spülkasten plätschert.
  • Ich höre es.

 

Es war natürlich nicht der Spülkasten selbst, der unseren intellektuellen Diskurs unterbrach, sondern das Wasser in ihm, und es plätscherte nach unten in das Loch, in das man sonst hineinscheißt, aber das ändert ja nichts an der groben Marschrichtung: Es geht allenthalben abwärts, genau wie in dem Spucknapf, in den ich nun (live!) die schmackhaften Reste des Fluors speie, mit dem meine Zähne eingepinselt wurden, um den endgültigen Zusammenbruch meiner versehrten Beißmechanik noch ein paar Monate hinauszuzögern.

Der Klempner, dieser überteuerte Sauhund, meinte dann angesichts unseres Porzellan-Aborts, er könnte da nichts tun, es habe sich reichlich Kalk angesetzt, sozusagen der Zahnstein des Aborts. Eine ganze Tropfsteinhöhle hätte sich in unserem Spülkasten eingenistet. "Da haben Sie ja richtig Besuch aus Postojna!" witzelte er, und in diesem Augenblick fiel mir auch sein leichter Akzent auf, und ich prüfte, ob mein Geldbeutel noch in der Tasche steckte. Das müsse man jedenfalls komplett austauschen, behauptete der Handwerker weiter und hortete im Geiste sicher schon die Honorardukaten, aus denen er seinen goldenen Boden gießen würde.

 

Es ist jedenfalls typisch: Zähne zerfallen - Zahnstein nicht. Die Waschmaschine löst sich auf - der Kalk in ihr bleibt stabil. Und damit Salzlauge besser schmeckt, mischt jemand künstliches Kirscharoma bei. Ehe ich mir vor dem Verlassen der zahnärztlichen Praxis Gogols Mantel umwerfe, herrsche ich die Assistentin am Empfang noch an: "Wollen Sie mir ernsthaft einreden, da stecke kein teuflischer Plan dahinter?" Sie schaut mir ahnungslos hinterher, stellvertretend für die Restmenschheit.

 

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Zum Bilderrätsel:

Welche US-Serie verdankt einem Griechen im gezeigten Gegenstand ihren Titel?

Andreas Winterer

Kommentare_

Alban Derschowieder - 04.03.2010 : 22.35
EUReKA.
Das war zu leicht.
P.S.: Archimedes kann nur im Sinne der Antike als Grieche bezeichnet werden: er lebte in Sizilien. Seine Heimatstadt Syrakus war zwar eine dorische Kolonie (8.Jhd.v.Chr.), wurde jedoch schon 405v. von den Karthagern besetzt und fiel zu seinen Lebzeiten - trotz der von ihm erdachten Verteidigungsanlagen - 212v. an Rom.
DerKolumnist - 05.03.2010 : 11.11
Wusste ich selbstverständlich _alles_. War ja wohl hoffentlich klar und wurde ja wohl hoffentlich nie angezweifelt.

Denn: Die Stadt fiel 212vC an Rom, richtigrichtig, aber nicht zufällig im selben Jahr starb Archimedes durch die Hand eines erbosten Unterschichten-Römers, der den ihm zugezischten Ruf "Störe meine Kreise nicht!" („Noli turbare circulos meos!“) des gerade konzentriert die Quadratur des Kreises lösen wollenden Archimedes mangels Kenntnissen des Großen Latinum als Beleidigung seiner Mutter missverstanden und den Dolch aus dem Gewande gezückt hatte, im konkreten Fall ein Stilett, das ein Zeitreisender aus dem 16 Jhdt. in Rom liegen gelassen hatte.

Ich bin mir also nicht sicher, ob Archimedes nicht doch auch heute noch, unter gewissen Umständen, etwa, träte er in Talkshows auf, behaupten würde, er sei zwar, natürlich, vor allem Europäer, aber er fühlte sich doch, letztlich, am Ende des Tages, Griechenland irgendwie näher als Italien, Staatsbankrott hin oder her.
Derschowieder - 05.03.2010 : 17.19
Bei dem Stilett handelte es sich in Wahrheit um einen (siebenfach gewellten) Kris; der Zeitreisende stammte nämlich aus Malaysia - genauer gesagt, aus dem Fürstentum Kedah. Daß Archimedes sich zweifellos - hier muß ich Ihnen zustimmen - auch damals Griechenland näher fühlte als Rom, legt schon der gesuchte Ausdruck nahe; sonst hätte er eher "Inveni!" rufen müssen. Das war auch das Problem mit dem Soldaten (er hieß übrigens Gaius Bistdus): der Gelehrte schnauzte ihn nämlich mit den Worten "Mē tous kýklous táratte!" an, was der Römer als Beleidigung seiner Mutter und seiner Schwester verstand.
DerKolumnist - 06.03.2010 : 18.46
Man wird so alt wie eine Kuh und lernt immer noch was dazu!
Derschowieder - 07.03.2010 : 21.57
... womit die Sentenz "Quod licet Jovi, non licet bovi" ad absurdum geführt sein dürfte (um einen römischen Sklaven negroider Abkunft zu zitieren, der wenige Jahrzehnte nach Archimedes' Tod das Licht der Welt erblickte).
Ich möchte Ihnen zudem an dieser Stelle meinen Dank für die inhärenten Weisheiten Ihrer abgründigen Kolumne aussprechen; sie ist mir ein stets erfrischender Quell sublimer Freuden. Meine Verehrung!

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