Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #12

Meinungen, die die Welt nicht braucht

Oregano gehört in jede Tomatensoße. Abtreibung ist super, Religion doof, und was wirklich fehlt, das sind Atomkraftwerke. Falls Sie meine Meinung dazu hören wollen ...    13.08.2009

Ich glaube, es war der amerikanische Philosoph Insp. Harry Callahan, der folgenden Satz äußerte: "Meinungen sind wie Arschlöcher: Jeder hat eines." Der Spruch gehört sicher nicht zu seinen stärksten Onelinern (und klingt obendrein im US-Original besser), aber das sollte niemanden davon abhalten, "Dirty Harry" als Gottheit zu verehren, wie sich das gehört. Soweit jedenfalls meine fünf Eurocent von Meinung.

Weil es so viele Meinungen gibt, ist die Meinungskolumne besonders beliebt, vor allem bei Autoren, weil ja ohnehin kein Mensch wissen will, was die in Wirklichkeit denken. Ich zum Beispiel bin der Meinung, daß die Harry-Potter-Filme bisher doch irgendwie alle ganz nett waren. Und ich bin außerdem der felsenfesten Überzeugung - und werde davon auch kein Iota abrücken -, daß in eine ordentliche Nudelsoße all´arrabbiata unbedingt ein bißchen zu viel Oregano reinmuß. Beides interessiert natürlich keine Sau, ist viel zu harmlos, aber probieren Sie das mal, das mit dem Oregano!

Spalten muß man! Je kontroverser, desto mehr Klicks! Abtreibung zum Beispiel finde ich super. Man denke nur an die derzeitigen Stars der internationalen Diktatoren- und Atomraketenspinner-Szene, und wie wenig wir sie vermissen würden, hätten ihre Mütter sie abgetrieben. Religion wiederum finde ich absolut überflüssig, der entsprechende Unterricht gehört durch ein Fach namens "Aufklärung" ersetzt, und daß das nicht schon lange so ist, ist eigentlich ein Riesenskandal. Etwa so schlimm, wie eine Tomatensauce zu machen, ohne wenigstens ein einziges Lorbeerblatt zu verwenden.

Atomkraft hingegen finde ich wiederum super, aber nur, weil man damit so schön jeden gewaltfrei-vegetarischen Grillabend sprengen kann. Da gehe ich immer ganz taktisch vor: Erst wünsche ich "alternativen Energien" (die übrigens meiner Meinung nach dringend ein alternatives Wording brauchen) mit angestrengt erhobenem Daumen und leicht mitleidvollem Blick viel Glück, etwa so, als reichte ich dem alten Obi Wahn sein solarzellenbetriebenes Lichtschwert und schickte ihn zu seinem letzten Gefecht gegen Darth Vader. Und dann fordere ich lauthals "Atomkraftwerke!" Prompt schwingen grüne Langhaarträger müslispuckend die Tschernobyl-Keule, doch dann sage ich: "Tschernobyl, ha! Ich war damals dabei! Und? Hat es mir etwa geschadet? Sieht hier jemand einen dritten Arm, ein viertes Auge? Eben!" Leider macht das heute keinen Spaß mehr, weil auf den Parties neuerdings immer öfter Leute auftauchen, die das nicht mehr aus Spaß äußern, sondern weil sie von Energiekonzernen Geld dafür kriegen.

Ich bin daher nun einfach Gegner von Solarstrom aus der Wüste. Reiner Hype, finde ich, und wo man am Ende die ganzen Solarzellen endlagert, hat auch noch keiner geklärt. Ich stehe nicht alleine da, denn eigene Meinungen sind derzeit ziemlich hip. Zum Beispiel hat man früher einfach mal eine Schallplatte, ein Buch oder einen "Stereo Cassette Player" gekauft, und alles war gut. Heute muß man danach sofort zu Amazon surfen und seine Gedanken darüber kundtun. Was meist nichts anderes bedeutet, als sich mal ordentlich Luft zu machen über den ach so schlechten 19-Euro-MP3-Player aus China, natürlich unter völligem Verzicht auf Rechtschreibung und jede sprachliche Kunst.

Die Medien 2.0 bescheren uns eine regelrechte Meinungsflut! Unbedeutende Zeitungen, die sich vor ihrem sicheren Tod ins Regionale retten wollen, bringen immer öfter Seiten, in denen zehn Köpfe aus der Innenstadt hilflose Statements von sich geben dürfen. "Wie machen Sie denn Ihre Tomatensauce?" fragt die Zeitung, und zehn zufällig ausgewählte Mikrowellen-Junkpizza-Bäcker geben dann völlig verschiedene Rezepte, meist entsetzlich ahnungslose. Wer soll sich da noch zurechtfinden?

Der Drang, seine Meinung loszuwerden, ist inzwischen so enorm groß, daß die Leute im Vorbei-Surfen ihren Meinungsharn im Web lassen und damit Blogs und Kolumnen und deren Kommentare füllen. Wie bei Massenphänomenen üblich, bilden sich bereits Spezialisierungen aus. Die herrschende Meinung unterdrückt das, was die Leute hinter vorgehaltener Hand meinen, während Fach- und Lehrmeinungen auf Kongressen lautstark geteilter Meinung sind (aber hinterher leise und einhellig die Pasta-Buffets abkahlen, hoffentlich solche mit vernünftigen Tomatensaucen).

Immer öfter wird der Ruf laut nach einer zuverlässigen Einheitsmeinung für alle, einer Meinung, die jeder mündige Bürger ohne großes Risiko haben kann. Plus eine zweite Meinung, die man einholen kann, falls die erste überraschend in Ungnade gefallen ist. So etwas erzeugt natürlich einen enormen Meinungsbedarf. Man könnte das Zeug daher in China fertigen lassen, da die fleißigen Asiaten gewiß Milliarden davon haben.

Aber wer will schon Billigmeinungen aus Fernost? Wenn jeder so eine haben könnte, würde man die wahre Elite bald nur noch daran erkennen, daß sie keine eigene Meinung hat. (Möglicherweise ist es schon längst soweit, und wir haben es nur noch nicht bemerkt?) So beschließe daher nun auch ich, allen Meinungen komplett zu entsagen und künftig einfach nur noch recht zu haben, ohne näher zu erläutern, womit.

 

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"Endlich!" werden Sie sagen. "Das Bilderrätsel!"

 

Was möchte uns der Kneipier damit bloß sagen?

Andreas Winterer

Kommentare_

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