Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #7

Ein zu lang geratenes Plädoyer für probiotische Joghurtdrinks und Smoothies

Vergessen Sie Äpfel und Zucchini. Burger machen schlank, und mit einer Flasche Bordeaux vor dem Zubettgehen schläft sich der Körper nachts von selbst fit. Und das ist noch nicht alles ...    21.05.2009

Die Newtons und Einsteins und Heisenbergs dieser Welt, die Weisen und Klugen, den Sokratiker und Platoniker unseres Alltags - Ihnen ist diese Kolumne gewidmet. Denn sie wissen alles. Besser. Knoblauch reinigt die Blutgefäße, schrieben sie, und einige Gefäßbesorgte schmierten sich das Zeug knollenweise gepreßt aufs Brot - sehr zum Leidwesen derer, die am nächsten Morgen das U-Bahn-Abteil mit ihnen teilen mußten. Fleisch ist böse und Salat gut, das erzählten uns unsere Ehefrauen, wonach uns nur noch ein Triple-Bacon-Megaburger samt Scheidung vom Glück trennte. Ein regelmäßiger Einlauf sei gesund, rhabarberten unser Kurpfuscher - und wir griffen schafsbrav zum Klistier. Viel trinken, predigten die Pharma-Schamanen in den Verhörstühlen des organisierten Siechtums, aber von Wein war nicht die Rede. Zu viel Kaffee ist schädlich, tönte es fröhlich im Riesel-Radio, und wir stellten folgsam auf Schwarztee um ... bis auch der schädlich war, ebenso wie der Kakao ... und nun trinken wir morgens ein Glas Wasser. Natürlich warm, mit politisch korrekt gebrautem Apfelessig, denn das ist gesund. (Glaubt man. Derzeit. Noch.)

Glauben ist das neue wissen. Jahrelang glaubten wir den Besserwissern alles. Bis noch schlauere, jüngere, dynamischere Besserwisser kamen, die nun das Gegenteil verbreiten: "Mythos Knoblauch" heißt es jetzt - und die Knolle wird plötzlich verdammt. "Die Renaissance der dunklen Bohne" kündet vom doppelten Espresso als Herz-Kreislauf-Therapie. "Die Salat-Lüge" enttarnt das fade Kräuterzeug endlich als das, was es schon immer war: Eßpapier ohne Geschmack, völlig mineralstoffrei. Und das, wo doch gerade die Mikro-Mineralien sooo wichtig sind.

Aber vielleicht wird die Rolle der Mikro-Mineralien auch überschätzt. Wer weiß das schon? Ohnehin nur die Besserwisser. "Spinat ist gar nicht so gesund, wie man immer sagt ...", fröhlichte mir neulich ein Radiomoderator auf Johanniskraut ins Ohr, während ich auf dem Weg ins Büro im Smog-Stau festsaß und nervös die dritte Vitamin-B12-Kräuterette rauchte. "Eigentlich können Menschen Kuhmilch gar nicht verdauen", las ich später, einen Spa-Grüntee (eventuell nicht so gesund, wie man annimmt?) trinkend, in einem klugen Blog und fragte mich, ob ich eventuell ein Mutant bin, denn mir gelingt die Milchverdauung seit meiner Kindheit. "Schokolade ist überraschenderweise doch gut für die Zähne!" twitterte jemand, der hündisch ergeben auch gleich einen Link mitlieferte, um diese Behauptung zu belegen, die wiederum der Zahl meiner Kronen widerspricht. (Der Trick ist übrigens, nach dem Verzehr der Schokolade die Zähne zu putzen. Obwohl auch zu viel Schrubben gefährlich sein kann ...)

Wie man neuerdings weiß, ist sogar Wissen gesundheitsschädlich. Gedankenexperiment: Man schlaucht sich morgens im Büro den sündteuren Frucht-Smoothie rein, in der Hoffnung, das wäre jene "tägliche Portion Obst", zu der der besorgt stirnrunzelnde Arzt angesichts der letzten Blutwerte geraten hatte. Wer Smoothies drinkt, hat gute Laune und das Gefühl, sich etwas Hochwertiges gegönnt zu haben - mehr können "Wellness"-Produkte ja wohl nicht leisten. Doch nein & aber ach!, schon steht The Grand Klugscheißer im Raum und muß unbedingt sein intellektuelles Wasser am Urinal unseres Schreibtischs lassen: Das alles wäre ganz großer Etikettenschwindel, und man äße künstliches Fallobst mit negativem Nährwert, überteuert noch dazu, strahlenverseucht, genetisch durchseucht. Danach geht´s wohl jedem schlecht, der seit einem Jahr täglich zwei Euro für seine Smoothies hingeblättert hat. Denn merke: Solch unerwünschtes Wissen macht krank. Kann man diese Besserwisser eigentlich wegen Körperverletzung anzeigen?

Wissen ist völlig überschätzt. "Ich weiß, daß ich nichts weiß", soll Sokrates laut Platon gesagt haben. Alle halten das für wirklich weises Zeug, dennoch hört man diesen Satz viel zu selten in Meetings, wo alle stets etwas wissen und doch keiner weiß, worum es eigentlich gerade geht. Derjenige, der das Meeting einberufen hat, weiß auch nicht weiter, es sei denn, er ist Wissenschaftler. Denken Sie nur an diese tollen Bakterien, die Ihren Darm aufräumen, wenn Sie nur genug von diesem probiotischen Trinkjoghurt in sich hineinkippen. Ich kam mir vor wie Stephen Hawking, als mir - nicht zuletzt dank der höchst wissenschaftlichen Infographiken im Werbefernsehen - klar wurde, das ich nicht etwa einen bakteriellen Infekt esse, sondern nutzbringende Bazillen, eine intelligente Kultur von willigen Symbionten, grüne Nanotechnologie! Kaum stellte ich, derart zielführend informiert, meine Ernährung komplett auf Total-Defense-Abwehr-Joghurts um, moserten schon die Besserwisser: alles Unsinn, ich könne genauso gut den billigsten Billigjoghurt essen. Und gegen Verstopfung würde auch helfen, weniger Schokolade und Burger zu verspeisen und ab und zu mal den Hintern zu bewegen, weg vom Bildschirm (zu unrecht verdammt: Displays steigern möglicherweise das Sehvermögen?). Nun bietet der Joghurtdrink-Hersteller auf seiner Website ein Heer von Weißkitteln auf, während der Klugscheißer nur ein häßlicher Mitmensch mit Stirnglatze ist, der leider täglich dasselbe Café besucht wie ich selbst. Wem soll ich nun glauben? Ihm oder den Flash-animierten Wissenschaftlern?

Oft reicht ein gesundes Halbwissen. "Verwirr mich nicht mit Fakten!" sagte mein früherer Chef immer. Ich selbst finde auch, daß man sich von recherchierten Tatsachen seine aus Vorurteilen zusammengeklaute Story nicht kaputtmachen lassen sollte. Zum Beispiel sagten die Fakten in den 70er Jahren, daß wir auf eine neue Eiszeit zusteuern würden wie ein Stück Treibholz auf die Niagarafälle. Die Polkappen würden ruck-zuck überfrieren, die Meeresspiegel gurgelnd absacken, wir stünden in Rimini im Nu in Badehose auf dem Trockenen, Hungersnöte und Revolutionen wären die unvermeidliche Folge ... Das glauben Sie nicht? Stimmt aber. Man hat es nur vergessen, weil heute die Temperatur steigt - Erderwärmung? Quatsch: Frühling! - und die Eiskappen jetzt schneller schmelzen, als selbst Schokolade in der zunehmenden Bruthitze kalben kann. Immerhin: Joghurtdrink-Knappheit, Smoothie-Nöte und Revolutionen sind laut Experten nach wie vor die Folgen, auf die wir uns einstellen müssen. Zumindest, soweit man das heute weiß. Was also nichts wert ist.

Wissen wird oft mit Fakten verwechselt. Die Redewendung "in keinster Weise" gilt bei Besserwissenden zum Beispiel als Musterbeispiel vertrottelter Sprachbemühungen. Weil sich "keiner" nicht steigern läßt: Wenn "keiner" diese Kolumne läse, dann wäre das bereits das absolute Minimum - weniger ginge nicht. Fakt ist: Ich weißer das, und es ist mir noch egaler als sonster. Ich werde mich von "Herr-Lehrer!-Ich-weiß-was!"-Obergescheiten gleichwelchester Art niemalst und in allerstkeinstester Weise davon abbringen lassen, Dinge, die sich nicht steigern lassen, dennoch zu steigern.

Ich bin befreit von den Fesseln des Wissens. Ich bade, ja, suhle in gesünderem Nichtwissen und allergesundestem Nichtswissenst. Ich trinke meine tägliche Portion Obst (steigerbar zu: Obstest) und verteidige meinen Darm mit Joghurt-Bazillophagen, die Danone in einer faden Zuckerplörre verabreicht, deren Packung schwer zu öffnen ist und die nach einem einzigen Schlürfer im Müll landet. Wenn ein Katarrh sich ankündigt, dann löse ich mir eine Multivitamin-Brausetablette auf und trinke das eklige Zeug bis zur süßen Neige, denn das verstärkt die Joghurt-Abwehr. Und wenn dann doch die Grippe kommt, lege ich mich mit Wick MediNait drei Tage ins Bett, dazu Echinacea satt und tagsüber Wick DayMed, Mythos Vitamin-Lüge hin oder her. Nebenwirkungen? Was mich nicht umbringt, macht mich härter!

Ich weiß: Schwarze Löcher gibt es gar nicht, und dunkle Materie ist in Wirklichkeit hell. Es sterben mehr Menschen durch Kokosnüsse, die ihnen auf den Kopf fallen, als durch Haifische. Fett ist gesund, gerade das tierische, in dem Pommes brutzeln. Kochsalz senkt den Blutdruck und reinigt die Nieren, wer hätte das gedacht?! Die Welt wird zwar tatsächlich seit Jahrhunderten von Illuminaten regiert, aber auch die haben gerade eine Regierungskrise. Saurer Regen wird jetzt dann doch jeden Augenblick alle Bäume killen, und das ist gut so, denn der Sauerstoffwert in der Atmosphäre nimmt bedrohliche Züge an. Das Ozonloch ist in Wirklichkeit kein Loch, sondern die restliche Welt leidet in Wirklichkeit unter einer verdickten Ozonschicht, nur die Antarktis ist davon verschont geblieben. Eine Flasche Rotwein am Abend hält die Gehirnzellen jung, besser noch ist ein regelmäßiger Vollabsturz, möglichst mit leckeren Drinks, etwa Wodka Porno. Die Kopfschmerztabletten am nächsten Tag halten übrigens die Leber jung und machen intelligent - genauso wie First-Person-Shooter und Comics. Der "Oil Peak" kommt erst 2060, also fahren Sie ruhig noch mal ins Grüne!

Ich wette, daß jeder dieser "Fakten" in den kommenden 700 Jahren mindestens einmal als "wahr" durch die Medien geistern wird, nur um danach "widerlegt" zu werden. Woraus folgt, daß es völlig gleichgültig ist, was ich glaube - es ist ohnehin nur Hype, Konterhype, Illusion, Propaganda - oder ausnahmsweise, aber nur zufällig richtig. Darauf einen Dujardin ...

 

--

 

Es ist mir ein Rätsel, warum werdende Nichtraucher dieses stinkende Zeug dampfen und sich parallel mit Nikotinpflastern dopen, statt entweder einfach aufzuhören - oder verdammt nochmal weiterzuschloten wie ein Mann!

Andreas Winterer

Kommentare_

saxolady - 22.05.2009 : 23.08
Wunderbar!
Treffend, treffender, perfekt!
Meine rasenden freundinnen werden ihre soja-milchprodukte in ihren eigenen kaffee schütten müssen, denn jetzt hab ich argumente. also, nein. die hatte ich ja vorher auch, aber jetzt hab ich sie von jemand anders in schriftform.
in verbundenster Dankbarkeit
saxo
eva - 25.05.2009 : 14.22
danke für diesen wunderbaren artikel!!!
ich habe ihn sehrst genossen!

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #55

Aussterben, Toxoplasma gondii & Coronuminatus!

Das Ende war verführerisch nah, aber leider geht die Welt schon wieder nicht unter. Irgendwie mindestens teilbedauerlich. Eine Bestandsaufnahme mit tagebuchartigen Einsprengseln und völlig unbegründeten Hawaii-Erwähnungen.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #54

Ulysses versus Bonanza

Einsames Aufräumen ist das gemeinschaftliche Feiern unserer Zeit. Entsprechend miste auch ich ununterbrochen aus - Medien zum Beispiel, weil die sowieso verzichtbar sind. Vor allem Bücher werden völlig überschätzt.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #53

Sie müssen heute mal ohne diese Kolumne auskommen

Einige wenige Wohlgesonnene, es werden wöchentlich weniger, warten seit gefühlten Äonen auf diese neue Kolumne - und dabei wird es auch bleiben, und ich rate sowieso ab.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #52

Entfolgen: einer der wenigen Vorteile des Alters

Immer wieder ist von junger Literatur die Rede, und wenn davon die Rede ist, dann nicht von uns. Und das ist nur einer der vielen Vorteile des Alters, über die unser gealterter Star-Kolumnist Sie heute informieren wird.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #51

Kolumnist schreibt erstmals was zu K2-18b auf unnötigen Kanälen

Wenn Sie nicht wissen, was "Social Media" oder "K2-18b" sind, dann können Sie eigentlich gleich aufhören zu lesen. Aber auch sonst raten wir wie immer von der Lektüre dieser irrelevanten Kolumne ab, in der es zwar heute mal um was geht, aber um nichts Wichtiges.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #50

Das Leben ist ja doch ein Ponyhof!

Immer wieder fallen uns Sprachzombies mit halbverrotteten Phrasen an. Zumindest dieser einen sollten wir einen Headshot verpassen.