Kolumnen_Kochlumnen, die die Welt nicht braucht #23
Durchbohren Sie mich bitte nicht mit Rosmarin!
Kolumnen, die die Welt nicht braucht - das sind zum Beispiel solche über Essen und Trinken. Daher heute frische und feine Anmerkungen zum Thema Fish & Chips und über die blöden Minzblätter, die immerzu im Sorbet stecken. 05.08.2010
Falls Sie den Fernseher nicht längst mit aus den Ohren rausblubberndem Hirn aus dem geschlossenen Fenster geschmissen haben, wird Ihnen vielleicht das vermehrt penetrante Auftreten von Köchen aufgefallen sein. Die brutzelnden Weißkittel stören unseren Fernseh-Schlaf, plappern via Radio den (unschuldigen!) Äther voll und machen mit ihren hilfreichen Äußerungen auch noch die bunten Zeitungen kaputt. Bestimmt bloggen sie längst blanchiert, podcasten gepfeffert, twittern auf Thymian-Basis und haben überbackene "Gefällt mir"-Buttons. Köche, Köche, Köche - wohin man blickt, nur selbstsicheres Geschnippel und eitles Abgeschmecke, es ist die Pest.
Schon am Morgen wässern sie uns bereits jenen Mund, in dem wir noch mühsam das politisch korrekte Müsli zermahlen, mit dem uns unsere um unsere Gesundheit, mehr noch um unsere CO2-Bilanz besorgten Veganer-Freundinnen und Lebensabschnittsmitköchinnen quälen.
Mittags rühren die Fernsehköche schon wieder begeistert in thermalbadartig blubbernden Soßen, während wir traurig in eine Büchse trister Instant-Ravioli schielen, die in etwas schwimmen, das die Packung kühn "Napoli-Sauce" nennt - als ob das graue Sugo je etwas weniger Trostloses gesehen hätte als die verschmutzten Innenwände osteuropäischer Fabrikshallen.
Und am Abend schließlich quirlen die Fernsehköche mit dem Schneebesen provozierend beiläufig Dinge auf, die ihrerseits stets nur bescheidene Schaumbeilagen sind zu irgendwas anderem Locker-Leckerem und Luftig-Leichtem, dessen Anblick uns düster zur Frau auf dem TV-Canapé links von uns blicken läßt, mit einem Jackfrucht-Hundsknofel-Pringle zweifelhafter biochemischer Herkunft die Frage hinunterschluckend, warum wir ausgerechnet sie geheiratet haben - und nicht jene scharfe Lissie, die schon als deftiger Teenager verheißungsvoll mit Eiern umzugehen wußte.
Der Koch, das ist heute der Messias der gastronomischen Kirche. Leider findet sich niemand mit Hammer und Nagel. Im Gegenteil: Immer öfter werden Köche sogar von Wirtschaftslenkern befragt, geben Statements zur politischen Geschmacksentwicklung, beraten den Papst und gelten durch ihren Einfluß bei der europäischen Raumfahrtbehörde als Architekten des bemannten Marsflugs auf Basis des molekularküchengespeisten FTL-Antriebs.
Das war nicht immer so: Köche kannte man ursprünglich als mürrische Untermenschen. Die grauen Gnome arbeiteten in der Küche, genau wie Abfluß und Geschirrspüler. Man ließ die töpfeschwingenden Trolle nicht heraus, zu uns, den Kunden, die damals noch Könige waren. Man schickte stattdessen freundliches und hübsches Servicepersonal, das sich unsere Verwünschungen - das Steak ist zu roh, zu medium, zu durch; das Gratin ist zu salzig, zu rahmig, zu fad; die Sauce zu fett oder zu mager ... - lächelnd anhörte, freilich ohne unser Genörgel an die Küche weiterzuleiten. (Für diese fast schon katholische Diskretion gaben wir gerne Trinkgeld!)
In seltenen Fällen sah man einen Koch vor dem Hintereingang lungern. Das war meist eine Zumutung, denn der real auftretende Koch ist ein tückisch blinzelndes Wesen, schiach und unrasiert, in einer nur noch stellenweise karierten Hose, mit schrecklichen Birkenstock-Sandalen oder gar Clogs, in einem vor einem Monat noch weiß gewesenen Kittel. Die schmierigen Haare hat er gelegentlich unter eine Kochmütze gezwängt (auch bei Nobelrestaurants eher die Ausnahme), er raucht oft filterlose Gitanes Maïs und hustet sich immer wieder etwas hörbar Zähflüssiges in die Hand. Was als Erklärung dafür dienen muß, warum Mango-Kümmel-Espuma und Anchovis-Zimt-Schaumsuppe stets einen Beigeschmack hatten.
Gute alte Zeit, als das alles war, was man vom Küchenpersonal zu sehen bekam. Heute ist der Koch der King und die Küche ein heiliger Ort, den neben den Köchen nur noch handselektierte Abwäscher betreten dürfen. Der Besitzer des Restaurants wird hingegen in die Flucht geschlagen; er könnte ja mit seinen weltlichen betriebswirtschaftlichen Erwägungen die Phantasie des Kochs stören. Indes ist das auf heutigen Speisekarten notierte Menü ohnehin meist nur noch insofern phantasievoll, als es Phantasiepreise ansetzt. Günstigerenfalls blendet es mit ausgefallenen Bezeichnungen, etwa einer Dorade royal avec maïs du boîte sur pomme de terre ou patate. Klingt nach gonflée cuisine, entpuppt sich dann aber als ledscherte Fischstäbchen mit Dosenmais und Pommes frites. Natürlich nicht nebeneinander auf dem Teller drapiert, sondern übereinandergestapelt, und um der Stabilität willen mit einem Zweig Thymian oder Rosmarin durchstochen.
Dieser elende Zweig Rosmarin! Was macht man nur mit diesem unverdaulichen Ast? Nagt man auf dem Holzding herum und saugt das Harz raus oder was? Möchte der Koch, daß wir ihm damit den Hintern versohlen, wie er es verdient hätte? Was stellen sich diese Küchenschaben eigentlich vor?
Und überhaupt: Wieso sind die Shrimps nie ausgelöst? Was soll dieses blöde Salatblatt am Tellerrand, das vor sich hin welkt wie die gastronomisch hyperpräsente Rauke in der Taklamakan-Wüste? Wieso kocht heute keiner mehr Gemüse, wieso muß alles so verdammt roh sein? Und warum gibt es kein einziges Dessert mehr ohne diese schäbige Deko-Scheibe Karambole? Wer steckt immer dieses Minzblattzeug in die Nachspeisen? Warum können die Superköche nie die Wurzel einer Erdbeere wegschneiden (es sei denn, sie vernichten die Erdbeere in heißem Essig)? Wieso heißt Essig heute nur noch "Balsamico" und wieso kommt er immer öfter aus der Tube? Wieso schlängelt sich das saure Tubenbraun dauernd grundlos am Tellerrand, und wieso in Tribal-Mustern, die sich tätowierte Teens selbst unter Drogen schamvoll wieder entfernen lassen würden?
Zugegeben, der moderne Edelküchen-Koch pfuscht wenigstens auf hohem Niveau und serviert, ohne mit der Wimper zu zucken, Ananas-Chili-Gemüse an Schoko-Lamm und danach Chorizo-Riojano-Eis mit Walfischspermaschaum. Das mag nicht schmecken, ist aber immerhin aufrichtig um sowas ähnliches wie Originalität bemüht.
Anders der Fernsehkoch. Haben Sie je in einem Restaurant gegessen, in dem so ein TV-Tellermeister angeblich kocht? Ganz gewiß nicht, da diese Köche die Küche transzendiert und hinter sich gelassen haben; einige haben sie sogar sicher komplett ausgelassen. Wie Pornodarsteller imitieren sie nur noch, sie schauspielern das, was wir sehen wollen. In Gruppen werfen sie vor Kameras fertiggeschnittene Zutaten in Pfannen, probieren dann sabbernd und speichelfädenziehend vom Kochlöffel der jeweils anderen und versichern einander danach vor dem Publikum mit verzückt rollenden Augen, wie toll das alles schmecke. Daß nie ein investigativer Gourmet berichtet hat, wie das Zeug die Zunge wegätzt, ist Beweis genug, daß diese ganzen Kochshows - samt Publikum - komplett 3-D-computergenerierte Sendungen sind. Shrek mit Töpfen, sozusagen.
Traditionell kochen ja die Frauen. Das ist jetzt nicht sexistisch und patriarchalisch gemeint, sondern historisch. Weil es vorbei ist. Heute kochen die Männer. Tun es trotzdem einmal die Frauen, dann verrichten sie bestenfalls die Basisarbeit fürs ordinäre Sattwerden, unbemerkt im Hintergrund, ein fader Beigeschmack im Fast-food-Restaurant des Lebens, eine in Kauf zu nehmende Notwendigkeit im Rahmen der banaleren Aspekte unserer Existenz, etwas Triviales, ja fast Unangenehmes, über das man nicht spricht. Nährstoffe, die man sich auch aus der Kosmonauten-Tube in den Schlund hätte quetschen können.
Kochende Männer hingegen laufen auf der Eisfläche der Zubereitung eine Kür nach der anderen, freilich nicht ohne ununterbrochen darüber zu schwadronieren, daß sie es tun. Sie machen stets eine Riesenshow aus ihrem erbärmlichen Pfeffermühlentantra, ganz so, als wären sie TV-Köche. Und um ihren Vorbildern ähnlicher zu werden, statten sich Männer mit Equipment aus: Was dem Heimhandwerker die dritte Bohrmaschine und dem Nerd-Geek-Fanboy sein viertes iBlob, das ist dem Hobbykoch das fünfte Original-Schneidbrett des TV-Starkochs; ein Stück ordinäres Holz, das pro Gewichtseinheit aber mehr wert ist als Gold.
Dazu der einzigartige Mixerstab, seit dessen unvermittelter Existenznahme es keine Suppen mit identifizierbaren Inhalten mehr gibt. Heute wird nur noch Designer-Cremeschleim in unterschiedlichen Farben, aber mit selten unterschiedlichem Geschmack kreiert. Für Geschmack sorgen ja ohnehin nur mehr die Kräuter der Starköche, da getrockneter Oregano aus einem Streuer, der die TV-Fratze des Kochs trägt, ja nur besser schmecken kann als derselbe Oregano in einer lieblosen Verpackung (zum Zehntel des Preises) oder fast umsonst von Balkon, Terrasse oder Fensterbank.
Es ist stets das gleiche: Sobald neue Koch-Stars am Himmel erstrahlen, erscheinen erst ihre Kochbücher (immer: "einfach", "täglich", "neu", "traditionell", "schnell"), dann Besteck, Geschirr und Pfannen sowie anderes Gerümpel, von dem einen das in Grenzen telegene Gesicht des aktuellen Wunderschnipplers angrinst. Bald darauf erheben sich Kräutermischungen und Eissorten wie Zombies aus den Supermarktregalen, sowie Thunfisch im edlen Glas, schließlich die fertige consommé aus der Weißblechdose und am Ende komplette 7-Gänge-Schlemmer-Gourmet-Menüs (als Tiefkühlware für die Mikrowelle (in sich selbst erwärmenden Packungen (kaufen, fressen, wegschmeißen))).
Hier schließt sich der Kreis: Der Koch im Unterschichtenfernsehen kocht vor, was der Koch zu Hause nicht mehr nachkochen muß, weil er bloß noch das Instant-Sackerl oder die Edel-Büchse mit der authentisch-traditionell zubereiteten Speise zu erwerben braucht - und schon kann er, den limitiert handsignierten Kochlöffel schwenkend, anderen Untermenschen vormachen, er wäre ein Koch, ergo ein Star, während diese sich an den Hals greifen und röchelnd an einer Sternfruchtvergiftung krepieren, von der Sie nun sicher zum ersten Mal gehört haben.
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Das Bilderrätsel:
Was sollen bloß überall diese Soßenmuster?
Kommentare_
Bei all diesen scheinbar erratischen Tellerrandmustern handelt es sich in Wahrheit um eine parasitäre Lebensform, deren mikroskopisch kleine Sporen sich von den Axonen proteinbasierter Gehirnzellen ernähren.
Das befallene Lebewesen verspürt bei fortschreitender Infektion den Drang zu ähnlichen Mustern: passiv durch das Bedürfnis, mehr davon aufzunehmen, aktiv durch Gestaltung derselben. Im Endstadium kann es zu spontanen Epidermisveränderungen kommen (sichtbar etwa durch epidemisch auftretendes Wuchern von "Tätowierungen"), sowie zu umfassenden Geschmacksverirrungen verschiedenster Art.
Dies kann sogar lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Die südandalusische Riemenschnecke - helicodonta artifex - ist vor rund 150 Jahren ausgestorben, nachdem die Individuen ihre Gehäuse so lange umgestaltet hatten, bis sie in den komplexen Windungen erstickten.
Eine der besten Theorien, die ich bislang dazu gehört habe. Analog zu den "egoistischen Genen" von Dawkins wären diese "selfish balsamico tribals" sozusagen Schmarotzer einer Metaebene, die unsere Gehirne - hier: das anfällige Gehirn der Physalis-Quäler - besiedeln.