Joni Mitchell: "All I Want"
Enthalten auf der CD "Blue" (Rhino/Warner)
In der Ruhe liegt die Kraft. Das soll der olle Konfuzius, von dem bekanntlich auch "Dri Chinisin mit dim Kintribiß" stammt, gesagt haben. Was den aktuellen Leserwunsch angeht, stimmt der Satz eindeutig: Das Lied, um das es im folgenden geht, zieht einen langsam und Ton für Ton in seinen Bann - findet Manfred Prescher. 13.10.2014
Ach, übrigens: Ihr könnt auch was finden, nämlich ein Lied, das ihr hier an dieser Stelle beschrieben haben wollt.
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Fernbeziehungen sind ja nicht ungewöhnlich. Mittlerweile ist es möglich, daß sie in der südkalifornischen Tiefebene und er in Obereinherz wohnt, oder er in der Bar Celona und sie bei H&M zu Hause ist - nur wird dieser Zustand ziemlich unterschiedlich wahrgenommen. Für manche ist es einfach gut, unter der Woche sein bzw. ihr Ding irgendwo durch den ureigensten Kakao ziehen, andere bräuchten mehr räumliche Nähe, weil man bzw. frau sich auf der privaten Alltagsscholle sehr abgeschnitten vom Partner fühlt, trotz Gesichtsbuch, WhatsApp und gewichtiger Emil Bulls, die durch den Raum hin- und herfliegen. Ein guter Freund, mit dem ich seit Jugendtagen schon über den Lebensweg mäandere, hält seine Fernbeziehung mit seiner längst angetrauten Liebsten seit elf Jahren aufrecht, und es ist noch kein Ende in Sicht. Ein anderer nähert sich seinem Schatz sukzessive geographisch an und wohnt mittlerweile wenigstens im Nachbarkanton der Partnerin.
Aber egal, ob man mehr Nähe will oder mit der Partnerschaft auf Distanz sehr zufrieden ist - zwei Grundbedingungen einen wohl alle, die sich auf der Fahrt zum bzw. zur Liebsten im Auto, im Fluchzeug oder in der Bahn herumtreiben, während das Europa der Regionen, während Länder und Kontinente oder die Autobahnausfahrten Lederhose bzw. Großkugel an ihnen vorbeitreiben: Während der Hinfahrt steigt die Vorfreude mit jedem Kilometer, und das geistige Auge nähert sich der Umgebung des geliebten Menschen. Auf dem Rückweg wirkt die gemeinsam verbrachte Zeit nach, aber irgendwann taucht man zwangsläufig wieder in das eigene Universum ein.
Wenn man dann noch als hochbegabte Songwriterin meinetwegen zwischen Fort Macleod in Alberta/Kanada und New York unterwegs ist, dann sammelt man die Gedanken, die sich unterwegs aufdrängen, und verarbeitet sie vielleicht zu einem wunderschönen Lied. Joni Mitchell hat das auf jeden Fall getan. Ihr "All I Want" faßt den Widerspruch, den Kampf um die richtige Dosis Nähe und Distanz schon in den ersten Zeilen sehr griffig zusammen: "I am on a lonely road and I am traveling/Traveling, traveling, traveling/Looking for something, what can it be/Oh I hate you some, I hate you some, I love you some/Oh I love you when I forget about me".
Wir aufgeklärten Geister wissen natürlich, daß es nicht gut ist, wenn sich einer im anderen verliert. Es ist wie beim Zucker: Wenn der sich auflöst, schmeckt der Kaffee zwar süß, aber vom Würfelchen bleibt letztlich nix übrig. Spätestens, wenn die Tasse leer ist, ist es vorbei mit dem süßen Leben. Außer man ordert noch einen großen Braunen nach, was dann aber in Völlerei und Herzrasen ausarten kann.
Joni Mitchell weiß das natürlich auch, dementsprechend deckt das Lied die widersprüchlichen Gedanken auf, die einen während der langen Fahrt so durchziehen. "All I Want" sagt nämlich auch, daß Beziehungen oft mit zu hohen Erwartungshaltungen konfrontiert werden: "All I really really want our love to do/Is to bring out the best in me and in you too/All I really really want our love to do /Is to bring out the best in me and in you/I want to talk to you, I want to shampoo you/I want to renew you again and again".
Die Protagonistin und ihr Liebster nehmen sich zu viel vor - und verletzen einander deshalb immer wieder zwangsläufig. Die Grundstimmung des Songs ist daher logischerweise verhalten, ist "blue". Und genauso heißt das Album, das gleich mit "All I Want" startet. "Blue" ist die vierte LP von Joni Mitchell und erschien 1971; sie ist ein Meilenstein der Singer-Songwriter-Zunft und hat Künstlerinnen wie P. J. Harvey, K. D. Lang oder My Brightest Diamond maßgeblich beeinflußt. Es ist diese private Atmosphäre, es sind die glasklaren Beschreibungen von zwischenmenschlichen Situationen, und es sind die schlicht sehr schönen Kompositionen, wegen denen "Blue" laut Ranking des "Rolling Stone" auf Platz 30 unter den 500 besten Alben aller Zeiten gelistet wird. Nebenbei fällt aus diesem verhaltenen Werk sogar noch ein echter Hard-Rock-Hit ab: 1973 coverten Nazareth "This Flight Tonight" und zelebrierten eine etwas kernigere Variante des gemeinsamen Höhenflugs.
Joni Mitchell hat nach "Blue" noch viele bemerkenswerte Alben veröffentlicht. Die ambitionierte und hochbegabte Malerin steht für mich - besonders wegen ihrer musikalischen Großwerke aus den siebziger Jahren - auf einer Stufe mit Carole King und Stevie Nicks. Letztere hat nun mit "24 Carat Gold Songs From The Vault" ein ungewöhnliches Album aufgenommen: Die Songs sind alle alt, bis dato unveröffentlicht, wurden aber neu eingespielt und handeln von allen Schattierungen der Liebe. Und obwohl diese Platte nicht so einmalig ist wie "Blue", geht sie doch ähnlich in die Tiefe, man höre nur "Blue Water" oder "She Loves Him Still".
Euch allen, ob ihr nun euren Liebsten oder eure Herzensdame still oder laut liebt, sei gesagt, daß Stevie Nicks als Teil von Fleetwood Mac ebenfalls für ein blaues Wunder mitverantwortlich war. Ihres hieß "Rumours" und gehört eigentlich in jeden Haushalt. Es wurde aber so oft verkauft und aus dem Netz gesaugt, daß dieses Ziel vermutlich längst erreicht worden ist. Angeblich steht es sogar bei Kermit und Miss Piggy, bei Donald und Daisy oder bei Ginnifer Goodwin und Josh Dallas im Schallplattenregal. Für "Rumours" hat Stevie Nicks übrigens das wunderbarliche "Dreams" geschrieben, das inhaltlich sehr nah an - genau - "All I Want" ist.
Nächste Woche werde ich hier über einen weiteren Leserwunsch schreiben: "No More Drama" von Mary J. Blige ist ein ziemlicher Brocken von Song, ein Monolith im Schaffen einer ebenfalls sehr talentierten Künstlerin. Es würde mich übrigens nicht wundern, wenn Madame Blige ebenfalls von Joni Mitchell und Stevie Nicks geprägt wurde. Bessere Referenzen kann es schließlich kaum geben. Schlechtere natürlich schon, man stelle sich vor, jemand sei ernsthaft von Andrea Berg oder dem Bergbuben Andreas Gabalier geprägt. Nein, das stelle man sich nun lieber doch nicht vor, man kann alles auch übertreiben.
Macht´s gut, paßt auf euch auf, überfrachtet eure Beziehungen nicht. Und denkt dran, was Konfuzius sagte: "In der Ruhe liegt die Kraft und dro Chonosen mot dom Kontroboß soßon of dor Stroßo ond orzohlton soch wos." Wenn ihr dann am kommenden Montag wieder Zeit habt, dann schaut doch hier rein. Und falls ihr auch ein paar Worte rund um euren Lieblingssong lesen wollt, dann postet mir doch einfach euren Wunsch. Ich hab´ ja auf meinen langen Fahrten hin zur besten Liebespartnerin von allen Zeit, mich mit eurem Wunsch auseinanderzusetzen und einen Wunschpunsch anzurühren.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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DANKE, for The Day In The Garden... ULLA