Kolumnen_Miststück der Woche IV/13 - Leserwunsch #23

Jeannie C. Riley: "Harper Valley P.T.A."

Es gab einmal eine Zeit, da wartete - Dylan sei Dank - auch die Countrymusik mit vielleicht nicht gerade revolutionären, aber doch kritisch-realistischen Songs auf. So wie in diesem, den sich ein Leser bei Manfred Prescher gewünscht hat ...    09.02.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Die Geschichte dieses Hits ist rasch erzählt: Die recht erfolgreiche Country-Sängerin Margie Singleton war eine Zeit lang mit einem "Großkopferten", dem Musikproduzenten Shelby Singleton, verheiratet. Die dahingeschiedene Ehe tut auch tatsächlich was zur Sache, wie wir noch sehen werden. Zunächst einmal bat Margie Singleton den hochbegabten Songwriter und Country-Poeten Tom T. Hall anno 1968 um ein Lied, das aus weiblicher Sicht die typischen Probleme alleinerziehender Mütter behandeln sollte. Das Thema betraf sie selbst, aber auch andere Frauen in ihrem Bekanntenkreis.

Hall dachte nach, erinnerte sich an einen Song, der ein Jahr vorher ein überraschend großer Hit wurde, und zeigte, daß im Zuge der Protestbewegungen realistische Texte ohne Liebesschmalz und Honky-Tonk-Happy-End auch in der Country-Hitparade erfolgreich werden konnten. Um ein Langes kurz zu machen: Hall kopierte die Melodie von Bobby Gentrys musikgewordener Selbstmordanalyse "Ode To Billie Joe" und drapierte seinen Text darum. Den Namen des Songs "Harper Valley P.T.A." fand er durch Zufall. Er fuhr, so wird kolportiert, irgendwo in der Hinterwaldgegend von Tennessee an einer Grundschule dieses Namens vorbei und merkte sich den. Margie Singleton nahm das Lied dann jedenfalls auf und war damit leidlich erfolgreich. Hier kommt nun der ehemalige Ehemann ins Spiel: Der erkannte das Potential des Songs, nahm ihn mit der jungen Sängerin Jeannie C. Riley neu auf und ließ die Ex somit erneut im Regen stehen. "Harper Valley" wurde ein Millionenseller. Für Tom T. Hall war dieser Song übrigens "nur" ein Hit in einer ganzen Reihe großer Erfolge - aber das nur am Rande.

 

Die Schule, um die es geht, könnte immer noch - auch knapp 50 Jahre nach Veröffentlichung von "Harper Valley P.T.A." - überall auf dem flachen oder hügeligen Hinterland stehen. In St. Öd an der wilden Strunz, in Obereinherz oder in Bad Bückling am Miesepeter. Weil die Geschichte, die Riley da erzählt, immer und immer wieder gerade da stattfindet, wo so wenige Menschen wohnen, daß sie in ihrer Abwechslungslosigkeit besonders gern mit den Wurstfingern auf andere Menschen zeigen, die den Rahmen ihres engen Weltbilds sprengen. Und das sind meist ziemlich viele, denn wie sagt man so gern: "Was der Bauer nicht kennt, mag er nicht!" Der geneigte Leser mag denken, daß der urbane Kolumnist ebenfalls von Vorurteilen bestimmt wird, was auch sein mag. Aber ich bin mir aus Hobby-Soziologensicht sicher, daß die Stirnen der Leute immer da enger werden, wo sich religiöser Fundamentszement, Tradition und Brauchtum so inzestuös-dauerhaft mischen, daß es nur sehr schwer zu verändertem Denken kommen kann.

Bestimmte, in der Großstadt längst normale Lebensumstände gibt es in St. Elsewhere und Nobodyville nicht oder sie werden unter den Tisch gekehrt. Homosexuelle? Linke? Andersfarbige Menschen? Männer, die zur Kindererziehung zu Hause bleiben? Alleinerziehende Mütter? Da, wo Gott als der Hüter des heiligen Fruchtkelchs (Peter Gabriel: "Sledgehammer") und der noch viel heiligeren, völlig intakten Normalfamilie mit Mutter-Vater-Kind1-Kind2- Steuerfreibeträgen-Hund-und-SUV herhält, gibt es nichts anderes als das, was eben immer schon gab.

 

Das war schon 1968 so: In "Harper Valley P.T.A" geht es um eine alleinerziehende Mutter, die in Konflikt mit der Schule gerät. Die ehrenwerte, sehr auf die Werte bedachte Bildungsinstanz sieht in der modernen Frau, ihrem modernen Outfit und dem Lebenswandel eine real auf zwei Beinen herumlaufende Bedrohung von Sitte, Moral und Anstand. Die Frau trägt selbstbewußt einen kurzen Rock und modisch schicke Oberteile, statt im Ganzkörperkartoffelsack und mit hängenden Schultern herumzuschleichen, wie es einer Aussätzigen gebühren möge. Es spricht sich schließlich bis zum Lehrkörper und zum Direktor herum, daß diese Lebensumstände im höchsten Maße anstößig sind. Eine Frau mit Kind, aber ohne Mann? Und noch dazu so auffallend gekleidet? Im Dorf ist der Ruf rasch ruiniert; die braven Bürgerinnen würden ihre Männer ohnehin am liebsten wegsperren, weil "die da", die muß es nötig haben. Schließlich hat sie ja keinen ... Und schon befinden wir uns mitten in einer klassischen Hexenjagd quer durchs Dorf.

Wenn wir mal dahingestellt lassen, daß es auch gut sein kann, sich nicht mit irgendeinem Armleuchter zu vermählen oder daß Beziehungen kaputtgehen können, ist es natürlich sehr praktisch, sich so ein Feindbild auszusuchen. Die Meinung, daß die Alleinerziehende sich nur nicht genug um den Fortbestand ihrer Beziehung bemüht habe, ist wohl ebenso weitverbreitet wie praktisch. Sonst müßte man sich mal mit dem beschäftigen, was hinter den teuren Butzenscheiben in den Normalofamilien an Gewalt, Übergriffen, Haß, Krieg und Terror abläuft. Vielleicht wären dann viele Ehen zum Wohle der Kinder plötzlich geschieden?

Und dann ist da noch die andere Seite: Überall dort, wo die Vorurteile das Denken ausschalten und das Handeln bestimmen, wird schlicht und einfach vergessen, nachzufragen, wie es dem anderen geht. Es sollte sich, so finde ich, doch herumgesprochen haben, daß Alleinerziehende wirklich mit vielem allein sind. Daß sie ökonomisch ums Überleben kämpfen, daß ihr Tag, zumindest wenn der Nachwuchs abends zügig wegratzt, stressige 28 Stunden dauert, sonst sogar noch länger - und daß weder Zeit noch Kraft bleiben, eine Beziehung zu führen oder den anderen Frauen irgendwelche Kerle wegzunehmen. Daß frau sich trotzdem nicht gehen läßt, sondern sich ordentlich anzieht, das sollte man eigentlich nur bewundern. Zeit und Geld für das persönliche Styling muß sie sich ja recht mühsam aus Restbeständen zusammenklauben ...

 

Engstirnigkeit ist sicher keine spezifisch ländliche Eigenart, doch sie fällt hier - mangels Masse an Alternativen - viel eher auf. Nächste Woche wird es an dieser Stelle um etwas ganz anderes gehen, das aber nur geringfügig neuer ist als "Harper Valley". Ich werde im Rahmen meiner Wunscherfüllung über The Sweet und "Hell Raiser" schreiben. Der Leser konnte sich nicht entscheiden, welchen Song der Band ich besprechen möge, er gab mir drei zur Auswahl - und dieser ist es dann geworden. Bis der Text online geht, versucht doch mal über den Tellerrand zu schauen, den anderen so sein zu lassen, wie er ist, und nicht mit nackten Fingern auf gut angezogene Menschen zu zeigen. Das gehört sich schließlich nicht.

 

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Jeannie C. Riley: "Harper Valley P.T.A."

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Enthalten auf der CD "Harper Valley P.T.A." (Sun)

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