Haszcara - "Niemand der so redet"
Photo: Audiolith
Nicht schon wieder ein Text über den ach-so-doofen deutschsprachigen HipHop, über dämliche Grenzübertretungen und bescheuertes Gehabe! Nein - es wird vielmehr einer über interessante und begabte Rapperinnen und Rapper. Die gibt es nämlich wirklich. Das sagt Manfred Abou Chaker und duldet absolut keinen Widerspruch. 03.06.2020
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Die beste Liebespartnerin von allen ist unglücklich. Und das kommt so: weil ihr Unglücklichsein von anderen immer mit Worten wie "Aber dir müßte es doch gutgehen", "Du hast doch alles, was man braucht" und "Anderen geht es doch mindestens genauso mies - oder sogar noch, gerade jetzt oder überhaupt schlimmer als dir" nicht ernstgenommen wird. Das ist ungerecht, weil erstens die Welt generell in keinem allzu guten Zustand ist und man zweitens unglücklich sein darf, vor allem, wenn man Grund dazu hat. Schließlich hat der alte Watzlawick schon anno 1983 eine "Anleitung zum Unglücklichsein" geschrieben. Allerdings braucht die beste Liebespartnerin von allen dazu kein Tutorial oder so, sie kann das von allein. Sie will einfach nur ernstgenommen werden. Womit wir bei drittens wären: Wer will denn über das Leben eines anderen Menschen urteilen?
Wollen tun das viele, und sie machen das auch. Mit dem vermeintlichen Wissen ist das nun mal so eine Sache, was schon der Urvater der Deutschrapper, MC JW Goethe, wußte: "Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel." Paradox, aber doch richtig - und in Zeichen von Verschwörungstheorie-Inflation und virtuellen Hobby-Virologen-Kongressen auch deutlich erkennbar: Wer nur glaubt, was zu wissen, und daraus eine Meinung ableitet, verwechselt ungesicherte Behauptungen mit fundiertem Wissen, Unausgegorenes mit überprüften Fakten. Die Wissenden sind im Gegensatz dazu eigentlich permanent und traditionell am Zweifeln, weil sie aus ihrem bisherigen Fundus an Fundiertem logisch abgeleitet haben, daß man nie genug weiß, ja auch gar nicht wissen kann.
Darum geht es der besten Liebespartnerin von allen nämlich: um die kränkende Anmaßung von Leuten, die mit ihren Äußerungen im positivsten Fall beschwichtigend trösten wollen - oder, negativer gesehen, doch einfach nur oberflächlich impertinent sind. Das kann einer schwer auf die Eierstöcke gehen - und zwar so sehr, daß der Zorn darob in einen Liedtext eingeht. So macht es die "1995 oder 1996" geborene Haszcara in ihrem Track "Niemand der so redet". Die anderen, über die sie sehr eloquent rappt, sind die, die meinen, sie hätte es gut - weil sie eine große Fanbase, einen Plattenvertrag und schon fast fünfeinhalbtausend Bewunderer auf Insta hat. Daß der Aufwand, den sie für ihre Karriere betreibt, immens ist, wird oft vergessen. Haszcara wehrt sich gegen die Bewertung ihres Lebens, ihrer Arbeit und ihres "So-Seins" (Conny Wecker) durch Leute, die schlicht keine Ahnung von ihr haben. Wie es in ihr aussieht, geht schließlich niemanden was an. Wenn sie was mitteilen will, dann macht sie das unter anderem in ihren Songs.
Blickt man - wie ich - von außen auf ihr bisheriges Schaffen, dann denkt man zunächst vielleicht an die Beastie Boys. Die fingen als Punks an, bevor sie ihre eigene Art von HipHop fanden. Auch Haszcara begann mit härteren Gitarrensounds: sie spielt das Instrument ganz ordentlich, genauso wie Klavier - und war mit 15 Jahren Teil der Metal-Band Stoned God. Wie bei den Beasties wuchs während der Rock´n´Roll-Zeit schon die Liebe zum HipHop. Ob sie freilich so berühmt wird wie das New Yorker Trio? Abwarten, Teetrinken und Zuhören. Talent ist da, aber noch ist die HipHop-Welt männlich dominiert. Seit den Zeiten von Queen Latifah, Monie Love oder Lauryn Hill hat sich an diesem Umstand nicht so viel verändert - außer daß Deutschland nun sein eigenes Rap-Feld bestellt hat. Und auf dem geben immer noch die Typen den Ton an.
Allerdings sind die Ladys auf dem Vormarsch, mit eigener Sprache und eigenen musikalischen Ideen. Haszcara macht ihren Sound selbst und ist auch selbstbewußt genug, sich den verdienten Respekt abzuholen. So wie es das leider schon wieder getrennt agierende Duo SXTN 2017 in "Schule" sagte: "Es fing an, als ich damals bei Kumpels war/Und gemerkt hab, ich rappe viel besser als die/ Jeder Part war ein Treffer und sie ha´m gesagt: 'Du bist echt ein Genie!' " Anders kommt frau den Kerlen wohl auch nicht bei. Eunique, Ebow, Hunney Pimp oder die schlicht famose Haiyti zeigen, wo Frau Bartel Herrn Most überholt. Und die beiden Rapperinnen von SXTN - Juju und Nura - können es allein fast noch besser als im Verein. Man höre nur "Chaya", für das sich Nura den Herrn Trettmann als Partner suchte; der hat liebend gern mitgemacht und Respekt gezollt.
Ohnehin wird deutschsprachiger Rap immer besser. Unter all dem Müll erscheinen immer wieder hervorragende Alben, etwa die vom Chemnitzer Trettmann, vom tatsächlich jungen Wiener Yung Hurn, von den uralten, aber fresh klingenden Ulmern von Kinderzimmer Productions oder eben von Haszcara. Deren aktuelle EP umfaßt neben "Niemand der so redet" noch drei weitere Tracks, darunter eine nerdig-schöne Liebeserklärung an William T. Riker, Jean-Luc Picards Stellvertreter auf der Enterprise D (NCC-1701-D). "Riker" zeigt, daß die Künstlerin auf dem Weg zu neuen Sprechgesangwelten ist.
Möglicherweise gelangt Haszcara in den nächsten Jahren dorthin, wo Rapper vor ihr nicht gewesen sind. Sie hat sich nämlich auf die Reise in die Ungewißheit begeben, die wahre Kunst ausmacht. Deswegen sollte man sich erst recht davor hüten, ihr ein leichtes Leben zu unterstellen. Wer etwas erreichen will, darf es sich nun mal nicht zu einfach machen. Oder um es mit Meister Yoda zu sagen: "Was immer du mußt tun, mit dem Herzen du mußt tun" - und das artet dann ja zwangsläufig in Arbeit aus.
So, das soll´s erstmal hier von mir gewesen sein. Aber es wird garantiert nächste Woche eine neue Kolumne geben - und ich würde mich freuen, wenn ihr wieder reinlest. Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit. Paßt auf euch und eure Liebsten auf. Und wenn sie unglücklich sind, dann kommt bloß nicht mit Beschwichtigungen. Es könnte leicht ein Lied draus werden, eines voller Hohn, Spott und Wut. Die weiteren Folgen könnt ihr euch selbst ausmalen.
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