Harry Belafonte: "Love, Love Alone"
Enthalten u. a. auf der CD "I Like It Like That" (Bear Family Records)
Der heutige Leserinnenwunsch ist ein sacht vor sich hinschwingender Calypso, der eine sehr seltsame Geschichte erzählt. Und die trug sich tatsächlich mehr oder minder so zu wie besungen - weiß Manfred Prescher. 16.03.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Wie sagt der Volksmund, aus dem es zwar manchmal doch recht deftig müffelt, hin und wieder aber auch ganz kluge Weisheiten an das Tageslicht hochgerülpst werden? "Wo die Liebe hinkommt, wächst nur Stacheldraht" ... So oder so ähnlich heißt das wohl, was, so habe ich jüngst gelesen, damit zu tun hat, daß praktisch alle Liebenden irgendwie ihre Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte auf den anderen projizieren, auf daß dieser sie samt und sonders erfüllen oder befriedigen möge. Das Phänomen gibt es schon lange, und es hat in der Weltgeschichte auch zu Shakespeare-Dramen und merkwürdigen Geschichten geführt. Wie etwa der vom britischen König Edward dem Achten, der die bereits geschiedene, im Moment der Verlobung mit dem Monarchen aber noch verheiratete und zudem bürgerliche Amerikanerin Wallis Simpson zur Frau nehmen wollte. Die Regierung unter Premier Stanley Baldwin erklärte ihm, daß dies nicht zu dulden sei - und der King trat "aus Liebe" zurück. Später wurde dann noch kolportiert, daß Edward mit Frau Simpson eine deutsche Spionin zunächst in die höchsten Kreise eingeführt und dann geheiratet habe. Aber "wos Gwiß woaß mer ned", wie der Bayer sagt.
Das Ganze trug sich 1936 zu, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, was der Verschwörungstheorie von der Spionin, die es außerdem auf Edwards Geld abgesehen haben sollte, natürlich zusätzlichen Auftrieb verlieh. Vielleicht deuteten damals auch Chemtrails am Himmel darauf hin, daß Außerirdische von Rigel 5 aus einzig aus dem Grund zur Erde flogen, um sich einen Joke auf Kosten des Empires zu machen? Sei dem, wie es sei - Wallis und Edward heirateten im Exil und wurden später tatsächlich von Adolf Hitler empfangen.
Über die "Abdankung aus Liebe" redete man selbst in den hintersten Winkeln der Welt, vor allem, wenn diese hintersten Winkel unter der Prävalenz der britischen Krone standen. Manchmal wurde sogar drüber gesungen; auf Trinidad und Tobago zum Beispiel von Lord Caresser, der im Jahr nach der Demission mit "Edward The VIII" bzw. "Love, Love Alone" einen veritablen Hit hatte, in dem er erzählte, daß Edward die Liebe wichtiger als der Thron war. Den Leuten gefiel das romantische Mini-Epos, und es erlangte auch im Vereinigten Königreich eine gewisse Popularität. Als sicher gilt, daß Winston Churchill es sich bei seinen Besuchen in der Südsee vorsingen ließ. Churchill war es auch, der Edward aus der Schußlinie brachte, indem er ihn zum Gouverneur der Bahamas machte.
Eine gute Bekannte faßt diese merkwürdig-schräge Beziehung sehr treffend und wohl auch historisch korrekt so zusammen: "Ich finde es wichtig, daß die Geschichte romantisch verklärt wurde und eigentlich gar nicht romantisch war. Edward war ein Feigling, Lebemann und Nazi; sie konnte sich nicht entscheiden und hatte angeblich ein Verhältnis mit Hitlers Außenminister von Ribbentrop. Ihr ging es wohl nur um Geld, und gepetzt hat sie auch. Was ist daran schön? Zwei unsympathische Menschen haben sich gefunden und waren nicht glücklich zusammen." Man kann die Geschichte von Edward genauso interpretieren - als pure Idiotie und Überbewertung romantisch-triebhafter Emotionen. Aber ob ein Lied mit dieser Deutung ein Hit geworden wäre?
"Love, Love Alone" hat es jedenfalls später zu einigem Erfolg auch außerhalb des Commonwealth gebracht, aber da war die ursprüngliche Geschichte längst im Kalten Krieg verlorengegangen. 20 Jahre nach Lord Caressers Urversion, die es heute bei Bear Family wieder zu hören gibt, befand sich "Love, Love Alone" auf Harry Belafontes LP "Belafonte Sings Of The Caribbean" - und daher kennt die Wünscherin es auch.
Damals, in den 1950er Jahren, war der Calypso in den Staaten groß in Mode, und die musikkapitalistische Ausbeutung des Planeten und seiner Ressourcen schritt voran. Begonnen hat das aber schon in den 30er Jahren. Damals schickten die großen US-Plattenfirmen ihre Produzenten samt Equipment nach Trinidad, um dort Künstler aufzunehmen und deren Songs zu verbreiten. So kam eben auch Lord Caresser zu seinen Ruhm, doch gerechnet hat sich der für ihn nicht. Die Industrie bezahlte nämlich Hungerlöhne, und Tantiemen gab es auch kaum. Angeblich bekam der eigentliche Urheber auch nichts, als Belafonte später "Love, Love Alone" verbreitete.
Der Sohn eines Matrosen aus Martinique und einer Hilfsarbeiterin aus Jamaika wurde allerdings mit weicher Stimme, seinem Talent und den Liedern, die er am Wegesrand, am Ufer von Südseeinseln oder sonstwo fand, zum reichen Weltstar. Man muß ihm zugutehalten, daß er, je älter er wurde, zusehends vehementer gegen Ausbeutung speziell in der Karibik und in Afrika gekämpft hat. Belafonte gilt als politisch korrekte, integre Person. Im Gegensatz zu Edward, der es nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Frau fürstlich, ach was, königlich krachen ließ und ein verschwenderisch-verschwendetes Jetset-Leben führte. Bis ihn dann 1972 die Außerirdischen holten ...
Man kann optimistisch-schwärmerisch von der großen Liebe reden, wenn man über Edward und Wallis spricht; man kann die Geschichte aber auch ganz pessimistisch als Beweis für das Schlechte in unserer Welt abtun. Je nach Gusto. Die Violent Femmes - genau, die coolen drei, die wir in den 1980er Jahren so mochten - haben jetzt mit "Love, Love, Love Love" ein eher pessimistisches Comeback-Lied zum Thema veröffentlicht. Die Melodie kennt man aber seit Lord Caresser schon. Gut geklaut, die Herren! Bei der Gelegenheit fällt mir ein, wie die Allgäuer Gutgläubige und Schwarzseher unterscheiden: Der Pessimist jammert, weil ihm eine Fliege auf den Kopf geschissen hat, der Optimist freut sich, daß die Kühe nicht fliegen können. Das wäre auch schlimm - Rindviecher gibt´s schließlich genug.
Nächste Woche muß ich all meinen Optimismus zusammennehmen und auf den Punkt bringen, denn dann schreib´ ich über "Codo" von DÖF. Was ihr euch alles so wünscht ... Bis dahin: Paßt auf euch auf, laßt eurer Liebsten oder eurem Liebsten die Freiheit und freut euch, wenn ihr Liebe geschenkt bekommt. Amen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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