Gunter Gabriel - Sohn aus dem Volk/German Recordings
Warner (© Photos)
Es kommt eigentlich nicht vor, daß ein Lied gleich zweimal zum "Miststück" wird, aber in diesem speziellen Fall ergibt das auf jeden Fall Sinn - meint Manfred Prescher. 16.11.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Genau, über dieses Lied habe ich schon mal geschrieben. Wer´s nachlesen möchte, findet das betreffende "Miststück" hier. Muß aber nicht sein, denn Gunter Gabriels Version hat so gar nichts von der Aussicht auf ein späteres Glücksleben mit 100 Enkeln, die Peter Fox im Original verheißt. Der mittlerweile 67jährige Haudegen aus Bünde in Westfalen ist rein vom Verwitterungszustand her schon dort angekommen, wo der "Stadtaffe" vielleicht auch mal hingehen wird. Ob es sich dabei um einen Ort der Seligkeit handelt, werde ich Gunter Gabriel im Interview fragen - dazu also an anderer EVOLVER-Stelle mehr.
Auf jeden Fall scheint sich die Lage für den besten deutschen Country-Sänger wieder zu stabilisieren. Das unvermeidliche Tingeln von einer Seniorengeburtstagsparty zur anderen ist hoffentlich vorbei. Das aktuelle Album "Sohn aus dem Volk" ist nicht nur bei einem Major-Label herausgekommen, sondern erinnert auch an die diversen und sehr erfolgreichen "American Recordings" von Johnny Cash/Rick Rubin - daher trägt es auch den Untertitel "German Recordings". Wie Cash, der ebenfalls scheinbar Abwegiges wie Danzig, Soundgarden oder Depeche Mode coverte, singt Gabriel unter anderem Ideal ("Blaue Augen"), David Bowie ("Heroes") oder eben Peter Fox. Und das funktioniert, weil auch Gunter ein vom Leben Gegerbter ist, der mehrmals durch die Hölle ging. Die Stimme ist tief und brüchig, trotzig-kraftvoll und geheimnisverwittert. Daß sich Gunter im Video zu "Ich geb den Rest für dich" Arm in Arm mit Johnny zeigt, führt dazu, daß ich ihn trotz seiner Lebensmalaisen beneide. Weil, ganz unter uns: Wir beide sind die größten Cash-Fans, die es oberhalb der slowenischen und unterhalb der dänischen Grenze gibt. Vielleicht beneidet er mich um die LP "Destination Victoria Station"?
Gunter Gabriel verdanken wir Songs, die bei allem Kitsch überraschenderweise kein bißchen altmodisch wirken und sich daher auch kaum dazu eignen, auf Schlagerparties von Nostalgie-Schnarchnasen abgefeiert zu werden. Sie stehen heute eher wie Countrysongs da als damals, wo Gabriel bei DT Heck eher wie ein Fremdkörper wirkte, der beim Aussteigen aus dem Truck versehentlich ins Fernsehstudio gefallen war. "Hey Boss, ich brauch mehr Geld", "Er ist ein Kerl", "Wenn du denkst, du denkst" oder "Mit dem Hammer in der Hand" greifen Themen auf, auf die Hank Snow oder Waylon Jennings ebenfalls gekommen sind. Schon zu seiner Glanzzeit in den 70er Jahren hat er - übrigens durchaus gute - Versionen amerikanischer Songs aufgenommen: Dylans "Wanted Man" wurde zum Beispiel "Ich werd´ gesucht in Bremerhaven".
Das neue Material ist noch weniger dem deutschen Mitklatschschlager verhaftet als etwa "Komm unter meine Decke". Damit will ich nichts gegen diesen Song sagen, da er ja das ewige Sehnen des Mannes an sich formuliert. Aber die neuen Lieder wirken - analog zu den späten Cash-Aufnahmen - wie die Bilanz eines mit allen Höhen und Tiefen gelebten Lebens. Das kommt gut, auch wenn nicht jeder Track ein Treffer ist. "Haus am See" paßt fast besser zu Gabriel, obwohl es eigentlich eher "Hausboot am See" heißen müßte. Gut, sein schwimmendes Domizil ruht nicht auf einem See, sondern im Harburger Hafen - aber wer wird denn kleinlich sein? Schließlich geht es um etwas anderes: Gunter Gabriel klingt in seiner Version so, als sei er tatsächlich angekommen. 100 Enkel sind ihm zuzutrauen, genauso natürlich, daß ihm die Ladys immer noch den Kopf verdrehen und er bei einer Schönen in den Wagen steigt. Der Weg ist nämlich noch nicht zu Ende, und immer nur Orangenbaumblätter und knarzende Verandadielen sind auch langweilig.
Nächste Woche wird es hier um etwas ganz anderes gehen - nämlich um das nicht besonders tiefe "Jazz-Gewässer" Norah Jones.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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Warner (© Photos)
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