Kolumnen_Miststück der Woche – V/032: Girlz n the Hood

Sandra und Nina zum 400. "Miststück": Alles hat ein Ende

Ein Jubiläum ist schön. Man kann die Füße hochlegen und die Feierlichkeiten passiv mitlesend genießen. Und Manfred Prescher genießt wirklich. Schließlich haben die Kolleginnen Sandra und Nina einen wunderbaren Jubiläumstext geschrieben. Dabei hatten sie keine Vorgaben zu beachten, konnten also tun und lassen, was sie wollten.    02.09.2020

Alles hat ein Ende. Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Das war schon immer so, denke ich, als ich den "Ghettoblaster"-Radioshow-Sticker über den Aufkleber irgendeiner Partei klebe. Man muß Prioritäten setzen. Auf dem Weg durch die nächtlichen Straßen Nürnbergs kommen einem immer die besten Gedanken, bilde ich mir ein, und während ich erneut die Stickerfolie entferne und nach einer geeigneten Stelle Ausschau halte, schießt mir, mal wieder, das "Miststück" durch den Kopf. Genauer gesagt, die 400. Ausgabe davon, das letzte "Miststück", sozusagen, denn danach wird es kein "Miststück" mehr geben. Manfred Prescher strebt mit seiner direkten Fortsetzung "Fundamentalteilchen" offensichtlich Größeres an - und umso geehrter fühlten sich Miss Dissi und ich vor ein paar Wochen, als er erstmalig andere, nämlich uns, fragte, ob wir nicht für ihn den Abschluß, also diese letzte Ausgabe schreiben wollten.

 

Da wir beide seit mehreren Jahren die eingangs erwähnte Radioshow mitgestalten, in der sich von 1990 bis 1994 auch Manfred Prescher alias Manfred The Whistler herum trieb, nahmen wir die schriftliche Herausforderung selbstverständlich kollegial unbedarft an. Thematisch hätten wir freie Hand, über Länge und Sonstiges sollten wir uns ebenfalls keine Gedanken machen, so Manfred. Wir wären frei zu tun, was auch immer wir wollten, und in zwei Monaten etwa bräuchte er den Text, um ihn final gegenzulesen, bevor er ihn dann veröffentlichen wolle. "Kein Problem", sagte ich. "Das bekommen wir hin." Und während sich nun, etwa zwei Wochen vor diesem Abgabetermin, die Klebefläche des blauen Tintenfischstickers mit der Oberfläche irgendeines Rohrs verbindet, wird mir klar, daß dieses Vorhaben kein leichtes sein wird. Immerhin soll es die letzte Ausgabe einer schon seit längerem bestehenden Kolumne über Musik im allgemeinen werden, wenngleich Manfred über Musikerinnen und Musiker in den letzten 399 Kolumnen wahrlich mehr als genug geschrieben hat, denke ich.

Da war zwischen Geschichten über Rap und Rock und Pop vieles dabei, das Musikinteressierte beim Lesen immer wieder zum Schmunzeln oder zum Nachdenken anregen konnte, und das war gut so. In dieser letzten Ausgabe nun soll es allerdings um etwas anderes gehen. Um etwas Größeres. Um uns und um Manfred Prescher. Um die "Ghettoblaster Radioshow". Um Radio Z und um Wandel, um Veränderung, Ende und Anfang und wie sich all das auf uns ausgewirkt hat, obwohl wir einander noch nie begegnet sind.

 

Tatsache ist: Wir beide, die wir für Manfred schreiben, kamen 2008 zum "Ghettoblaster". Wir hatten zu dem Zeitpunkt eigentlich bereits eine andere Sendung dort, das "Schleudertrauma", eine offene Musiksendung, die wir irgendwann mal vom Harry übernommen hatten. Wir machten aus seinem offenen, weltmusikalischen Konzept etwas anderes, etwas Spezielleres, nämlich hauptsächlich eine deutschsprachige Underground-Rap-und-Elektro-Sendung. Wir trieben uns auf Jams und Parties herum und führten dort Interviews. Wir trafen uns im Studio mit lokalen Musikerinnen und Musikern, stellten Free-Download-Alben und andere Releases vor und hatten so auch beispielsweise immer wieder die legendären Cut Dealerz vor Ort an den Turntables. Bei uns lief´s. Im "Ghettoblaster", zu der Zeit hingegen, lief´s dagegen nicht so ganz. So fragten uns damals die Verantwortlichen aus der Musikredaktion, ob wir nicht Lust hätten, das, was wir ohnehin ja taten, fortan im "Ghettoblaster" zu tun.

 

Dazu muß man wissen: Der "Ghettoblaster" war einst eine Instanz der lokalen HipHop-Kultur in Nürnberg und der fränkischen Szene - und Manfred ist einer unserer redaktionellen Ahnen. Er war Jahrzehnte vor uns in der Redaktion aktiv, auch wenn das zu unserer Zeit eigentlich niemand mehr wußte. Doch wichtige Messages werden von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr weitergegeben, um den Wesenskern nicht zu verlieren; so war es bei den Basics beim "Ghettoblaster" auch von Redakteur zu Redakteur. Wo der "Ghettoblaster" für die einen endete, fing er für die anderen wieder an. Die Signale waren auf den richtigen Frequenzen immer irgendwo aufzufangen und trotzten langfristig den Störgeräuschen oder Sendelöchern, die es in der freien Wildbahn zwischendurch natürlich auch immer wieder mal gab. So waren die Namen der Wegbereiter manchmal vielleicht nicht mehr präsent, doch dank ihrer Ideen, die sich so kultivierten und hielten, wurden die "Alten" trotzdem nicht vergessen.

 

Unsere erste Sendung starteten wir 2008 mit einem musikalisch bunten Rap-Potpourri aus den Jahren 1990 bis 2008. Die Monate zuvor wurde der "Ghettoblaster" weitgehend mit DJ-Mixes halbwegs am Leben gehalten, statt wirklich belebt zu sein. Interviews, geschweige denn Veranstaltungen, gab es keine mehr, und als letzter regelmäßiger "Ghettoblaster"-Event war uns eine von DJ On Error von den Beatzabäckern im Fürther o27 in Erinnerung. Aber das lag längere Zeit zurück. Wir nahmen uns daher vor, Schwung reinzubringen, sodaß die für uns legendäre Radioshow vielleicht irgendwann wieder als Plattform für die lokale Szene wahrgenommen wird. Wir gingen zu Jams, machten darüber Sendungen und luden Künstlerinnen und Künstler für Interviews ein, wenn sie nicht ohnehin von selbst kamen.

Ein halbes Jahr nach unserer Ankunft wurde der "Ghettoblaster" 20 Jahre alt, und das schrie nahezu nach einer Jam. Das Jubiläum war dann auch die erste Veranstaltung, die wir für den "Ghettoblaster" machten. Mit NATO, Kanveter, Shemrok und Nemo Nemesis konnten wir dafür auch langjährig aktive Locals dafür gewinnen, die in der Szene viel bewegt hatten und für das zwanzigjährige Jubiläum mehr als angemessen waren. Daß sie mit türkischen, englischen und deutschsprachigen Rhymes aufwarteten, symbolisierte auch wunderbar die multikulturellen Roots des Nürnberger HipHop der Anfangszeiten.

Das Jubiläum fand in der DESI in der Brückenstraße statt, die auf eine genauso fruchtbare HipHop-Geschichte zurückblicken kann, mit vielen Underground-Jams schon seit den Neunzigern und immerhin der damals größten legalen Writerhall der Stadt. Die Botschaft kam an, und das Jubiläum war ein voller Erfolg: Die DESI platzte aus allen Nähten, die Stimmung war bombastisch.

 

 

 

Der "Ghettoblaster" sollte aber nicht nur "unsere" Plattform sein, mit der wir unsere Egos streichelten, sondern wir hofften, daß er wieder Sprachrohr und Instrument von und für die Szene sein könnte. Partizipation! Each One - Teach One ! Support your local underground ! Ok, let´s do it.

Mehrelemente-Jams gab es zu der Zeit kaum noch welche, und wenn, dann vereinzelt - und sie waren leider oft nicht gut besucht. Wir wagten es trotzdem und veranstalteten ein Jahr nach dem Jubiläum einen Vier-Elemente-Jam mit Graffiti- und Trackbattles - wieder in der DESI. Die offenen Bühnen kamen sehr gut an. So meldeten sich nicht nur lokale Artists bei uns, sondern zum Trackbattle kamen auch Crews aus Rosenheim, Hamburg und sogar Österreich. Wir konnten zuletzt gar nicht alle im geplanten Zeitrahmen unterbringen. Da realisierten wir, daß es insgesamt zu wenig Möglichkeiten für Aktive gab, ihre Kunst einem Publikum zu präsentieren, ohne auf gezielte Bookings zu warten. Wir nahmen uns vor, bei den Veranstaltungen immer auch eine Plattform zu bieten, auf der das möglich ist.

 

Wir machten Veranstaltungsreihen mit Open-Mics, Open-Decks und Open-Stages. Wir taten das im Zett9, im Klüpfel und in den Vereinsräumen des Vereins zur Erhöhung der Lebensqualität durch Eigeninitiative, kurz Velque e.V., mitten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Offene Bühnen fehlen bis heute, auch überregional, und einige fahren sehr weit, um Bühnenzeiten zu bekommen.

Uns ging es nie darum, Leute zu supporten, die schon einen großen Namen haben. Ob jemand zehn oder hundert Leute auf Veranstaltungen "zieht", war und ist uns schnurzegal. Uns geht´s um künstlerische Klasse - und das ist auf unseren Veranstaltungen und auch in unserer Radioshow bis heute Barometer geblieben. Uns geht´s um kreativen Austausch in einem respektvollen Miteinander. And that´s it.

Diese Haltung sprach sich damals auch langsam rum, und das Feedback, das wir bekamen, war hervorragend wie Hundenasen - also Dobermannnasen und keine Mopsnasen. Es meldeten sich auch für die Radioshow immer mehr MCs bei uns, weil sie ein Interview haben wollten. Wir freuten uns, daß der "Ghettoblaster" wieder zur alten Form zurückfand und als Medium für Angehörige der Rap-Kultur wahrgenommen wurde. Ein weiteres Highlight war/ist der Kontakt nach Glasgow und dort zu Steg G und dem Freestyle Master. Die beiden haben in der Nürnberger Partnerstadt eine Radioshow namens "Temple of HipHop".

 

Was hat all das aber nun mit Manfred Prescher zu tun? Lange Geschichte. Beginnen wir an einem Zeitpunkt, als man noch keine Facebook- oder Instagram-, sondern MySpace-Seiten hatte. Es meldete sich jemand von einer alteingesessenen Crew aus München bei uns, um Props für den "Ghettoblaster" zu geben. Er meinte, er hätte diesen schon vor 20 Jahren gehört und freue sich, daß der Spirit immer noch da ist. Zu seiner Zeit sei HipHop im Radio eher selten gewesen, sodaß die aufgenommenen Tapes aus dieser kleinen Nürnberger Sendung nicht nur in Deutschland, sondern vereinzelt sogar weltweit getauscht wurden. Bis dato hatten wir die langjährige "Ghettoblaster"-Geschichte irgendwie als selbstverständlich hingenommen; nach dieser Bemerkung wurden wir allerdings neugierig und machten uns gezielt auf die Suche nach den Radioshows aus den Anfangsjahren. Hierbei erfuhren wir, daß der "Ghettoblaster"mit seiner Gründung 1988 tatsächlich die erste HipHop-Show im deutschsprachigen Radio war. In Nürnberg. Die älteste HipHop-Radioshow in Deutschland und Österreich? Sie lief von Anfang an bei Radio Z, einem der drei ältesten freien Radios im Lande. Dort gingen mehrere Redaktionskonzepte das erste Mal an den Start, die es im klassischen Radio so zuvor noch nicht gegeben hatte. Die Metal-Show "Zosh", "Rastashock" mit Ragga, Dancehall und so, "Stafzeit – das Knastmagazin", "Durchgeknallt", um nur einige zu nennen ...

Für uns war allerdings die "Ghettoblaster"-Geschichte am interessantesten, und so gruben wir tiefer und tiefer. Es war ein Puzzle, aber nach und nach verbanden sich die einzelnen Teile zu etwas Größerem. Mittlerweile hatten wir mehrere Gespräche mit Redaktionsmitgliedern geführt, die Dekaden vor uns am Senden waren.

 

Hervorzuheben ist hier ein mehrstündiges Gespräch mit drei der "Ghettoblaster"-Gründer, die von 1988 bis 1990 sendeten. Props an den Superhartmut, DJ WX Rey und mit MC Pimp, wie Tommi Linz, Wolfgang Reyscher und Martin Peetz sich damals szenegerecht nannten. Drei mittlerweile ältere Herren, die schon rein optisch weit weg vom Klischeebild eines klassischen Angehörigen der HipHop-Kultur sind. Hinter der Fassade sind sie allerdings jung geblieben, was man dem sehr langen Gespräch, das wir bedauerlicherweise auf zwei Stunden runterkürzen mußten, auch anhört. Wie unverkrampft diese Szene in ihren Nürnberger Anfangsjahren doch gewesen sein muß. Ein Traum.

Auch hatten wir ein kleines Interview mit DJ Madspin, dessen Name stets mit Ehrfurcht ausgesprochen wird, da er die legendären "Phat Friday"-Partys im Hirschen machte. Er kam als Redakteur mitten im Hype der Neunziger, der Golden Era, dazu und besuchte uns für ein Interview im Studio, um nostalgisch die Zeit etwas zurückzudrehen.

Nicht zu vergessen DJ Mister Mogli, der quasi seit Jahrzehnten immer wieder mal Member der Redaktion ist, auch heute noch, und der seit über 20 Jahren ein Teil dieser Kultur ist.

 

Man merkt vielleicht: Wenn wir Beiträge oder Interviews aus früheren Zeiten in die Finger und letztlich auf die Ohren bekommen, schicken wir diese über den Äther, sodaß auch für die Hörerinnen und Hörer die Grenzen zwischen Raum und Zeit verschwimmen können, wenn sie sich drauf einlassen.

Für uns tun sie das - und vor nicht allzulanger Zeit erhielten wir nun dann eine Nachricht von Manfred Prescher. Sein Name war uns nicht unbekannt, fanden wir ihn doch schon in einem Artikel aus dem Buch "Wenn der Sinn nach Umsturz steht - 10 Jahre Radio Z" aus dem Jahr 1998 von "Michael Neujahr" erwähnt, der damals tief beeindruckt von Manfreds Wissen über die tieferen Ursprünge der HipHop-Kultur war, nachdem er ein langes Referat von ihm über die "Nation of Islam" beim "Ghettoblaster" gehört hatte. Wir freuten uns riesig über das Lebenszeichen und sind seitdem in Kontakt.

Wie die 399 Ausgaben des "Miststücks" beweisen, hat es mit den Referaten über das Musikgeschehen bei Manfred nicht aufgehört. Seine Kenntnis über Musikkultur ist immens und wir fühlen uns daher umso geehrter, daß er uns das Schreiben der 400. und letzten Ausgabe anvertraut hat. Vom "Miststück" verabschieden wir uns, aber wir freuen uns, Manfred erneut im "Ghettoblaster" willkommen zu heißen. Von ihm wird es zukünftig wieder eine kleine akkustische Rapkolumne bei uns in der Radioshow geben - und so schließt sich der Kreis. Das eine endet, etwas anderes beginnt. Bei Radio Z, Beim "Miststück" und beim "Fundamentalteilchen". Bei Manfred und bei uns.

Sandra und Nina

Über Sandra und Nina


Nina und Sandra sind ehrenamtliche Radakteurinnen bei Radio Z - und das seit 2002. Sie arbeiteten für verschiedene Redaktionen im Sender und sind seit 2008 als nino berry und dissidentin beim "Ghettoblaster". Sie sind als Veranstalterinnen, Musikerinnen und Texterinnen aktiv und arbeiten mit vielen Künstlern zusammen. Im Netz findet man viel von dem, was sie auszeichnet: Die Musik gibt´s auf ninoberry.bandcamp.com, Interviews auf mixcloud.com/ghettoblaster. Auf der Seite offbrainprojectmusic.bandcamp.com sind spannende Kollaborationen zu hören.

Über den "Ghettoblaster"

(von Manfred Prescher)


Den "Ghettoblaster" gibt es seit 1988, und er wird seitdem immer samstags beim Nürnberger Sender Radio Z ausgestrahlt. Die Gründungscrew - Dandy Ian, Rudi the Boomerang, MC Pimp, Zack aus Sack, DJ WX Rey und der Superhartmut - wurde unter anderem mit Manfred Prescher und durch neue Leute ergänzt oder ersetzt. Der Lauf der "Ghettoblaster"-Welt: Sie dreht sich weiter, es folgen immer - oder zumindest meistens - gute Leute nach. Ab und an kehrt der eine oder andere zu viel Ego raus, aber im Großen und Ganzen war und ist es richtig, daß es die Sendung noch gibt. Dank Sandra und Nina ist das heute immer noch so. Ihre Sendung ist frisch, charmant und vor allem kompetent. Denn die beiden Redakteurinnen sind näher an der Szene als (fast) alle ihrer meist männlichen Vorgänger.

Wer wissen will, was aus den alten Recken geworden ist, muß nur etwas suchen. Sie sind alle was geworden. Und geblieben, was sie waren. Ging ja nicht anders. Alte Sendungen werden irgendwo gehortet - und vielleicht mal digitalisiert. In den Anfangszeiten konnte man zum Beispiel lernen, wie man mit Bindfaden und CD-Player scratchen kann. Das klappte natürlich nicht - und ein verzweifelter B-Boy hat so seinen Player ruiniert. MC Pimp schenkte dem armen Typen einen neuen Player. Für mich war der "Ghettoblaster" ein Hobby, das ich neben meinem Radio-Beruf genießen durfte - also noch mehr Radio, cooles Radio machen. Das Ergebnis waren unter anderem Interviews mit Chuck D. und Flavor Flav von Public Enemy, mit Ice-T, mit den Beastie Boys, Monie Love, De La Soul, Pete Rock, Guru, ATCQ oder Cypress Hill - die Mitschnitte schenke ich Sandra und Nina. Daß wir drei uns beim Erlanger Konzert von Public Enemy nicht begegneten, ist eine Tragödie fast schon antiken Ausmaßes. Weil schon so lang her. Aber wir hören uns ja bald.

 

Photos: © beigestellt

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