Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 99

Elvis Costello And The Attractions: "Two Little Hitlers"

Es steht geschrieben, daß man keinen anderen GRÖFAZ neben ihm haben kann. Trotzdem holte der Mann mit der dicken Hornbrille den Diktator auf die Stufe mit uns Otto Normalunholden herunter oder - je nach Sichtweise - herauf. Was folgerichtig und sehr unterhaltsam ist, findet Manfred Prescher.    11.10.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Demnächst kommt der etwas andere Elvis mit einem neuen, Country-seligen Album heraus, das die Fortsetzung der nett altmodischen letzten Veröffentlichung ist. Mehr dazu findet Ihr im Miststück Pt. II/65. Deshalb sage ich an dieser Stelle nichts zu Costellos aktuellem Altersruhewerk, das man sich bequem vom Lehnstuhl aus anhören kann.

Irgendwann, vor langer, langer Zeit, war der gebürtige Londoner mit dem ausufernd hübsch-sperrigen Namen Declan Patrick Aloysius MacManus die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In der sollte dann die Wut des Punk mit Intelligenz, Ironie und Individualität erweitert werden, so wie es uns Costello mit seinen frühen Platten von "My Aim Is True" bis "Trust" versprach. Weil aber kein Mensch ein Musikerleben lang zornig herumwüten kann und sich Elvis für den King von Elfenbeinturmland hält, hat er sich seit Anfang der 80er mehr und mehr dem Kunsthandwerk verschrieben. Und da der Mann wirklich ein ziemliches Talent für echt schönes Liedgut hat, ist ihm auch im Bereich des ehrbar Hehren durchaus Gutes gelungen.

Mir sind seine Frühwerke dennoch lieber, da dort sein geniales Gespür für die catchy Melodie auf eine kurze und pointierte Raubauzigkeit traf. Im Gegensatz zu den Songs vieler Punkbands der ersten Stunde wirken Costellos ersten fünf LPs mit ihrer Melange aus Who-Power-Rock, Motown und einer Stimme, die Hohn und Spott nicht nur andeutet, daher noch richtig modern und zeitlos.

Der junge Costello erinnert verblüffend an den biestigen Schlamper Oscar Madison aus "The Odd Couple" ("Ein seltsames Paar"/"Männerwirtschaft"), der gegen das Sterile, klinisch Saubere seiner Umwelt zu Felde zieht. Man darf sich dabei aber nicht vom vermeintlichen Chaos täuschen lassen - Oscar und Elvis wissen, was sie tun. Deshalb hat Costello sich auch schon früh mit Nick ("I Hear You Knocking") Lowe verbandelt, der für knackige, punk-genaue Produktionen sorgte und alle fünf Costello-Platten der Anfangszeit "veredelte". Jungen Menschen sei dringend geraten, sich diese schillernden Meisterwerke herunterzuladen oder als remasterte CDs zu kaufen - und dann Green Day ein für alle Mal zu vergessen.

 

"Two Little Hitlers" stammt aus gutem Hause,  nämlich Elvis’ Drittling "Armed Forces", mit dem der Grantler das Jahr 1979 einläutete. Kurz nach dem Neujahrstag wurde das Album veröffentlicht, und es hört sich an wie ein vorweggenommenes Statement zur Thatcher-Ära, die im Mai beginnen sollte. "Chemistry Class", "Busy Bodies", "Goon Squad" oder der Single-Hit "Oliver’s Army" sind kluge Statements aus düsteren Zeiten - und nebenbei wunderbar eingängige Songs.

Von denen bietet "Armed Forces" noch einige mehr, etwa die Costello-Evergreens "Green Shirt", "Accidents Will Happen" oder eben die Moritat von den zwei Hitlers, die sich treffen und ihre Beziehung so beenden oder miteinander so streiten, daß höchstens ein extrem bitterer Endsieg voller Verwüstungen in Seele und Wohnraum nebst Kellerabteil herausspringt: "Two little Hitlers will fight it out until/One little Hitler does the other one’s will/I will return/I will not return/Down in the basement."

Ich habe den Song stets als ein Statement über das sehr endgültige Ende einer Liebe oder Freundschaft angesehen. Die politisch natürlich schon damals unkorrekte Redewendung von den zwei kleinen Hitlern, die gegeneinander Krieg führen, paßt in Costellos defätistisches Bild von Partnerschaft: Wenn sie zu Ende geht, dann wird vorher bis zum letzten Blutstropfen gekämpft. Mann gegen Frau, Diktator gegen Diktator: "Dial me a Valentine/She’s a smooth operator/It’s all so calculated/She’s got the calculator/She’s my soft touch typewriter."

Die Strophe endet übrigens mit den Worten "And I’m the great dictator", womit natürlich auch eine Nähe zu Charlie Chaplins Anton Hynkel erzeugt werden soll. Denn bei allem Ernst der Lage - diese beiden Hitlers machen sich nebenbei auch ganz entschieden zum Affen. Und darüber kann man, ganz im Gegensatz zum historisch verbrieften Hitler, auch wirklich lachen. Wir wissen ja, daß Chaplin seinen Film etwas später im Verlauf der Weltgeschichte nicht mehr hätte drehen wollen.

 

Nächste Woche wird die Miststück-Ära hier mit einer Doppelnummer enden. Ich zähle dann mit den Titeln "One Step Beyond" von Madness und Bob Dylans "Love Minus Zero/No Limit" bis zur Null runter. Und dann lüfte ich das Geheimnis, wem das allerletzte "Miststück" gewidmet wird. Wenn Ihr es nicht weitersagt, dann stecke ich euch heute schon mal, daß es sich um Jürgen Fichtinger und Peter Hiess handelt.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Elvis Costello And The Attractions - Armed Forces

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