Kolumnen_Miststück der Woche IV/33 - Leserwunsch #43

Elton John: "Your Song"

Gut Ding will Weile haben? Nicht unbedingt, findet Manfred Prescher. Manches geht so ratzfatz, daß man sich hinterher nur wundern kann: Das heutige Wunschlied wurde zum Beispiel in Windeseile verfaßt und ist doch auf ewig haltbar.    06.07.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Die Gebrauchsanweisung für ein optimales Steuersystem sollte auf einen Bierdeckel passen, die Anleitung für ein neues Smartphone benötigt sogar noch weniger Platz. Der legendäre Mini wurde von Herr Alec Issigonis beim Lunch auf eine Serviette gekrakelt und zum Welterfolg. Und Elton John schrieb die Melodie von "Your Song" vor mehr als 45 Jahren binnen zehn Minuten. Sein kongenialer Textpartner Bernie Taupin brauchte für die weltberühmten Zeilen des Liebeslieds kaum länger. Er dichtete auf einen vermutlich gebrauchten Zettel, der danach mit profanen Eier- und Kaffeeflecken verziert war.

Man merke: Am 27. Oktober 1969 verrichteten John und Taupin ihren Job während des Frühstücks und konnten sich danach für den langen Rest des Tages freinehmen. Eigentlich hätten sie der Arbeit komplett entsagen können, weil "Your Song" bis heute ordentlich Tantiemen abwirft. Aber gemeinsam schrieben sie noch viele Hits, die die Zeiten überdauerten: "Rocket Man", "Daniel", "Goodbye Yellow Brick Road", "Bennie And The Jets", "Sorry Seems To Be The Hardest Word", "The Bitch Is Back" oder "Saturday Night´s Alright For Fighting" - um ein paar Tracks zu nennen, die mir persönlich besonders gut gefallen. Die Beziehung von Elton John und Bernie Taupin ging irgendwann in die Brüche, und der passionierte Brillenträger wurstelte sich allein durchs Mittelmaß, watschelte durch seichte Pop-Gewässer - und fand seinen Partner vor ein paar Jahren wieder, doch dazu schrob ich bereits ein Miststück.

 

 

Die Botschaft von "Your Song" ist klar: Beschrieben wird ein Mann, der dem geliebten Menschen ein Haus bauen will, in dem dieser sich wohlfühlt. Ob es gleich ein "big house" sein muß, ist indes fragwürdig. Aber es sollte schon Wohlfühlplätze für beide geben. Und genug Raum, um auch Abstand voneinander halten zu können. Schließlich kann man sich dem anderen nur nähern, wenn einem der nicht dauernd auf den Zehen steht. Die zivilisationsmäßig zugestandenen acht Quadratmeter in den urbanen Wohnklos reichen dazu naturgemäß nicht. Die sind nur dann eine Lösung, wenn das Paar ohnehin Tag und Nacht mit Broterwerb - oder dem Mieteverdienen für die überteuerte Minibutze in München, Wien oder Hamburg - beschäftigt ist. Dann springt der Bock ins Boxspringbett, die Partnerin schminkt sich und beide die Zeit für sich oder gar den anderen ab. Es reicht dann nicht mal mehr für das Lesen spannender Krimis oder der lustigen Comics von Harry & Platte, die zu meiner Jugendzeit noch "Gin & Fizz" hießen. Aber Schnaps, das war bekanntlich sein letztes Wort, dann trugen ihn die Sittenwächter fort.

Ja, ein Haus für die Liebe, in dem Platz ist, um sich und dem anderen Raum zu geben, darum geht es in "Your Song". Aber eigentlich ist es noch sehr fern, dieses Gebäude, das gebaut werden soll. Im Video, das es lang vor MTV schon gab, streift Elton wie ein neuzeitlicher Robin Hood durch den tiefen Wald und sieht das Traumgrundstück vor lauter Bäumen nicht. Außerdem darf er vermutlich weniger Geld von seinem Konto bei der Royal Bank Of Sherwood abheben als der normale Grieche. Bei dem sind es 60 Euro am Tag - und da ist es gut, wenn man schon ein Häuschen auf Rhodos, Rhodesien oder Rhodondendron sein eigen nennt. Die Barschaft reicht gerade mal für ein Legohäuschen oder einen mit Hilfe einer Zehnschillingmünze, Brotresten und Spucke zusammengebauten Bungalow mit dem Schneidbrettchen als Garten.

 

Wir müssen Elton John und Bernie Taupin dankbar für diesen wunderbaren Song sein, der in der heimischen Badewanne oder beim Richtfest genauso funktioniert wie beim Kuschelmuschel oder dem Durchstöbern der Zeitungsanzeigen auf der Suche nach der passenden Bleibe. "Home is where the heart is", sang der unvergessene Bobby Womack - und man sollte schon deshalb nicht das erstbeste Hütterl nehmen.

Bevor ich aber zu sehr in irgendwelche kitschigen Details abdrifte, muß ich nochmal auf die Dankbarkeit zurückkommen: John und Taupin haben den Weg bereitet für die definitive Version von "Your Song". Es wäre einfach unverzeihlich, wenn Al Jarreau - nicht zu verwechseln mit dem ähnlich heißenden arabischen TV-Sender - das Lied nicht hätte aufnehmen können. Der 1940 in Wisconsin geborene Jazz-, Blues- und Soulsänger veredelt den Hit nämlich mit seiner warmen, locker swingenden Stimme. Jarreaus Version, speziell seine Live-Aufnahmen von "Your Song", grooven sanft, klingen ungeheuer liebevoll und kraftstrotzend. Edel, elegant und eindrucksvoll. Es sieht so aus, als habe das Stück nur darauf gewartet, daß es für Jarreaus 1975er-Meisteralbum "Glow" aufgenommen werden konnte. Da mag Sir Elton das Lied immer und immer wieder noch so gut live aufführen, sein Song ist nun der von Al. Aber vielleicht bezog sich das "Dein" im Titel von Anfang an auf Jarreau? Und Elton hat ihm ein Haus an den Strand von Huntington oder so gebaut? Getreu dem Heintje-Motto "Ich bau´ dir ein Schloß, wenn ich mal groß bin"? Fragen über Fragen.

Ich frage mich aber grad was anderes - und zwar, wie ich aus dem Text rauskomme, bevor er sich wie ein "big house" vor euch auftürmt. Lieber wäre es mir, er würde wie Dr. House am Stock gehend davonschreiten und noch ein paar klug-grimmige Äußerungen zum Abschied bringen. Wie zum Beispiel: "Wenn du zu Gott sprichst, ist es Religion, wenn Gott zu dir spricht, Psychose" - aber sowas fällt mir gerade nicht ein. Deshalb, und weil ich grad nach einem Häuschen schauen muß, möchte ich zum einen die beste Liebespartnerin zitieren. Die hat nämlich einen wunderbaren Begriff für männliche Schwärmerei geprägt und ihn so verpackt, daß man genau dieses Gehabe mit einem Lächeln einstellt: "Don´t marvingaye me!" Das ist schon verdammt cool.

Zum anderen möchte ich noch auf den Leserwunsch von nächster Woche hinweisen. In genau sieben Tagen geht es um "7 Chinese Brothers" von R.E.M. - und damit um die Chinesen mit dem Kontrabaß etcpp. Bis dahin macht es gut, seid´s freundlich und postet keinen Schwachsinn in irgendwelche Foren. Oder, um es mit Marvin Gaye zu sagen: "Let´s Get It On!". Oder mit dem großen Danny Wilde: "Auf Wiedersehen, aber es eilt nicht!" Wir lesen uns in sieben Tagen!

 

Manfred Prescher

Elton John: "Your Song"

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Enthalten auf der CD "Elton John" (Mercury Records Limited)

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