Kolumnen_Miststück der Woche – V/027: Komm süßer Tod

Ursula Strauss & Ernst Molden: "Ollas is hi"/Der Nino aus Wien: "Simmeringer Traum"

Haben wir schon erwähnt, daß unser langjähriger Kolumnist und geschätzter Begleiter Manfred Prescher "Ehrenösterreicher" ist? Grund genug, sich diesmal heimischen Interpreten zu widmen. Aber lesen Sie selbst.    22.07.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Vor Jahr und Tag wurde Manfred Prescher mit dem Prädikat "Ehrenösterreicher" ausgezeichnet. Dieses Privileg wird nur selten einem Piefke süddeutscher Provenienz zu teil. Weil bekanntlich von nichts auch nichts kommt - und weil keine Auszeichnung umsonst ist -, hat Prescher nun neben dem Recht, eine Freundschaft mit Herrn Felix Austria zu pflegen, auch einige Pflichten am Hals. So muß er am Ende eines jeden Quartals Zeugnis ablegen. Eigentlich wird dann freilich eher Zeugnis über ihn abgelegt, sprich: es wird überprüft, ob er inzwischen STS oder Fendrich verfallen ist, und ob er versucht, das Wienerische zu imitieren. Wenn er all dem widersteht, verlängert sich der Respektstitel wieder um drei volle Monate.

 


Man kann von einem Deutschen nicht verlangen, daß er Österreich versteht. Denn erstens, so behauptete schon der Herr Qualtinger selig, kann das der Eingeborene auch nicht gut und zweitens steht ihm das als Außenstehenden auch gar nicht zu. Mit dem Verstehen ist das ja sowieso so eine Sache: Als Bayer ist man dem südlichen Nachbarn "psychisch" (Siggi Freud) und "physisch" (Toni Polster) näher, was auch erklärt, warum Landbewohner wie Haindling oder Goisern hüben wie drüben auf die Idee kommen, ihre vermaledeite Künstlerseele nach irgendwelchen Dörfern zu benennen und anschließend gemeinsam die Donau hinunterzuschippern. Daß auch die urbanen Herren Kottan und der Monaco Franze echte Spezln sein könnten, geht in Ordnung. Um ein Langes kurz zu machen: Als Bayer versteht man die Fischköpfe in Hambuich, Bremen oder Dämelsdorf an der Havel noch weniger als den gemeinen Österreicher. Schon mal rein von der Dialektik, also der Sprache aus betrachtet. Weshalb sich zwischen Aschaffenburg und Garmisch Liedgut aus der Alpenrepublik immer schon ordentlich an den Mann oder die Frau bringen läßt. Aber das sagt nichts Grundsätzliches über den Geschmack der Bajuvaren und Franken, denn "DJ" Ötzi, die Seer oder Gabalier sind in auf jeden Fall Sondermüll.

Wenn man nun bedenkt, daß speziell Münchner entweder neidisch auf die K. u K.-Historie blicken oder im Schrumpfen des Habsburger Reiches ihre eigene historische Hinfälligkeit entdecken, wird es dann sprachunabhängig dialektisch: Denn Bayern und Österreicher trennt etwa soviel, wie sie miteinander verbindet - Sisi und ihr Böhm zum Beispiel. Und natürlich könnte eine Figur wie Kini Ludwig 2 auch als mißratener Sohn vom Franzl im Neusiedler See gekentert und ersoffen sein.

Daß der Adi seinerzeit von Wien ausgerechnet nach München zog, ist logisch. Er hätte aber eigentlich im hintersten Winkel Vorarlbergs verbleiben und sein Dasein vielleicht als Holzfäller fristen sollen. Aber AH suchte erstens Arbeit als brotloser Künstler und zweitens nach einer Bewegung, die im postrevolutionären München schon recht stark ausgeprägt war. Was das mit dem Hier und Jetzt zu tun hat? Speziell Österreicher müssen sich zwangsläufig vom nördlichen Nachbarn abgrenzen. Den Adolf können wir Piefkes natürlich gern behalten, die Österreicher geben uns im Gegenzug weder Mozart noch Beethoven, Falco oder gar Ernst Happel. Der Stermann ist auch nur geduldet und wird, wenn er unartig ist, ins Ruhrgebiet abgeschoben. Dann ist für ihn Schicht im Schacht.

 

 

Deutschland ist arrogant, doof und gespickt voll mit tumben Rappern oder mit austrophoben Satirikern. So machte die "Titanic" aus dem österreichischen Kanzler Kurz den "Baby Hitler" - und das bloß, weil er sich noch nicht zu rasieren braucht - und titelte anläßlich eines Wienbesuchs von Angie nebst höflichem Händeschütteln zwischen ihr und dem Sebastian frech "Merkel besucht Deutsch-Südost". In Merkels Sprechblase steht auch noch "Ver-steh- en Sie un-se-re Spra-che?". Kurz hätte richtigerweise "Nein, natürlich nicht. Lassen Sie uns lieber auf Englisch parlieren" antworten müssen. Denn Österreicher, Wiener zumal - ist Kurz Wiener? Oder nur Schlawiner? - haben eine eigene Sprache. Das war übrigens schon immer so, wenn wir dem großen Essayisten Anton Kuh Glauben schenken, was wir dringend tun sollten. Die Österreicher haben sich nämlich, so Kuh, ihre eigene Sprache zurechtgelegt: "Das Negligé im Tonfall; die Zunge legt sich da faul zurück wie in einen Klubfauteuil, die Vokale enthalten eine kleine Parfum-Injektion Langeweile aus verengter Nasenhöhle, die 'r' werden von der Gaumenplatte aufgepickt wie Krumen einer delikaten Torte, die Lippen öffnen sich zu nicht mehr Atem, als man dem öffentlichen Besitz unbedingt entnehmen muß - und dieser tönende Mundvorrat wird schluckweise konsumiert, zerbröckelt in einer Sauce von Gelächel."

Das ist, jetzt mal von innerwienerischen Standes- und Bildungsunterschieden abgesehen, das, was anderswo ankommt. Und was ganz zweifellos würdig und recht ist. Auf bayerische Menschen wirkt das vertraut und exotisch zugleich. Vielleicht gelingt es uns deshalb, wie ein in München lebender Journalist mal sagte, das Besondere an Künstlern zu entdecken, an denen man sich in ihrer eigenen Hood eher reibt. Der Prophet und das eigene Land sozusagen. Österreich - und speziell Wien - sind, von außen betrachtet, voll mit extravaganten, talentierten und unglaublichen Künstlern. Woran das liegt? An der eigenständigen und weitgehend unabhängig von Deutschland gewachsenen Kultur. Deren aktuelle Ausläufer - von Voodoo Jürgens und Jugo Ürdens über Die Buben im Pelz bis meinetwegen auch zu Herrn Wanda, zu Mavi Phoenix, zum famosen 2019er-Spätwerk von André Heller oder zu Ernst Molden - mögen zwar vielleicht auf gewisse gemeinsame Sozialisationspunkte blicken, sind aber doch ziemlich unterschiedlich in ihren Ausdrucksformen. Ist das dann trotzdem Austro-Pop? "Blödsinn", würde der Impresario Walter Gröbchen mit Recht sagen. Bei dem Begriff bekommt er angeblich die Krätze. Weil nun aber der deutsche Musikmanager, der die Sounds aus dem Nachbarland verkloppen soll, eine Schublade braucht, sucht er eine, in die - analog zu NDW - halt alles paßt, was Österreich so zu bieten hat. Im Endeffekt paßt dann natürlich gar nix mehr.

 

Was bleibt, sind talentierte Individuen, die richtig Gutes tun. Der Herr Mandl zum Beispiel. Der Songwriter und Literat, der einen immer spöttisch, weil mit hängendem Mundwinkel anblickt, hat seine Herkunft in den Namen gepackt. Als "Der Nino aus Wien" veröffentlicht er mit "Ocker Mond" nun bereits sein 12. Album. Es erscheint dieses Mal übrigens nicht bei Problembär Records, wobei festgestellt werden muß, daß der "Problembär" eine ziemlich bös-bescheuerte Erfindung des Bayern Horst Seehofer ist. Nino, der als Referenz André Heller und Helmut Qualtinger nennt, tut meist recht sanft, aber unter der Oberfläche brodelt es. Im zentralen neuen Song "Simmeringer Traum" erzählt er, wie er im Proberaum auf dem Sofa liegt und wegdöst. Er träumt sich in die Kindheit samt Gebolze, Coca-Cola-Rausch in der Sommerhitze zurück. Bilder in feinstem "Kodachrom" (Die Buben im Pelz) tauchen auf. Sie könnten auch in München oder Nürnberg, im Hasenbergl oder Gostambul auf die Hirnrinde tätowiert worden sein, aber sie stammen nun mal aus dem 11. Wiener Gemeindebezirk. Der Hörer hat das Gefühl, daß die idyllische Rückschau jederzeit in ein Drama mutieren könnte. Für die Couch würde dies bedeuten, daß sie das beschauliche Dasein gegen den belastenden Job beim Analysten eintauschen müßte. Aber so spielt das Leben immer wieder mal.

Nino Mandl hat übrigens 2015 auch eine wunderbare, "Unser Österreich" benannte Platte mit dem umtriebigen Dichter-Musiker Ernst Molden aufgenommen. Molden ist Sohn des Schriftstellers Fritz und trägt den Vornamen vom Opa auf. Dieser war Journalist und Chefredakteur, Gründer und Herausgeber von "Die Presse" und mit Paula von Preradović verheiratet - und von der stammen Worte, die jedem Österreicher schon in der Klippschule eingebläut werden: "Land der Berge, Land am Strome/Land der Äcker, Land der Dome/Land der Hämmer, zukunftsreich!/Heimat, bist du großer Söhne/Volk, begnadet für das Schöne/Vielgerühmtes Österreich." Auch als Ehrenösterreicher muß man die Bundeshymne vorwärts wie rückwärts singen und die schöne, alte Melodie freihändig auf der Arschgeige (Ingo Insterburg) fiedeln können.

 

 

 

Molden der Jüngere blickt also auf eine sehr österreichische Familiengeschichte zurück. Und in der kommt auch der oben zitierte Anton Kuh vor. Aber es ist natürlich auch ein Kreuz mit dem Namen. Es sei denn, man nutzt ihn künstlerisch für einen eigenen Weg. Das macht der Ernst mit viel Fleiß und etlichen Kollaborationen, besonders gern mit den Herren Resetarits, Soyka und Wirth. Aktuell - vielleicht ist er aber längst schon ein paar Platten weiter - arbeitet er mit der Schauspielerin Ursula Strauss zusammen. Die nicht in Wien, sondern in Melk geborene Mimin ("Revanche", "Mein bester Feind", "Wischen ist Macht") und der Dichter kennen sich spätestens seit dem Theaterstück zu Moldens Textsammlung "Wien Mitte". Auf Strauss´ Album "Wüdnis" ist Molden der perfekte Partner für rauhe, aber herzliche Chansons. Die Wildnis von Simmering oder von Wien Mitte wird mit samtener Stimme besungen und in Worte gekleidet, die eben auch Tradition in sich bergen: "Ollas is hi" bemüht sogar den lieben Augustin. Denn bekanntlich wußte der schon, daß am Ende ohnehin alles stirbt. Vergänglichkeit ist beileibe kein Wiener Phänomen, sie eint uns Menschen und verbindet uns außerdem auch mit Berggorilla (Reinhold Messner), Maulwurf (Fielmann) oder Amöbe (Attila Hildmann). Aber die Einwohner von Österreichs einzig echter Metropole haben sich mit diesem Umstand immer schon auf ihre eigene Weise beschäftigt: "Heite grob ma Tote aus" singt Voodoo Jürgens. Denn bekanntlich feiern die Zombies am Zentralfriedhof die heißesten Partys. Nur die "alte Engelmacherin vom Diamantengrund" durfte nie mitfeiern. Denn die "is noch ein poa Joan/Leider selbst ein Engerl woan/Und donn ham die andern Engerln sie daschlogn!"

Bleibt zu hoffen, daß der Nino aus Wien in seinen Tagträumen nicht von Tod und Teufel, von muffiger Gruft und ewig verdammten Engeln träumt. Wahrscheinlich ist das aber nicht, wie seine Lieder belegen. Das muß wohl an der Herkunft liegen. Nächste Woche wird es todsicher eine neue Kolumne geben - und die wird wirklich etwas anders sein. Es geht um "Nasenspray". Aber laßt euch überraschen.

Manfred Prescher

Ursula Strauss & Ernst Molden - Ollas is hi

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