Kolumnen_Der Misanthrop: Insel-Fans
Insel-Fans
Der Misanthrop haßt Inseln, die nicht zumindest die Größe Siziliens haben. Sie auch? Dann sind Sie hier richtig! 26.05.2003
"Weißt du, wohin wir diesen Sommer fliegen?" fragt die überschminkte Rotblonde in einem Tonfall, als müßte man das längst erraten haben - oder als würde man sich dafür interessieren. "Auf eine karibische Trauminsel, die man in zwei Stunden komplett zu Fuß umrunden kann!"
Was soll man darauf erwidern? Recht geschieht euch...
Denn da haben die sonnenhungrigen Bekannten ja wirklich eine wahre Schreckensvision gebucht - und das für 5200 Euro. Trauminsel ist ein Oxymoron; wenn überhaupt, dann müßte es "Alptrauminsel" heißen.
Insel-Fans sind in der Regel oberflächliche, unverbindliche Menschen, die es im Alltag aufgrund glücklicher Zufälle und sozialer Verirrungen geschafft haben, sich der Korsage des gemeinen Berufslebens zu entziehen und als Selbstständige oder Abteilungsleiter sorgenfreies Geld zu verdienen. Ihren Arbeitsplatz und Wohnort erleben sie als "hübsch und ganz nett, aber nicht gerade exotisch". Deshalb sehnen sich diese Kreaturen auch nach der Minimalität und Abgeschlossenheit eines auf Satellitenaufnahmen gerade popelgroßen Eilandes, von dem selbst Ameisen nach zwei Tagen eine genaue Kartographie anfertigen könnten.
Dabei könnte man Inseln ja auch Positives abgewinnen: zum Beispiel den täglichen Besuch in einem der Hafencafés, um sich über Neuankömmlinge das Maul zu zerfetzen, sobald sie grüngesichtig und seekrank aus der Fähre geklettert sind - wie in dieser amerikanischen Eighties-Fernsehserie, wo auf einer Insel alle Träume erfüllt wurden. Außerdem kann man auf Inseln minderbemittelte Menschen mit der Aufforderung, immer geradeaus und parallel zum Meer zu laufen, am Strand loslassen, nur um Stunden später ihre Rückkunft an derselben Stelle mißgünstig zu kommentieren. ("Schlechte Zeit - gleich nochmal, bitte.")
Aber das alles finden Insel-Fans ja keineswegs erheiternd. Sie sehnen sich vielmehr nach der Stratifikation von Meer-Strand-Bebauung-Urwald-Bebauung-Strand-Meer. Diese Struktur ist für sie überschaubar und birgt doch einen vermeintlich exotischen Kern. Daß sich im "Urwald" oft so unschöne Dinge wie Chloranlagen, Mülldeponien und Pharmaproduktionshallen befinden, verklären sie mit haltlosen Mythen, die sie aus ihren (wegen der Gischt) meist laminierten Inselführerbüchern entnommen haben.
Der Misanthrop haßt Inseln, die nicht zumindest die Größe Siziliens haben. Auf all diesen kleinen, nutzlosen Eilanden ist man dem Mitmenschen - der vor allem in Gestalt des häßlichen Urlaubers, gern aber auch als boshafter Einheimischer in Erscheinung tritt - schutzlos ausgesetzt und hat noch dazu permanent das Meer vor Augen, das zwar nichts kann, aber bestimmten Leuten den Eindruck vermittelt, sie dürften auch schwermütig und grüblerisch sein. Dabei sollten sie das wirklich lieber den Profis überlassen.
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