Depeche Mode: "I Feel You"
Enthalten auf der CD "Songs of Faith and Devotion" (Sony)
Ein weiterer Leserwunsch: Dieser Song klingt zunächst mal gar nicht so typisch für eine Band, die normalerweise die Prozessoren zu coolen Sounds animiert - aber eigentlich paßt er doch ganz gut in ihr Gesamtwerk, findet Manfred Prescher. 06.04.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Ein guter Freund frug mich vor kurzem, ob es verwerflich bzw. moralisch vertretbar sei, glücklich zu sein, wenn es den Menschen im Umfeld schlecht geht. Das ist, finde ich, tatsächlich eine Kardinalfrage - und zwar eine, die das Leben immer wieder in den Raum hineinwirft, auf daß sie einer wie ich auffangen möge. Die Antwort darauf ist freilich ebenso schlicht wie oft undurchführbar: Klar darf man dann glücklich sein; das wird sich, wenn es nicht gar zu penetrant nach "eitelpopeitel" (Dr. Gernot Hahn resp. Helge Schneider) nach Sonnenschein aussieht, sogar auf das Umfeld positiv auswirken.
Allerdings hat das Ganze einen doch nicht unerheblichen, oft ins eigene Fleisch schneidenden Haken: Dazu muß man erst mal in der Lage sein - also schlechtes Gewissen und das Sich-schuldig-fühlen-weil-es-einem-selbst-grad-die-sonst-so-finstergraue-Wolke-rosa-färbt außen vor lassen. Es ist wie in einem Song von Depeche Mode: die bremsen die positive Emotionalität immer dann ein, wenn sie sich allzu offenherzig präsentiert. Stattdessen wird sie mit berechtigten Zweifeln, Ängsten und auch einer Spur Härte (denn nix ist härter, sag ich schnell, als die neue CPU von Intel) garniert. Auf daß immer wieder großartige Musik dabei herauskommt. Oder: While my Kühlschrank gently fiept. Das tut er übrigens immer, weil der alte Kompressor, der hinten vor sich hin dampft, mit dem Abkühlen all der leckeren Sächelchen kräftig zu tun hat.
Bevor ihr lieben Leser und Fans von DM - nicht der Drogeriemarktkette oder der Währung, die einst härter als der Intel-Chip (siehe oben) war - sagt, daß "I Feel You" doch mit einer E-Gitarre anfängt, schreib´ ich das lieber selbst: Es stimmt, Martin Gore spielt auf dem 1993 als Vorbote des wirklich sehr guten achten Albums "Songs Of Faith And Devotion" veröffentlichten Hits wirklich auf einer elektrischen Klampfe und läßt es rocken. Allerdings kreischt dazu ein echter Depeche-Mode-Synthie, was das Intro, jawoll, hart und härter klingen läßt. Fast so hart wie das 5-Mark-Stück, das einst der Tochter einer peripher Bekannten einen Milchzahn kostete. Die junge Dame lernte den Begriff "harte Währung" noch deutlich vor der Pleite der Lehmannbrüder und der Finanzkrise kennen. Beißender Spott ist aber anläßlich des Bisses in den Silberling nicht angebracht - wir waren schließlich alle mal jung und konnten mit Geld nicht umgehen. Was, bei Lichte betrachtet, durchaus sehr für die Kindheit spricht.
So, und jetzt zurück zu "I Feel You". Das von Martin Gore geschriebene Lied ist tatsächlich ein Lovesong. Das hört man ihm nicht direkt an, und irgendwie umschleicht mich das Gefühl, daß der Autor sich entweder gerade frisch ins Kloster der singenden Elektroradaubrüder begeben wollte und sich auf dem Weg in die Gebetsmühle in den Herrn verguckte - oder auf Drogen war. Letzteres war, wie man damals der englischen Musikpresse entnehmen konnte, tatsächlich der Fall: "Ich fühle dich/jede Bewegung, die du machst/Ich fühle dich/jeden Atemzug, den du machst/Wo die Engel singen/Und ihre Flügel ausbreiten/Meine Liebe ist im Himmel/Du bringst mich bald nach Hause/Zum Himmelsthron."
Jeden Atemzug des/der Liebste(n) muß nun wirklich keiner fühlen. Weil der Odem, besonders frühmorgens, nicht unbedingt frisch vor sich hinmüffelt. Aber dafür hat DM, der Drogeriemarkt jetzt, doch das eine oder andere Mittelchen parat, das man/frau sich neben die Heia stellen und vor dem "Feel You" zulassen/machen erst mal damit gurgeln kann. Ein Waschbecken vor dem Bettgestell wäre dann aber durchaus nicht schlecht, das sei hier angemerkt.
Ihr habt es vielleicht gemerkt, die religiösen Anspielungen des Herrn Gore sind nicht so mein Ding. Jemanden zu fühlen, den man sehr gern hat, "naturelehmann" (Danny Wilde) schon. Aber man hüte sich vor solchen Überhöhungen, wie sie in diesem an sich eben doch kreuzguten und eingängigen Popsong mit recht nüchterner Stimme rezitiert werden. Es muß freilich nicht wirklich jedes Lied gleich geistreich, wegweisend und relevant betextet sein. Außerdem wissen wir doch nicht erst seit Frau Kübler-Ross, daß Menschen ab einem gewissen hohen Alter dazu neigen, wieder an eine Gottheit zu glauben, die sie ins Paradies - "Du bringst mich dahin/Wo das Königreich ist" - führen wird. Am besten, da sind sich alle Zausel sicher einig, ohne den Zwischenweg durch das Purgatorium.
Aber muß man denn dann gleich diese typischen "Wachturm"-Worte verwenden? Na, wenn man zufällig seinen schwarzen Afghanen beim netten Jehova-Mitarbeiter kauft oder sich den Joint aus dem Papier der Postille dreht und dabei vom "Königreich" liest, kann das schon mal passieren. Apropos Paradies: Bekannt ist ja, wie Jesus riet, das man danach fahnden solle. Zumindest hat uns das Matthäus so überliefert: "Und ihnen, den Rechtschaffenen, sage ich: Suchet das Reich Gottes zu Erlangen!" Nur, das kann ich euch und Martin Gore auf den Weg geben, hat man es in dieser fränkischen Stadt bis heute, 23.53 Uhr, nicht gefunden. Dafür gibt´s am Rand der City eine Kneipe namens Hühnertod, um die man einen mindestens genauso großen Bogen machen sollte wie um das Fegefeuer.
Nächste Woche wird es hier an dieser Stelle um ein Lied eines Mannes gehen, der sein Haschisch vermutlich "gar nie nicht" (Fred Feuerstein) im "Wachturm"-Blättchen durchgezogen hat: Bob Marley und sein großer "Redemption Song" stehen im Mittelpunkt der kommenden Kolumne. Nebenbei werde ich dann von Johnny Cash und Joe Strummer (The Clash) erzählen, denn die haben dieses Stück des Reggaekönigs ebenfalls sehr illuster instrumentiert. Bis es soweit ist, "enjoy the silence", um es mit Depeche Mode zu sagen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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