David Bowie: "Where Are We Now"
enthalten auf der CD "The Next Day"
(Foto: Jimmy King)
Es gibt schon essentielle Fragen: Wo sind wir? Warum sind wir hier und nicht woanders? Und warum ist es hier auch nicht schöner als anderswo? David Bowie jedenfalls läßt grad wieder seine Berliner Phase aufleben - erzählt Manfred Prescher. 21.01.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Für eine sehr weise Folge von "Kottan ermittelt" schrieb der kluge Herr Zenker den wunderbaren Wortwechsel: "Ich werde in mich gehen"/"Am besten bleims glei durt." Und genau das hat einer meiner Allzeitlieblinge auch gemacht: David Bowie versenkte sich in sich selbst, verschwand für uns alle in der Versenkung und war praktisch schon so tief gesunken, daß mit einer Rückkehr in diesem Erdzeitalter nicht mehr zu rechnen war. Aber wie das so ist mit der Liebe: Die Hoffnung stirbt zuallerletzt, und solange es eine tiefe emotionale Verbindung, also jede Menge Erinnerungen an gemeinsame Schwelgereien gibt, wird man unweigerlich wünschen, daß man wieder zusammenkommt - in diesem Leben oder einem anderen. David Bowie liebe ich nun schon, seit ich ein Bub war, der mit "Hunky Dory" und vor allem mit "Ziggy Stardust" sich selbst, seine Sexualität und eine gewisse Grundhaltung fand. Die "Berliner Phase" mit den Alben "Low" und "Heroes" mochte ich natürlich auch, obwohl sich mir damals die Frage aufdrängte, welche Drogen er sich bei "den Kindern vom Bahnhof Zoo" besorgt haben mochte.
Irgendwann, genauer gesagt, vor nunmehr auch schon wieder rund zehn Jahren, verließ mich Bowie, nachdem unsere Beziehung zwischendrin auch mal recht fad geworden war. Am 16. September 2003 erschien nämlich seine bis dato letzte CD "Reality" - und die war eigentlich so schön, daß praktisch alles in mir nach mehr schrie. Nach Jahr und Tag war dann einmal Ruhe, und ich wußte eigentlich nicht mal mehr, ob David überhaupt noch lebte, geschweige denn, wo er sich herumtrieb. Nun, er wurde eben erst 66, da hätte einen das Dolce Vita schon längstens und mit Schmackes dahingerafft haben können. Happy Birthday! Mein Herz klopfte jedenfalls wie wild, als ich auf den "Play"-Button klickte und den Vorboten des neuen Bowie-Albums "The Next Day" zum ersten Mal hören durfte.
Übrigens: Das Cover-Artwork ist ziemlich grauselig, man hat einfach Teile des Titelphotos der "Heroes"-LP mit einem weißen Viereck überzogen. Aber wen stört das denn? Platten des Meisters sahen oft merkwürdig doof aus, erinnert sei nur an "Reality" oder "Tonight" (gut, das Ding war auch musikalisch eher mittelmäßig). Das neue Lied "Where Are We Now?" schließt nahtlos an "Reality" an - es hat eine Melodie, die sich nicht beim ersten Hören festsetzt, wohl aber beim zweiten und dritten Anlauf. Dem Vernehmen nach soll das Album recht rockig geworden sein, die erste Single ist jedenfalls eher zurückhaltend geraten.
Die Frage "Wo sind wir gerade?" beantwortet Bowie für sich aber schon. Er ist wieder in Berlin, im Text erwähnt er den Potsdamer Platz, die Große Brücke, das KaDeWe und die Nürnberger Straße. Berlin ist zwar sexy, aber er hätte auch Haselünne oder St. Georgen ob Murau nehmen können. Denn das Lied klingt nicht nach Metropole, außer man setzt voraus, daß der Mensch immer und überall einsam sein kann, im dichten Gedränge der Menschenmenge ebenso wie am Deich oder am Gebirgsbach. Philosophisch gesehen, spielt das "Wo-wir-sind" eine untergeordnete Rolle; vielmehr wird häufiger erörtert, wer wir eigentlich sind. Tiefenpsychologisch kommt dann noch die Rückbesinnung auf das "Wo-kommen-wir-her" dazu. Bei den meisten Menschen ist das nicht so bekannt, wie man annehmen sollte. Wenn der Vorfahr nicht gerade zufällig in einem Stall in Judäa geboren wurde, kann die Spurensuche schon aufreibend sein - weil halt selten ein heller Stern am Firmament dabei hilft. "Wo sind wir gerade?" steht für den Wunsch nach Positionsbestimmung innerhalb eines mehr oder minder bekannten geographischen oder seelischen Gebietes. Die Folgefragen lauten dann natürlich "Kannst du mir den Weg zeigen/mich mitnehmen?" und "Warum habe ich das Navi in der Küche liegen lassen/Was - beim Teutates - macht das Navi in der Küche?". Abschließend beantworten wir die Frage, wo wir sein könnten oder gar sollten, wieder mit dem Herrn Zenker, der den Major Adolf Kottan und seinen Kollegen Paul Schremser zu Wort kommen läßt:
Kottan: "Gemma no ans Büffet?"
Schremser: "Do is immer so voi."
Kottan: "Oba an Plotz hintam Bier wer ma scho kriagn."
Genau, das hat doch etwas allzeit Tröstliches, wenn man alles durch das fahle Licht eines Glaskrugbodens betrachtet. Nächste Woche geht es um das Weibliche an sich - mit Max Raabe und "Für Frauen ist das kein Problem". Ich werde das Lied extra für euch im Text mit "Gangnam Style" von PSY mixen. Wie sich das wohl liest?
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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