DAF: "Der Mussolini"
Enthalten auf der CD "Alles ist gut" (Mute/AIP)
Die Mädels auf Kur, schon wird getanzt? Pustekuchen, der Kolumnist sitzt am Tisch, schreibt an einem weiteren Buch und denkt an alte Zeiten. Die waren selbst im Schein der altersmilden Rückschau-Lampe gar nicht mal so gut, findet Manfred Prescher. 30.03.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Die Welt war und ist oberflächlich. Nicht etwa eine Scheibe, aber auf dem runden bzw. - siehe aktuelles Universal-Logo - eiförmigen Dingenskirchen, auf dem wir so herumwüten, werden selten tiefgehende Gedanken geäußert. Man lebt halt oft sehr dumpfstumpfsumpfig vor sich hin. Nur der Philosoph ist wirklich doof und kann seine intellektuelle Klappe nicht halten. Aber das macht nix, man hört ihm eh nicht zu. Das hat er nun davon. Und deshalb muß man sich der hohlraumversiegelten Masse anders nähern - etwa so, wie es Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl anno 1981 mit "Der Mussolini" gemacht haben.
Als Deutsch Amerikanische Freundschaft (kurz, aber nicht mit dem ehemaligen holländischen Autohersteller gleichen Namens zu verwechseln: DAF) forderte man die wilden Waver-Horden dazu auf, den Duce zu betanzen, genauso wie Adolf Hitler, den Kommunismus oder Jesus. Also "Geht in die Knie, bewegt eure Hüften und klatscht in die Hände ..." Das war doch irgendwie anstößig ... Meine damalige Freundin hatte, noch bedingt durch ihre eben erst zu Ende gegangene freikirchliche - "die Gabel Gottes, die Gabel Gottes, labermurmelsalbader, Halleluja" - Vergangenheit ein großes Problem mit "Der Mussolini". Aber da war sie nicht allein. Darf man echt zum Führer oder zumindest zu dessen Namen tanzen? Oder zu Mussolini, der bekanntermaßen ebenfalls ein schlimmer Finger war? Italiener, die ja zum Beispiel in jedem Kiosk die Prunkwagen von Addi und Benni feilbieten, hätten da weniger Probleme. Aber wir, deren Altvordere die Welt praktisch ganz allein und ohne Achsenmächte zerstört haben, wir zweifelten ... Ich natürlich nicht, ich legte das Lied gern auf, weil mir eigentlich erstens klar war, daß der homosexuelle, leicht S/M-verdächtig wirkende Delgado-Lopez und sein sanfterer Partner Görl sicher keine Nazis waren. Und außerdem wollten die beiden doch nur mit den Klischees und mit dem Tabubruch spielen - und "jetzt von vorn, tanz den Jesus Christus".
Was hat denn Jesus in dieser Runde zu tun? Abgesehen davon, daß er ebenfalls ein Anführer war und zum Zeitpunkt der Aufnahme von "Der Mussolini" schon ein paar Monate lang zur Rechten von Gottvaterson, dem IKEA-Gründer, saß, und damit vulgo auch mausetot war, nicht viel. Das spielt doch, herrgottnochmal, keine Rolle. Wir tanzen 1981 zum sicher geglaubten Untergang der Welt. Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt, um es mit Udo - bitte keine Drogen - Lindenberg zu sagen. DAF waren wirklich groß, das dazugehörige Album mit dem irreführenden Titel "Alles ist gut" war ein Pionier-Großwerk des Elektro-Techno-Punk und enthielt mit "Alle gegen alle" oder "Als wär´s das letzte Mal" noch mehr Tänze auf dem heißen Vulkan - und nebenbei mit "Der Räuber und der Prinz" eine echte Reminiszenz an Kraftwerk, die - wie DAF - aus Düsseldorf kamen. Und in jenem Städtchen am Rhein gab es unter anderem noch Fehlfarben, Mau Mau und Der Plan. Warum ich das sage? Ursprünglich bestand die Freundschaft aus fünf Mitgliedern, von denen zwei nach dem zweiten Album "Die Kleinen und die Bösen" zu Mau Mau und einer zu Fehlfarben ging - und den Song "Kebabträume" dorthin mitnahm. Und Der Plan hatte am Rhein sowieso überall seine kreativen Finger drin.
Daß Worte ohnehin nur Schall und Rauch sind, wenn sie in den richtigen Rhythmus gesetzt werden, bewies man ein paar Seemeilen weiter nördlich. In Deutschlands seltsamster Großstadt, wo der Fluß "Leine" heißt, auf daß man sie am besten schnellstmöglich zöge, gab es eine Indie-Band namens Mythen in Tüten. Und abgesehen davon, daß auch der unterschätzt-geniale Moderne Man sowie Bärchen und die Milchbubis ("Jung kaputt spart Altersheime") aus Hangover kamen, war schon damals ebendort nicht so viel los. Gut, die Scorpions lassen wir mal außen vor.
Diese Mythen - was für ein eigentlich brunzdoofer Name - ließen uns zum Rhythmus von Delgado-Lopez und Görl weitertanzen, aber zu italienischen Leckereien, zu Tortellini, Makkaroni "und jetzt den Spaghetti". Sänger Emilio Winschetti sang so schön ausdruckslos, daß auch dieser kleine Hüpfer recht gut funktionierte. Mir gefiel auf dem Album "Die neue Kollektion" aber "Südstadtspatz" damals besser. Waren wir Großstadtjungs wirklich so? "Und dann hab´ ich die Heike gesehen, die wohnte in der Geibelstraße 10/Sie hatte zwar nicht die optimalen Maße, aber dafür wohnte sie in der Geibelstraße ..." Egal. Wir tanzen jetzt mal auf Putin! Was, der lebt noch, der alte kaukasische Holzkopfmichel? Sei´s drum. "Bewegt eure Hüften, beugt euch nach vorn!"
"Der Mussolini" - nicht der Massenmörder, sondern der Song - war ein weiterer Leserwunsch. Auch nächste Woche mache ich wieder einen Mitmenschen glücklich und schreibe speziell über ein von ihm ausgewähltes Lied - nämlich "I Feel You" von Depeche Mode. Bis dahin also ... fühlt am besten, was ihr wollt, und am allerbesten euch selbanderweise. In diesem Sinne.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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