Clueso: "Kein Bock zu geh´n"
Enthalten auf der CD "Gute Musik" (Four Music/Sony Music)
Immer weiter voran geht es mit euren Wünschen. Heute kümmert sich Manfred Prescher um ein Stück Groove aus Thüringen - und um ein Lebensgefühl, das wir irgendwie alle kennen. Und ihr? Ihr könnt euch weiter Songs wünschen, die hier beschrieben werden sollen. 08.09.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Clueso? Moment, was sagt mir der Name? Ist das nicht dieser WM-Rekordtorschütze, dieser Miroslav Clueso? Nein, es ist wohl doch eher das Brettspiel, bei dem von bis zu sechs Mitspielern aufgeklärt werden soll, wer Dr. Schwarz gemeuchelt hat. Ach, ich Dummerle - Clueso ist ein rappender Songschreiber aus dem "Östen", der am 19. September mit seiner neuen CD "Stadtrandlichter" auf uns zukommen wird. Und natürlich kenne ich ihn bzw. seine Musik; ich wollte nur ein wenig herumkalauern, weil ich dem Mann doch eher wohlwollend-gespalten gegenüberstehe.
Der hat tatsächlich in seiner nun auch schon zehn Jahre andauernden Karriere den einen oder anderen wirklich merkwürdigen Song aus dem Hals direkt an die Oberfläche rausgehauen, aber die muß man sich alle nicht merken. "Keine Zentimeter" oder "Gewinner" kann man aber, da geb´ ich der besten Liebespartnerin von allen unumwunden recht, immer wieder gut hören. Da stimmen Text und Groove einfach. Beide Tracks stammen vom rundweg famosen Album "So sehr dabei", auf dem sich der Rilke- und Lindenberg-Fan Clueso doch vom Rest der rappenden Zunft abhebt. Leise Töne, kluge Sätze, da ist einfach alles drin: "Und wir laufen, um uns zu begegnen/Die Augen zu vom Reden/Frei und noch entspannt ..." Doch, doch, die Vorstellung gefällt mir, aber es geht hier grad mal nicht um mich, sondern um eine Frau, die sich ein ganz anderes Lied vom Klose oder so gewünscht hat.
Mit der Single "Kein Bock zu geh´n" gelang Thomas Hübner, wie Clueso in der rauen Wirklichkeit heißt, 2005 der Durchbruch. Naja, zumindest markierte der Song einen beachtlichen ersten Karrierehöhepunkt. Immerhin wurde der Rap-Dichter damit Siebter bei Stefan Raabs Bundevision-Dingenskirchen, und das Stück groovte sich in die mittleren Ränge der Charts.
"Kein Bock zu geh´n" paßt ganz gut zu "Gekommen um zu bleiben" von Wir sind Helden, auch wenn die Musik von Clueso viel feiner und ziselierter klingt. Ich erinnere mich gerade, daß ein guter Bekannter damals beide Songs praktisch nonstop immer und immer wieder nacheinander abgespielt hat. 2005 war für ihn scheinbar ein Zeitraum, in dem er sich nicht von der Stelle rühren wollte. Ich mußte nach den Besuchen bei ihm stets den ebenfalls aus demselben Jahr stammenden Song "Still wird das Echo sein" von Element Of Crime hören. Ach, eh ich es vergesse: Element Of Crime bringen derzeit ebenfalls ein neues Album auf den Schrumpfmarkt. Die Single heißt "Lieblingsfarben und Tiere" und ist so schön, daß ich "kein Bock" habe irgendwo hinzugeh´n, bevor der Track nicht mindestens dreimal von vorne losgelaufen ist.
Aber nun mal im Ernst: Was Clueso in seinem "Kein Bock zu geh´n" daherrappt, ist - wenn man mal vom kruden Umgang mit der deutschen Grammatik absieht - doch jedem vertraut. Man müßte längst woanders sein, vielleicht im Büro, beim Arzt, vom Freigang zurück im Zellenblock Nummer 9 oder auch einfach nur im Bett, weil der nächste Tag ohne eine Zipfelmütze voll Schlaf kaum zu überstehen sein wird. Doch man kommt nicht weg. Da ist dieses zauberhafte Wesen, das einen einfach so "am angebenen Ort" festhält. Man verkneift sich, um es mit Clueso zu sagen, einen dummen Spruch und stellt sich vor, wie sie ihr Kleid verliert. Auch das vielleicht, aber ich kenn´ das von mir eher so: Ich bin in solchen Situationen so angezogen von dem anderen Menschen, der Stimmung, dem Universum, in das ich grad blicke, und vom ganzen Rest, daß ich die faktisch richtigen Gedanken an Mediziner, Meetings oder Möbelkauf immer weiter in die inneren Tiefen runterschiebe. Dort mögen sie dann bittschön bleiben, möglichst so lange, bis ich den magischen Moment ausgekostet habe. Später würde ich mich wieder ans normale Tag- bzw. Nachtwerk machen.
Clueso sieht das allerdings ein bisserl anders - der will noch nicht mal geh´n, als ihn der Kater eingeholt hat und er erkennen muß, daß da gar keine Liebe im Spiel war, sondern "nur" das gemeinsame Spiel. Es gibt Menschen, die müssen zum Beispiel nach einem Konzert sofort - am besten mit Abklingen des letzten Zugabentons - raus aus der Halle und rein in die Normalität springen. Andere wiederum bleiben, bis der Saalordner sie mitsamt den Pappbechern rauskehrt. Diese Leute bewegen sich praktisch stehend in eine immer tristere Welt, weil ja bekanntlich nichts mausgrauer ist als ein komplett leerer Großraum nach einem tollen Gig.
Ich selbst hab´ eigentlich schon Bock zu geh´n, denn ich hab´ rausgefunden, daß Wiederkommen einfach etwas Besonderes ist. Und daß man, wenn man sich auf seine Latifundien zurückzieht, den anderen ein Stück weit mitnimmt. Aber soweit sind Clueso und die Frau aus seinem Song gar nicht gekommen. Vielleicht haben sie den Mörder von Dr. Schwarz einfach zu schnell gefunden?
Nächste Woche erfülle ich einen weiteren Leserwunsch - und da wird´s ganz schön knifflig. Schließlich wissen nicht mal die Eagles selbst, worum es in ihrem sagenhaften Lied "Hotel California" wirklich geht. Aber keine Angst, mir fällt schon was ein, schließlich bin ich "programmed to receive". Das wird für mich auf jeden Fall sehr spannend, und ich hoffe, euch wieder zahlreich an den Laptops und Tablets zu finden. Ihr braucht dann auch nicht geh´n, bevor der letzte Buchstabe weggelesen wurde. In diesem Sinne!
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Clueso: "Kein Bock zu geh´n"
Enthalten auf der CD "Gute Musik" (Four Music/Sony Music)
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_