Bob Marley & The Wailers: "Redemption Song"
Enthalten auf der CD "Uprising" (Island/Universal Music)
Erlösung oder Rückzahlung - worum geht es in diesem Wunschlied eigentlich? Manfred Prescher meint, daß beide Deutungen gut möglich sind. Auf jeden Fall aber ist es ein guter Song, den man gern mal wieder am Lagerfeuer, gemeinsam mit anderen Menschen, für das Gute auf der Welt in die Nacht hineinsingen möchte. 13.04.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Es ist ja nicht so besonders seltsam, daß ich zum Kolumnenverfassen an den Schreibtisch gehe und mich auf den Hosenboden setze. Nur die Stimmung ist stets - und nun schon zum 322. Mal - eine andere. Heute schaue ich beispielsweise gedankenverloren aus dem Fenster. Es sieht so aus, als sei es draußen ziemlich kalt. Aber Momentamoll, haben wir nicht Frühling? Wenn es aber an der frischen Luft immer noch frostig ist, dann muß man eben von innen heraus Wärme abstrahlen, so wie es der im Mai 1981 mit gerade mal 36 Jahren früh verstorbene Rasta-Priester Bob Marley gemacht hat: Man glaubt einfach - wenn das so einfach wäre - an das Gute in der menschlichen Kreatur und überströmt alles mit Liebe. Auf daß sich mehr Menschen anschließen und den Eisplaneten hier erwärmen mögen. Das wäre was, oder?
Als Robert Marley 1979 den "Redemption Song" schrieb, hat er privat vielleicht schon von Erlösung geträumt. Immerhin war er damals bereits stark krebskrank, was er aber niemandem (zumindest außerhalb seiner Familie) verriet. Auch als er das Lied dann im Juni 1980 für "Uprising" - sein elftes Studioalbum mit den Wailers - aufnahm, war die persönliche Motivation im "Redemption Song" nicht zu erkennen. Kurzes Intermezzo für Mike Neun: Ja, ich weiß, daß Marley schon in den 1960er Jahren im legendären Studio One hervorragenden Ska mit seinen Wailers zu Vinyl gebracht hat, aber das tut jetzt grad nicht so viel zur Sache.
Es geht ja schließlich um den "Redemption Song", mit dem nicht nur "Uprising" endet - es ist auch das letzte Lied auf der letzten Platte, die Bob zu Lebzeiten veröffentlicht hat. Es klingt eigentlich so gar nicht nach Reggae, sondern ist ein klitzekleines Folkstück. Deshalb nimmt es nicht Wunder, daß die beiden ebenfalls hoffentlich längst schon zur Erlösung gekommenen Joe "The Clash" Strummer (gestorben 2002) und Johnny "Man In Black" Cash (gestorben 2003) das Lied ein ums andere Mal und dann - nachzuhören auf Cashs "Unearthed"-Box - sogar gemeinsam intonierten.
Aber was macht den Song nun wirklich aus? Daß da einer singt, daß er Angst vor dem Tod hat? Daß ihn die düsteren Piraten in die Tiefe ziehen, auf daß es kein Entrinnen mehr geben könne? Ja, damit fängt der Text an. Wir stehen am Abgrund, rennen aber trotzdem täglich wie der Hamster in seinem Rad durch ein mehr oder minder nutzloses Leben. Vielleicht pflanzen wir mal ein Apfelbäumchen oder uns fort, auf daß wenigstens dieser Auftrag erfüllt sein möge. Aber Marley ist kein agnostisch denkender Skeptiker, er hat seinen Frieden in Gott gefunden. Er singt, daß seine Hand von Gott gestärkt wurde, auf daß er in der Lage sei, "Erlösungslieder" zu schreiben. Und zwar tut er das nicht so sehr für sich und um sich gegen das absehbare Ende zu stemmen, sondern er will, daß alle, die irgendwie versklavt sind, frei werden. Männlein, Weiblein, Helle, Dunkle, Gelbe, Rote und auch Grün-lila-gepunktete Hermaphroditen von Omikron 4.
Deshalb könnte der "Redemption Song" schon auch als Hoffnung auf einen Aufstand oder eine Begleichung der Rechnung verstanden werden. Aber auch Marley müßte klar gewesen sein sein, daß dann manche bis ans Ende ihrer Tage und die ihrer Kindeskindeskindeskinder zu zahlen hätten. Gestern zum Beispiel hörte ich einen Bericht im Radio. Es ging um die Roten Khmer, die in Kambodscha Jagd auf Intellektuelle machten und diese in solchen Massen töteten, daß sicher eben nicht "nur" die Intelligenzia des Landes ausgerottet wurde. Praktisch jeder, der eine Brille trug, war vogelfrei. Bleibt die Frage: Wer soll für solche Greuel die Rechnung bezahlen? Und wer kann über solche Ungeheuerlichkeiten richten?
Doch es schadet nichts, Freiheitslieder zu singen. Ob ihr das mit Marley oder Cash/Strummer tut, ist völlig piepenhagen. Ihr könnt ja abwechseln. Ein Song hat zwar noch nie "ein bißchen Frieden" oder gar Freiheit gebracht, aber womöglich bringt er die Gedanken auf die richtige Spur. Und wenn wir einem alten deutschen Volkslied glauben wollen, dann sind die Gedanken schon längst frei. Der Rest muß dann nur noch folgen. Auch nicht einfach, aber machbar, Herr Nachbar. Oder machbarin, Frau Nachbarin. Das erinnert dann gleich an "Free Your Mind And The Rest Will Follow" von En Vogue. Oder an das groovige Meisterwerk "Free Your Mind And Your Ass Will Follow". Den einen oder anderen Arsch muß man/frau auf dem Weg zur Freiheit aber dann doch zurücklassen. Und wenn er folgen will, setzt es eine vor den Latz.
Nächste Woche setze ich hier wieder einmal Buchstaben zuerst neben- und dann untereinander. Dann wird´s wirklich niedlich. Für ein kleines Mädchen schreibe ich vom "Wumba Tumba Schokoladeneisverkäufer". Den Song kennt ihr vielleicht als "Purple People Eater", genau, der mit dem Horn da vorn, und damit von Sheb Wooley. Bis dahin seid einfach so lieb und richtet keinen Schaden an, laßt Gleitsichtbrillen-, Schlafbrillen-, Sonnenbrillen- und Klobrillenträger (sprich Elton John bzw. George Clinton) einfach in Ruhe. Bis denne, liebe Henne!
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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