Depeschen aus der Provinz
Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.
Lassen Sie sich nicht täuschen: Geiz ist nicht geil, sondern gemein. Und zudem der Lebensqualität eines Kolumnisten abträglich, der sich aus Versehen in eine dieser grauenhaften Sparefroh-Hallen auf dem Lande wagt, um seine Speisekammer zu füllen. Miststirln wär´ g´scheiter. 11.10.2019
Niemand hätte dem alten Männlein im abgetragenen Janker soviel Energie zugetraut. Aber es war tatsächlich die treibende Kraft hinter einem überdimensionalen Einkaufswagen, der daherrollte wie ein Panzer und gegen mein bescheidenes Wagerl krachte, das ich soeben bei Kassa 139 eingereiht hatte. "Da stell ma uns jetzt an", kreischte der wütende Wichtel der verhärmten Gattin zu, die sich in seinem Kielwasser daherschleppte.
"Nein", sagte ich - jederzeit bereit, meinen Teil gegen die galoppierende und alle Altersgruppen gleichmäßig befallende Senilität hier draußen in der Provinz zu tun. "Nein, das tun Sie nicht. Weil da steh´ jetzt ich."
Schweigen. Entgleisen diverser Gesichtszüge. Zurückmanövrieren des Shopping-Panzers. Beleidigtes Kopfschütteln. Redet man so mit alten Leuten? Na freilich. Sie vergessen´s ja eh bald wieder ...
Nur ich hätte nicht auf meine Prinzipien vergessen sollen, deren edelstes lautet: Meide den Billig-Supermarkt! Doch wie soll ich den Diskonter kontern, wenn dort, wo ich jetzt wohne, gerade das Einkaufszentrum renoviert wird? (Während sie neben den Bahngleisen ein neues bauen, auf einer alten Mülldeponie, die den Arbeiter mit Methan vergiftet.) Also ließ ich mich zum Besuch eines solchen Etablissements - nennen wir es "Hiafla", aber es könnte genausogut der "Panik-Markt" sein - hinreißen, nur um meinen Entschluß schon Sekunden später zu bereuen.
Der Anblick der fahlen Gestalten, die zwischen Kartons und Paletten herumirren, um sogenannte Schnäppchen in ihre holprigen Gefährte zu häufen, vertreibt sogleich Hunger wie Durst. Man fühlt sich so fehl am Platz, als wäre man in die Slums von Kalkutta spaziert, um sich dort eine nette Immobilie als Altersruhesitz auszusuchen. Weil´s billiger ist. Weil man sparen kann. Weil man eh nicht mehr lange lebt, wenn es sich bitte irgendwie vermeiden läßt.
Als ich beim Hiafla ein paar hundert mühsam leergetrunkene Bierflaschen retournieren will, starrt mich eine Angestellte aus leeren Augen an. "Wir ham ka Rückgabe", sagt sie, und ihre vom schlechten Leben ins Gesichtsfleisch getriebenen Piercings beben vor Verbitterung. Dann schleudert sie lustlos weitere dem Orkus entrissene Produkte auf den schmierigen Boden des Einkaufsasyls - und man versteht: Die Kunden hier geben keine Flaschen zurück. Sie fressen sie lieber, um sich weiterhin "gut und günstig" verköstigen zu können. Auch wenn sie am nächsten Tag blutige Scherben in der Kloschüssel vorfinden - Hauptsache, gespart.
Dabei erspart sich das gemeine Volk an derlei Orten, ob provinziell oder im städtischen Außenbezirk, sowieso nichts, sondern kauft so viel ein, daß die billigen Kleinautos bei der Heimfahrt funkensprühend am Asphalt entlangschleifen. Und was zu Hause nicht dem Verzehr zugeführt wird, landet bei den zirka 600 Milliarden Tonnen Lebensmitteln, die jährlich weggeschmissen werden und mit denen man, wie die Gratisblätter gern schreiben, dreieinhalb Paralleluniversen ernähren könnte.
Das Elend mit dem Sparen setzt sich leider auch in der Gastronomie fort. Ästimiert werden ausschließlich riesige Portionen, also etwa eine Schnitzelschweinerei von der Größe Liechtensteins, dazu gemischter Salat in einer Lake aus gebrauchtem Motor/Kernöl und soviel Essig, daß die Speiseröhre sich schon beim Bestellen vor Angst verknotet. Nach der Nahrungsaufnahme sitzen die Billigesser angepampft herum, stellen sich das sechste sauteure Bier in den vom Platzen bedrohten Magen und brabbeln, weil ihr Blut schon vor Jahren vom Gehirn woandershin emigriert ist, einander quer über den Tisch stolz etwas vom "Preid-Leidundd-Verhäldnid" zu.
Warum sie das alles tun? Vielleicht, damit es ihre Kinder und Kindeskinder einmal besser haben als sie. Der Nachwuchs jedoch weiß naturgemäß gar nichts besser, sondern geht nach Wien und studiert was Nutzloses. Wenn man ihn im urbanen Gasthaus antrifft, holt er "das Trinken" im Schnullerflascherl aus dem Rucksack, hat immer schon vorher gegessen (wahrscheinlich die bunten Styroporgurkerln aus dem Verpackungsmaterial des Flachhirnfernsehers, die füllen so schön den Magen) und bestellt sich bestenfalls "ein großes Leitung". Man möchte den Studentlein ein paar Kreuzer zuwerfen, aber die investieren sie ohnehin nur in eine Billig-Urlaubsreise. Nach Nordkorea vielleicht. Zum Grasfressen.
Wenigstens schreiben sie von dort keine Ansichtskarten. Wäre ja auch viel zu teuer.
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