Kolumnen_Miststück der Woche IV/23 - Leserwunsch #33

Bill Ramsey: "Der Wumba-Tumba Schokoladeneisverkäufer"

Manfred Prescher hält Wort. Jeder durfte sich ein Lied wünschen - egal, was für eines. Die Zugangsvoraussetzungen zum Wünschendürfen sind denkbar einfach: man bzw. frau muß nur lesen können. Das kriegt das siebenjährige Mädchen, das den alten Song besprochen haben will, ganz locker und fast als Klassenbeste hin.    20.04.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Das Gute an einer einfachen Melodie ist, daß man sie leicht intus hat. Und ein wenig Rhythmusgefühl vorausgesetzt, kriegt man es zum Beispiel auch ganz ordentlich hin, den schmissigen "Wumba-Tumba Schokoladeneisverkäufer" auf der Tischplatte mitzuklopfen. Ich habe das während des "Nürnberg-Daddord" vor kurzem - und quasi zum Eingrooven - ausprobiert. Was für ein Jux.

Ich kann das kleine Mädchen aus dem Vorspann gut verstehen - der Song entwickelt doch eine ganz herrlich-kindliche Dynamik, der man sich kaum entziehen kann. Bei der Gelegenheit fällt mir wieder mal mein alter DJ-Kumpel Emmerich ein. Der ist erstens kurz durch den "Daddord" gestapft, und zweitens hat er sich immer beömmelt, wenn ich bei unseren "Pulp Country"-Sessions den "Purple People Eater" von Sheb Wooley gespielt habe; also praktisch jedesmal. Dieser purpurfarbene Außerirdische kommt auf die Erde, weil er eigentlich das eine oder andere Menschlein verspeisen möchte. Aber das tut er nicht, weil er plötzlich - und ganz zeitgeistig bzw. weingeistlich - sehr vernarrt in Rock´n´Roll und Tequila ist.

 

 

Kurt Feltz, seines Zeichens erfolgreicher Schlagertexter in der gar nicht besonders seligen Vor-"Tatort"-Ära, also in den 50er Jahren, schrieb das Lied dann für den in Cincinnati geborenen Bill Ramsey um. Ramsey kam im Zuge der wiedereingeführten US-Wehrpflicht als G.I. Bill nach Deutschland. Dort faßte er als Jazzsänger von erstaunlichem Format in den Clubs Fuß. Berühmt wurde er aber dann aber mit ziemlich albernen, auf deutsch gesungenen Liedern, etwa "Pigalle", "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" oder eben mit der Geschichte des Eisverkäufers. Der hat es zwar nicht auf Menschenauflauf oder -gratin abgesehen, aber auch er kommt - analog zu Wooleys Novelty-Hit - von irgendeinem fernen Planeten und will mit Waffeleis an die Herzen, Schnäbel und Geldbeutel der Kinder kommen. Genau wie Kurt Feltz, der das knapp sechs Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung zumindest bei einem kleinen Mädchen immer noch schafft.

 

 

Auch das Gör träumt oft von fernen Gestirnen; die Planeten des hauseigenen Sonnensystems hängen fein säuberlich und korrekt aufgereiht an der Decke des Kinderzimmers. Und vermutlich wünscht sie sich, daß der "Wumba-Tumba Eisverkäufer von ´nem anderen Stern" bei ihr im Garten landet, mit Streuseln verzierte Waffeln und ganz viel Schokokugeln von seiner Eisdiele from outter Space mitbringt. Vielleicht hat er ja auch die eine oder andere Weltraumanekdote auf Lager ...

Und während das Eis-UFO sacht über die Grasnarbe, den Bürgersteig und die Zäune der Nachbargebäude schwebt, klingelt der freundliche Alien zum Rhythmus des steinalten Liedes mit seinem Glöckchen oder klopft sich kräftig auf die Schenkel. Der Song wurde nämlich schon geschrieben, da war nicht mal noch die Mutter des kleinen Mädchens in Planung. In den USA lief gerade "Familie Feuerstein" im Fernsehen an und propagierte ein recht steinzeitliches Frauenbild. Und Ben, der alleinerziehende Vater vom "Kampfstern Galactica", kümmerte sich um seinen bescheuerten Grinsesohn Little Joe, um den Gutelaunebären Hoss und um Trapper John "Adam Cartwright" M.D. - und das alles ist doch irgendwie meilenweit weg von "Oh Natschinu", wie "(All Along) She Moves" von Alle Farben wirklich heißt, genau wie von Nindendo-3D-Spielen und Eisköniginnen.

 

Vom frängischen "Daddord" ist die brävliche Eisverkäufer-Witzelei übrigens auch Lichtjahre entfernt. Mich hat man, wie praktisch alle Franken/Nürnberger von Format, auch gefragt, wie ich ihn fand und ob ich die Stadt so - wie gezeigt - kannte. Klar, Nürnberg ist nicht nur das überall bekannte Touristenidyll. Es machte sich, und da gebe ich der besten Liebespartnerin von allen recht, in einem David-Lynch-mäßigen Setting sehr gut. Man vermißte Laura Palmer auf diesem "Lost Highway" irgendwie und vielleicht auch eine etwas "baggendere Schdori", aber grunzsätzlich war es schon OK, bei Nacht ohne Zusatzlicht zu filmen. Die Stadt wirkte so groß, daß da Platz für viele "Wumba-Tumba Eisverkäufer" wäre. Aber leider war sie größtenteils ziemlich ausgestorben. Die Menschen waren vermutlich gerade in St. Elsewhere oder im Allgäu. Höchstwahrscheinlich. Denn wie sagte der OB der Stadt am Tag drauf im Radio: "Nürnberg ist nicht das Allgäu." Und das ist eine sehr unumstößliche Wahrheit.

 

 

Nächste Woche wird hier ein Wunsch erfüllt, der mir selber wirklich gut gefällt: "Wires" von der Band Athlete. Das Video sieht auch ein wenig nach Lynch aus. Doch, das hat schon was. Was genau, das verrate ich euch dann in einer Woche an dieser Stelle. Bis dahin also. Macht euch ein paar schöne Tage, der nette Italiener ums Eck hat sicher auch leckeres Eis.

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Bill Ramsey: "Der Wumba-Tumba Schokoladeneisverkäufer"

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Enthalten u. a. auf der CD "Schlagerjuwelen" (Polydor/Universal Music)

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