Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #3
Springen Sie! Es wird ohnehin nicht fertig ... (beta)
Jeder Kolumnist weiß, daß seine Kunst eine brotlose, aber keine zeitlose ist. Soll man deswegen aufhören, im Hier und Jetzt "aktuelle" Themen durchzukauen? Ja! Entspannen Sie sich also, es geht mal wieder: um nichts. 19.03.2009
Was auch immer ich schreibe, in drei Tagen hat es - wie ich - einen Bart. Nächste Woche kriechen schon die Würmer aus den Augenhöhlen der veralteten Fakten, und danach kräht ohnehin keine Sau mehr nach derlei schiefen Bildern, die schon längst vom verwitterten Zahnstein der Zeit zu Staub zerfallen wurden.
Klingt nicht nur nach dem schlechtesten Einstieg in eine Kolumne seit der Erfindung Gutenbergs, sondern auch völlig abstrakt, ich weiß. Daher ein total anschauliches Beispiel, aus jedermännIns Alltag gegriffen. Ursprünglich sollte diese Kolumne von einem niedlichen kleinen Wander-Camembert namens Charles-Jean Lauterbach erzählen. Der war auf seinem Weg zu jenem wundervollen Ort, an dem Wander-Camemberts sich im August zu den Klängen von "The Sound Of Music" zu paaren pflegen. Auf seiner Reise begegnete er einer fliegenden Parmesanin namens Lilith und verliebte sich in sie. Lilith jedoch entpuppte sich nach schlechtem Sex als falsche Schlange, die ihn auf schäbige Weise ausnutzte und dann hastig aus den noch verschwitzten Laken trat. Und so sollte sich der unglückliche Charles-Jean am Ende meiner geplanten Kolumne vom Dachgeschoß des Taipeh 101 stürzen. Dramatisch!
Es kam anders. In Sachen Freitod ist das Taipeh 101 zwar eine vortreffliche Wahl, denn es ist bekanntlich das höchste Gebäude der Welt (508 Meter). Doch ungeachtet der Frage, was der Wander-Camembert in Taiwan zu suchen hat (haben Taiwaner Preiselbeeren, Panade gar? Eben!), stopften sich, würde ich sowas schreiben, schon einen Tag später Fischhändler ihre Schuhe mit Ausdrucken von evolver.at-Webseiten aus. Wen interessiert dann der alte Käse von gestern noch? Das Taipeh 101 zum Beispiel ist längst nicht mehr das höchste Gebäude der Welt!
Das höchste Gebäude der Welt ist inzwischen das Burj Dubai in Dubai. Doch würde man dessen Höhe mit 514 Metern beziffern, könnte man in diese Kolumne schon seine Zeltheringe fürs Frühlingscamping einwickeln, noch ehe man sie überhaupt gePDFt hat. Das Burj Dubai ist nämlich noch gar nicht fertig. Vielleicht wird´s sogar noch höher! - falsch! bzw.: richtig! Es wurde höher. Es ist höher. Diese Kolumne schrieb ich nämlich schon vor Monaten, auch wenn man das den einzelnen Buchstaben kaum ansieht. Dem Burj Dubai sieht man es dagegen sehr wohl an: er mißt jetzt erigierte 818 Meter. Die Menschen darin warten ... auf 54 verschiedene Aufzüge. (Man darf sich auf das dort spielende Remake von "Fahrstuhl des Grauens" freuen.) Sie sehen: Noch während dieser Absatz entstand, veränderte sich die Welt entscheidend. Der helle Wahnsinn.
Was gestern wahr war, kann morgen schon falsch sein und umgekehrt. Shift happens und makes uns Angst. Nur das sogenannte Web 2.0 macht aus der Not eine Tugend. Denn dort schreibt jeder, der sich für clever hält, ein "beta" unter oder hinter den Namen. Laut Wikipedia befinden sich Web-2.0-Projekte im immerwährenden Beta-Stadium, aha. Könnten wir auch machen: Jahrzehnte nach unserem Start könnten wir ein "beta" druntersetzen oder drüberschreiben, nur um uns modern zu geben - fertig ist 2.0, und wir sind wieder hip und kriegen endlich wieder geile Groupies in die frischen Laken. In einer Pressemitteilung würden wir uns preisen: "Früher waren wir ausgereift und fertig, doch das ließ uns keinen Spielraum mehr für Entwicklung, sprich: Evolution; daher sind wir jetzt der EVOLVER beta ..." Mal im Ernst: Das ist doch völlig lächerlich. Sowas möchte man doch nicht mal in die Fische von letzter Woche wickeln.
Die Evolution ist nicht abgeschlossen, das weiß jeder, der einen Kreationisten kennt - oder tagsüber Unterschichten-TV guckt. Da muß man kein "beta" draufschreiben, um zu wissen, daß diese Menschen da im TV nur "draft" sein können und vom Herrgott dringend noch mal überarbeitet werden müssen. Auch diese Kolumne ist mal wieder kein großer Wurf, sondern bestenfalls der Entwurf der Beta-Version. Aber sie mußte fertig werden, und so hatte ich auch keine Gelegenheit mehr, irgendeinen aktuellen Bezug unterzubringen.
Doch, diesen: Der kleine Camembert Lauterbach kann sich möglicherweise nicht mal mehr vom Nakheel Tower stürzen. Denn die Finanzkrise könnte verhindern, daß dieses - vielleicht bald doch nicht - höchste Gebäude der Welt im Jahr 2020 fertig wird. Es soll dann über 1000 Meter hoch werden, oder über 1200 Meter, oder über 1400 Meter, oder noch höher, je nachdem, wann Sie das hier lesen. Ist auch egal, es wird ein anderer Immobilien-Hype kommen und ein noch höheres Ding bauen, und dann können Sie diese Kolumne getrost wegwerfen. Das können Sie eigentlich auch gleich tun. Was mal wieder zeigt, daß Faktenwissen sich nicht lohnt, und keiner diese geschwätzige Kolumne braucht.
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Das heutige Bilderrätsel ist rätselhaft leicht. Gesucht wird eine Köchin, nein, besser noch: das präzise benannte Restaurant, in dem diese Speise serviert wurde.
So ein duftes Berliner Schnitzel ist schon ganz was anderes als ein schäbiger Hamburger in irgendeinem Bahnhof.
Kommentare_
Das ist vermutlich ein "Wiener Schnitzel" im Restaurant "Sarah Wiener im Hamburger Bahnhof", welches wiederum in Berlin situiert ist.