Kolumnen_Depeschen an die Provinz/Episode 20

Bring tha Noize!

Ist der echte Wiener aus der Provinz nach Wien heimgekehrt, muß er sofort zu matschkern anfangen. So will es das Gesetz. Da trifft es sich gut, daß momentan in der österreichischen Hauptstadt kein Stein auf dem anderen bleibt ...    22.11.2019

Plötzlich war die Baustelle da, quasi über Nacht, wie das bei Baustellen üblich ist.

Ich weiß nicht, wie die das immer hinkriegen. Als wir unsere jetzige Wohnung zum ersten Mal besichtigten, war hier noch alles ruhig. Doch kaum waren wir eingezogen, fing die akustische Apokalypse an. Da muß es eine Stelle geben, wo einer zum Telefon greift und die zuständige Lärmbehörde verständigt: "Paßt´s auf, Burschen, der Hiess ist wieder in der Stadt, gemmas an!"

Wie dem auch sei - um unsere Heimkehr aus dem provinziellen Exil gebührend zu zelebrieren, wurden ab sofort gigantische Hämmer geschwungen, Schleifmaschinen besonders böse zum Kreischen gebracht und gehirnzellenvernichtende Preßluftbohrer angeworfen, die selbst doppelte Ohropaxladungen mühelos durchdringen. Am Eck vorn bauen sie ein Haus, ein paar Schritte in die andere Richtung höhlen sie ein anderes aus, und ein Stück die Gasse hinunter übt man sich in Fassadenreparatur.

Sowas darf einen nicht stören, wenn man in einer Metropole wohnt, die mit Gewalt zur Zwei-Millionen-Stadt umgebaut wird, obwohl die ursprüngliche Bevölkerung wegen des dauernden Krawalls längst unfruchtbar ist und Valium frißt, statt sich fortzupflanzen. Außerdem weiß man ja, wie Bauarbeiter sind. Wenn es still ist, fühlen sie sich unwohl, verspüren eine große innere Leere und stellen auf einmal Fragen über den Sinn des Lebens. Vor wenigen Wochen konnte ich tatsächlich zwei Vertreter dieser Spezies beobachten, die in einer ausgedehnten Arbeitspause schweres Gerät zur Hand nahmen und auf eine Bodenplatte ihres Lieferwagens einprügelten, auf daß es laut werde und der Mitmensch nicht vergesse, daß es sie gibt.

Als Kolumnist und eifriger Beobachter stelle ich mir ganz andere Fragen, zum Beispiel: Wer kommt auf die abstruse Idee, ausgerechnet auf das schmale Grundstück zwischen Schnellbahn und der meistbefahrenen Straße der Gegend ein Haus hinzustellen? Welche Idioten werden sich eines der dort entstehenden "Luxus-Appartements im Eigentum" einreden lassen? (Entschuldigung, ich sehe gerade, die Hütte ist für Jungfamilien gedacht - damit wäre wenigstens diese Frage beantwortet.) Und warum, um Himmelswillen, sind die Wände dieser offensichtlich verbauten und windschiefen Fehlkonstruktion so papierdünn, daß der Polier die Badezimmerfenster mit der bloßen Faust durch den Beton schlagen kann?

Nach längerem Umhören im babylonischen Sprachengewirr der Baustelle fand ich schließlich einen, der mir nach einer Palette Dosenbier bereitwillig Auskunft gab. Das Geheimnis sind Subfirmen: Einheimische Immobiliengangster beauftragen ein Bauunternehmen, das im Sinne von Outsparung und Einsourcing (ja, es waren viele Biere ...) den Auftrag an eine weitere Firma im ehemaligen Ostblock weitergibt, die sich wiederum billigere Hackler irgendwo bei Sibirien sucht und so weiter und so fort, bis die Verantwortung für das Haus schließlich bei einem Arbeitslosenkollektiv ehemaliger Jugendsträflinge im hintersten Ruritanien landet, die dann bei uns die Super-Appartements so zusammenbasteln, wie man sich das in Ruritanien eben vorstellt.

Mit dem verwendeten Material verhält es sich ähnlich. Der Bauherr bezahlt - naturgemäß nach einer hochoffiziellen Ausschreibung ganz ohne Schmiergelder - für golddurchwirkten Edelbeton, handgerührt von steirischen Jungfrauen, läßt sich aber in Wahrheit feingeriebenen Hausmüll aus Shanghai liefern, der mit Vogelmist von den Kanalinseln zu tragenden Wänden geformt wird. Globalisierung ist doch was Schönes.

Man darf also mit Fug und Recht annehmen, daß das übers Jahr erbaute neue Haus in zirka 15 Jahren abbruchreif sein wird, wenn es bis dahin nicht längst unter der Last gealterter Jungfamilien von selbst zusammengebrochen ist. Und das ist auch gut so. Das Erscheinungsbild der neu errichteten Human-Parkgaragen läßt nämlich darauf schließen, daß die zuständigen Architekten ihre Kindheit in engen Schuhschachteln und später in ausgedienten Waschmaschinenkartons verbringen mußten, wodurch sich ihre Wahrnehmung derart verengte, daß sie heute nur mehr würfelförmige Bunkerbauten zustande bringen. So befällt einen als Stadtbewohner das dräuende Gefühl, versehentlich zwischen die Schützengräben des Ersten Weltkriegs geraten zu sein. Und das freut dann auch die Valiumindustrie.

Ich aber fordere: Stoppt die Architektenausbildung - wir brauchen mehr Sprengmeister!

Peter Hiess

Depeschen aus der Provinz


Peter Hiess lebte nach Jahrzehnten in seiner Geburtsstadt Wien 18 Monate lang auf dem Land - oder noch schlimmer: in einer Kleinstadt. An der Donau. Als er dann eines Besseren belehrt nach Wien zurückflüchtete, stellte er sich der Aufgabe, das Volk da draußen über das (provinzielle) Leben in der Metropole zu unterrichten.

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