Kolumnen_Miststück der Woche - V/021: Wonder Woman

Balbina featuring Herbert Grönemeyer: "Machen"

Wer nix macht, macht bekanntlich nix verkehrt. Allerdings verfällt er - oder in diesem speziellen Fall sie - dann leicht in eine mit düsterer Schwermut angereicherte Stimmung. Also erhebt sie sich vom Sofa und macht irgendwas. Am Ende ist bei der Aktion ein nettes Lied herausgekommen, findet Manfred Prescher.    10.06.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Balbinas Song "Machen" paßt ziemlich perfekt in die gegenwärtige Zeit: Was soll man schon machen, wenn man eigentlich nichts machen kann? Weil man nichts machen darf? Darüber denken in meinem Bekanntenkreis viele Musiker und Konzertveranstalter nach. Von nichts kommt nämlich nichts, und ein andauerndes Nichts ist möglicherweise der Untergang aller künstlerischen Aktivitäten - und dann, so die logische Folge, würde man das Land und wahrscheinlich den komplett vernetzt-verseuchten Planeten den Ungustln überlassen, die die Kunst abschaffen wollen. Das geht durch Reglementierungen und das Zudrehen der Geldhähne - aber ein mobiler Virus kann das effektiver. Daß da noch keiner auf eine Verschwörungstheorie gekommen ist, wundert doch. Aber die meisten Kreativen in meinem Dunstkreis sind dann doch zu klug für so etwas, das dachte ich zumindest. Ich mußte allerdings erkennen, daß einige ihre Ängste und Nöte dann doch in obskure Gedankengänge hineinmäandern lassen. Ich denke da zum Beispiel an den sehr geschätzten Herrn aus dem Rheinland, der uns schön bunte Bilder und wunderbare Lieder ("Da vorne steht ´ne Ampel") schenkte. Natürlich kann man, wenn man nicht aufpaßt und sich durch das Gesichtsbuch scrollt, statt auf den Verkehr zu achten, auch gegen eine Ampel rennen. Und sich die Fontanelle andellen, was wiederum der Denkleistung abträglich ist.

Bevor mir der betreffende Herr nun die Freundschaft zum nächsten Ersten kündigt, muß ich aber klarstellen: Natürlich kann man immer, erst recht aber gerade jetzt, unterschiedlicher Meinung sein und diese auch äußern. Wenn es an das eigene künstlerische Überleben geht, ist es verständlich, daß man in sich hineinhört und sich Fragen nach der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und den Gründen für die aufoktroyierte Isolation stellt - auch wenn man im Grunde gar keine befriedigenden Antworten finden kann, weil grad niemand so recht Bescheid weiß.  Aber in schlimmen Zeiten solle man, so sagte schon Seppl Herberger selig, auf sein Bauchgefühl hören. Nur: Muß man das persönliche Bauchgrimmen denn danach tatsächlich der Restwelt mitteilen? Für die "Darmwinds Of Change" gibt es doch auch Preiswertes von Ratiopharm.

 

 

 

Den Künstlern und Veranstaltern kann es letztlich egal sein, wer ihnen die Möglichkeit nimmt, ihre Werke vor Publikum zu präsentieren. Wer nicht auftreten kann, bekommt vielleicht Tantiemen über die Gema oder über VG Wort, aber wer davon lebt, Auftritte zu organisieren, bekommt gar nichts. Und allen wird dabei die Perspektive entzogen, was der Kreativität in höchstem Maße schadet. Außer natürlich, man ist das romantische Dichterlein, das sich - wie bei Spitzweg - am Ende noch freut, daß es nur an vier Stellen durch das Dach regnet.

 

Balbina, die eigentlich Balbina Monika Jagielska heißt, beschreibt diesen Düsterzustand der Perspektivlosigkeit in ihrem Song "Machen". Dazu stottert sie wie Randy Bachman in "You Ain´t Seen Nothing Yet" oder Frank Farian in "Ma Ma Ma Baker", was die persönliche Unsicherheit der Künstlerin ob der Bedingungen unterstreichen soll. Eigentlich klingt das zwar eher putzig, aber dann halt doch irgendwie auch trotzig: "Mamamama machen ist/Für mich die beste Me/Für mich die beste MeMedizin." Genau: "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä ..." Aber was soll man denn nun machen? Einen Rat hält Balbina nicht für uns bereit. Ob man wie viele Künstler von der eigenen Dachterrasse aus die Nachbarn beschallen soll? Oder wie Nick Cave nonstop seltene Videos ins Netz stellen möchte oder die darbenden Fans zu einem virtuellen Konzert ins heimische Wohnzimmer einlädt? Kann man machen, muß man aber nicht. Denn damit läßt sich kein Geld verdienen - und man kann Helge Schneider durchaus recht geben, wenn er behauptet, daß er dafür nicht Musiker geworden ist. Er findet auch die Vorstellung, im Berliner Admiralspalast würde zukünftig nur jeder dritte Stuhl besetzt werden dürfen, dreifach befremdlich: für sich als Künstler, für die Stimmung im Saal und natürlich auch für seinen Geldbeutel.

 Also "Machen", aber was - so fragte schon Nietzsche himself - tun? Darauf gibt die gebürtige Warschauerin Balbina keine Antwort. Das muß sie freilich auch nicht, weil ein Popsong einfach nur zu unterhalten hat. Und das tut er durchaus. Dazu hätte es die Unterstützung von Herbert "Momentahn is Frühstück" Grönemeyer gar nicht gebraucht. Obwohl er sich sinnig einfügt ins Gesamte, und obwohl es natürlich auch ein Ritterschlag ist, wenn man von Herbie unterstützt wird, weil der fördert sowieso nur, was ihm gefällt. Das zeigen unter anderem die Veröffentlichungen seines Grönland-Labels, wo man Platten von Neu! und die tolle DAF-Box finden kann - und die Verbindung zu Balbina. Bereits 2015 nahm Grönemeyer die Songwriterin samt Band mit auf große Tour. Er ist ihr also verbunden, was doch würdig und recht ist. Und etwas Hilfe kann die Künstlerin im Moment bestimmt brauchen, nicht nur wegen Corona jetzt, sondern auch, weil ihr viertes Album "Punkt." zwar - wie die Vorgänger - von Sony Music vertrieben wird, aber erstmals auf ihrem eigenen Label erscheint. Man kann sich zum Machen schon bessere Zeiten vorstellen, aber was soll man machen?

 

 

 

Nächste Woche bleiben wir im Umfeld von Grönemeyer. Auf dessen Label erschien jüngst ein bemerkenswerter Track: Robert Görl widmet ihn seinem am 22. März verstorbenen Freund und DAF-Kollegen Gabi Delgado-López. Mehr dazu also demnächst in diesem virtuellen Theater. Ihr bleibt derweil am besten, wie ihr seid, weil was anderes ja gar nicht möglich ist. Immerhin dürft ihr ja raus ins leider nicht sehr pralle Leben. Macht was, dann geschieht was, aber vergeßt nicht: Nichts machen tut auch mal gut, weil es Fehlerquellen minimiert. Dazu hat Balbina übrigens anno 2014 einen Song geschrieben - "Nichtstun" als Gegenentwurf von "Machen". Ergibt Sinn, denn in der Ruhe liegt die Kraft, aufzustehen und sich eine Schnitte zu schmieren. Ich hör jetzt erst mal Balbinas großartige Version von Rammsteins "Sonne". Bis dann.

Manfred Prescher

Balbina featuring Herbert Grönemeyer - "Machen"

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Fotos: Sony Music

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Kommentare_

Pubilius Syrus - 12.06.2020 : 11.06
Niemand weiß, was er kann, bevor er's versucht...
Im Augenblick haben wir alle Zeit der Welt...
Manfred Prescher - 16.06.2020 : 09.14
Natürlich weiß man das nicht. Was ich aber weiß: Sie haben tatsächlich Gott himself oder doch wenigstens Bruce Low und sein "Noah" zitiert: "Du weißt nie was du kannst, bevor du es versuchst." In dem Lied geht es übrigens passenderweise so weiter: "Jetzt geh und hole Bauholz, auch wenn du leise fluchst!"

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