Kolumnen_Miststück der Woche - V/031: Zwei Banditen

Burt Bacharach & Daniel Tashian: "Midnight Watch"

Vor diesem Mann verneigt sich Manfred Prescher regelmäßig - also immer, wenn er einen Song aus dessen Feder im Ohr hat. Dieses Mal aber kann er den Künstler auch öffentlich würdigen, denn es gibt überraschenderweise neues Liedgut von Burt Bacharach.    19.08.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 
Ich glaube, es war der Kollege Christoph Dallach, der jüngst gepostet hat, daß das Werk von Burt Bacharach als Weltkulturerbe gelten sollte. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen - und mir tut schon das Kreuz weh von den vielen Verbeugungen. Doch leider wissen viele Menschen gar nicht, wer dieser BB eigentlich ist. Gut, man findet ihn zwangsläufig in F. W. Bernsteins Bilderbuch "Brominente Bersönlichkeiten", aber eigentlich müßte man gar nicht groß nach ihm und seiner Musik suchen.

Seine Songs sind immer noch - und vermutlich noch für lange Zeit - in Amazonien zu bekommen oder bei Spotify und Co. zu streamen. Warum? Weil sie unsterblich sind. Das gilt für viele Lieder, die heute nur noch eingeweihte Werkexegeten kennen, aber natürlich - und erst recht - auch für die unzähligen Hits, die er komponiert und dann oft auch noch kongenial arrangiert hat: "Magic Moments", "Walk On By", "What´s New Pussycat", "Raindrops Keep Fallin´ On My Head", "Alfie", "I Say A Little Prayer" "I´ll Never Fall In Love Again", "I Just Don´t Know What To Do With Myself", "(There´s) Always Something There To Remind Me", "A House Is Not A Home", "What The World Needs Now Is Love" - theoretisch könnte ich die Liste fortsetzen, bis mir der Platz innerhalb der Kolumne ausgeht. Apropos Platz: Der Amerikaner Hunter Hobbs ("Mr. Hobbs macht Ferien?") hat ausprobiert, ob und wann man an das Ende einer Excel-Liste kommt. Er brauchte neun Stunden und 36 Minuten, um das Ende der Tabelle zu erreichen: 1.048.756 Zeilen waren es am Schluß. Man kann die Zeit natürlich sinnvoller vertrödeln, und es bleibt zu hoffen, daß er während der Probe aufs Excempel die Musik von Burt Bacharach gehört hat. Davon ist ja mehr als reichlich da.

Man nehme nur die Hits, die ich oben aufgeführt habe. Bacharach bereicherte mit seinen Songs Filme, etwa "Alfie", "Zwei Banditen" ("Butch Cassidy and The Sundance Kid") oder das Peter-Sellers-Original von "Casino Royale", und er veredelte die Stimmen vorzugsweise von Sängerinnen und vereinzelt auch Sängern. Und zwar so, daß man das Gefühl hat, sie kämen nur durch ihn und mit ihm richtig zur Geltung, was vermutlich auch so war: Jackie DeShannon, Cilla Black, Patti LaBelle, Dusty Springfield oder Dionne Warwick, die er auch entdeckte, machten seine Songs zu Hits. Aber Moment: "Seine" Songs stimmt nicht ganz, denn er hatte - analog etwa zu Elton John und dessen Partner Bernie Taupin - einen genialen Texter an der Seite: sen bereits 2012 verstorbenen Poeten - denn genau das war er - Hal David.

Nicht vergessen will ich auch die Zusammenarbeit mit Marlene Dietrich. Die Diva war damals schon im fortgeschrittenen Alter und hatte reichlich Erfahrung zwischen Ufa, Hollywood und US Army gesammelt, als sie auf einen hochbegabten Grünschnabel traf. Der damals erst 29ährige Bacharach begleitete sie als Pianist nicht nur bei Konzerten, etwa in Israel oder gleich dreimal in Berlin, er war auch Dietrichs Arrangeur und Bandleader. Sucht einfach mal nach den Aufnahmen der beiden so ungleichen Künstler; sie sind noch zauberhafter als Bacharachs gelungene Kooperation mit Elvis Costello. Wer mehr über die besondere Beziehung zwischen Bacharach und "der" Dietrich, aber auch über die Zusammenarbeit mit Costello wissen will, dem sei die Autobiographie "Anyone Who Had a Heart: My Life and Music" allerwärmstens ans Herzerl gelegt.

 

 

 

Was lesen wir aus dem bisher Geschriebenen? Richtig, Bacharach muß schon etwas älter sein. Eigentlich hat er sogar schon ein biblisches Seniorenalter erreicht, da er im Mai 92 wurde. Spaß an der Musik hat er immer noch, sein Klavierspiel ist nach wie vor gut und gar nicht "gichtig". Er tritt auch nach wie vor auf. Warum er das tut? Natürlich - weil er es immer noch kann. Dem "Rolling Stone" gegenüber erklärt er: "Ich habe mit meiner Musik etwas, was mir unglaublichen Spaß macht und was mich antreibt und meine Leidenschaft ist. Diese Leidenschaft hält mich geistig fit und meine Seele in der Balance." Aber es brauchte wohl jemanden, der ihn dazu animierte, mal wieder neue Songs aufzunehmen. Wie er diesen Menschen fand, wird nicht verraten, doch Bacharach hat mit dem Songwriter und Multiinstrumentalisten Daniel Tashian tatsächlich wieder einen Partner an der Seite. Eine Handvoll neuer Lieder im - soweit das bisher zu beurteilen ist - gewohnt maßgeschneiderten Bacharach-Klangkostüm kommt auf uns zu. Deren zwei kann man schon bestaunen: "Bells Of St. Augustine" und - nochmal schöner - "Midnight Watch".

"Es will Abend werden/Der Tag hat sich geneiget/Schon senkt die Nacht hernieder sich auf Erden" - und dann feiert man in gediegenem Rahmen mit Menschen, die man schätzt. Man parliert, philosophiert und flirtet - zumindest, wenn der Mann am Klavier nicht gerade etliche Damen und so manchen Herrn betört. Klavierspielen müßte man können ... Bacharach kann und hatte damit immer schon einen Schlag bei den Frauen. Aber was will man machen, wenn man auf dem Gumminasium merkt, daß man eben nicht zum Fußball- oder Basketball-Star taugt? Spätestens auf der Highschool war Burt klar, daß Musik seine Leidenschaft ist. Daß er mit seiner Kunst andere becircen konnte, merkte er ebenfalls rasch. Aber der Weg nach San Jose ist bekanntlich weit, der zum Durchbruch als Songwriter und Produzent natürlich auch. Man genießt also den Abend und die heraufziehende Nacht. Darum geht es in "Midnight Watch": Wenn um Mitternacht die Gespräche abgeklungen und das Getechtel vorbei ist, steht man auf der Terrasse und schaut lange in den Sternenhimmel: Da, eine Sternschnuppe ... Man darf sich noch einen Bacharach-Song wünschen, bevor die Nacht in die "wee small hours of the morning" (Sinatra) übergeht und der Zauber sich in stille Sehnsucht verwandelt.

Bacharach wird uns erhören und noch ein paar neue Songs veröffentlichen. Und das ist, Tashian sei Dank, einfach nur schön. Kommt, wir preisen Burt an. Nächste Woche gibt es dann das letzte von mir geschriebene "Miststück", in dem es um Taylor Swift gehen wird. Und danach? Danach kommt das Jubiläum - und es beginnt eine neue Ära.

Manfred Prescher

Burt Bacharach & Daniel Tashian - Midnight Watch

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Photo: © Shore Media

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