Depeschen aus der Provinz
Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien und zwischendurch eine Zeitlang in der Provinz. Jetzt ist er in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Endlich.
Ein halbes Jahr ist es her, daß unser Kolumnist sich von der Heiligen Dreifaltigkeit des Alkoholismus in die höheren Weihen der Sauferei einführen ließ. Und kaum ist sein Kater weg, konsultiert er sie schon wieder. 20.08.2020
"Wos is, Oida, warum treffn mia uns do?!" brauste der dritte, meist zwidere Heilige auf.
"Mein gesalbter Kollege möcht nur wissen", lenkte der zweite, eher gemütliche ein, "warum wir diesmal nicht bei einem Heurigen zsammkommen ..."
"... wie ursprünglich ausgemacht, damit wir Ihnen dortselbst bei Ihren Studien zum Alkoholkonsum weiterhelfen können", sprach der erste himmlische Trankler, wie stets formvollendet höflich.
"Na ja, es ist so, ihr gottgesandten Herren", kam auch ich endlich zu Wort. "Der Heurige ist schon ein bissl zu typisch für Wien, da geht ja ein jeder hin, selbst der holländische Tourist speibt busweise Grinzing voll. Obwohl natürlich jeder Wiener seinen Geheimtip hat ... aber so einen Geheimtip wie den haben Sie noch nie gesehen!"
Und wahrlich, sie blickten sich um, wackelten zustimmend mit den Heiligenscheinen und schmunzelten sogar ein wenig. Auf elysischem Pergament hielten die Drei Heiligen Angsoffenen sodann ihre Beobachtungen dieses Sommerabends fest – in flammender Schrift und wie folgt:
Zwischen zwei aufgelassenen Gottesackern, nahe einer Hauptverkehrsstraße, aber doch im Grünen, liegt eine Imbißhütte mit angeschlossenem Schanigarten. Wegen der Speisen ist aber keiner hier, obwohl man natürlich auch ein Liptauerbrot oder ein Packl Chips kriegt, für die Unterlag, sondern nur wegen der schier unendlichen Vorräte an Bier, Wein und geistlichen Getränken. Hier trifft sich alles, was für ein paar Stunden die umliegenden Gemeindebauten und Büros hinter sich lassen kann, um dem Alltag zu entfliehen. Mit Selbstbedienung drinnen an der Buddel, damit jeder Gast beweisen kann, daß er noch die Kraft hat, sich selber das nächste Viertel zu holen.
Beim heiteren Klang von Radio Wien, das aus winzigen, aber flugzeugturbinenlauten Boxen dröhnt, feiern vier Mühselige und Beladene den Freitagnachmittag, indem sie sich in Windeseile einen Spritzer nach dem anderen hineinschrauben, wobei die Herren die jeweilige Gattin ihres besten Freundes anbraten, als gäbe es kein Morgen und als täten sie beim Heimkommen mit 2,4 Promille noch die Schachtel mit dem Viagra finden. Aber sie haben recht, morgen kann sich eh niemand mehr an was erinnern, und außerdem hört man bei dem Trubel sowieso nix. Bis der Herr vom Nebentisch - ein pensionierter Bundesheeroffizier, der in Ruhe seine "Krone" lesen will - aufsteht und dem lästigen Lautsprecher des Kabel aussezaht. Aber an dem Punkt ist der flotte Vierer schon so weit, daß er von selber weitersingt, ganz ohne Playback.
Selig fühlt sich auch der Grundeinkommensbezieher im Geiste, der mit seiner kurzen Hose und dem alten AC/DC-T-Shirt ungeschickt dasteht, mit den Füßen im Schotter scharrt, das sechste Krügel mühsam in einer Hand balanciert und immer so komisch lacht, während er den Wirten, der sich im Garten eine verdiente Pausentschick gönnt, beharrlich anschwadert: "I bin so froh, daßidi wieda siech ... nhhnhh-nnnhh ... jetz woa i jo scho lang nimma do ... nnhhnnh ... hob di richtig vermißt ... nh-nh-nh-hhhh." Dabei tatscht er den Lokalbesitzer auch noch dauernd ab, bis der warnend ausruft "Wos is, heast, suchst an Mann?" und ihm bei der nächsten Berührung blitzschnell zwischen die Beine greift und ordentlich die Eier zsammquetscht. "Auuuuu!" geht der Lacherte in die Knie. "Au-au-au, des tuat jo weh, nhhhh-nh-nhh!" Endlich kommt seine resolute Ehefrau um die Ecke, zieht ihn am Krawattl in die Höhe und will ihn ins nächste Eck stellen, als er ihr seinen Bierodem mitten ins Antlitz haucht und sagt: "Waaßt eh, Schatzi, jetzt geht a Wochn goanix. Nhh-nhh-nhhhh-hhh."
Die Weisen aus dem Abendlande da drüben am Stehtisch, lauter gstandene Herren, oft glatzert, mit Lederhaut und goldenen Ohrringen, diskutieren einstweilen durchaus vernünftig die innenpolitische Lage, wenn auch gar nicht im Sinne der Qualitätsmedien: "Und überhaupt, des mit der Bundeshymne - san die olle deppat?! Mir is jo da Gabalier bein Oasch egal, oba recht hot er scho ghobt. Wegn an jeden Schas frogns des Voik, und do mocht die afoch, wos wü, die Innen[hier volkstümlichen Ausdruck für das weibliche Geschlechtsorgan einsetzen]ministerin!"
Und alle tranken sie und waren total satt. Die Heiligen aber sahen, daß es gut war, und bestellten eine Runde große Obstler für alle. Damit wieder mehr Glauben is unter die Leut.
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