Kino_Die Schachspielerin

Dame auf Korsika

Frauen-Selbstverwirklichung aus bundesdeutscher Feder - verfilmt von einer Regiedebütantin? Wem da nicht schlecht wird ... sollte man meinen.
Caroline Bottaro beweist, daß dabei ein höchst sehenswerter Film herauskommen kann. Und das nicht nur wegen Sandrine Bonnaire und Kevin Kline in den Hauptrollen.    26.05.2010

Also, ganz ehrlich: schon dieser Titel. Es fällt schwer, zu glauben, daß hier niemand auf die Assoziation zu Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin" spekuliert haben soll. Erwartet den leidgeprüften Kinogänger somit tiefschürfende Psychodramatik Marke Michael Haneke?

 

Gottseidank nicht. Die Buchautorin Bertina Henrichs stammt zwar aus Deutschland, lebt aber seit Jahrzehnten in Paris und schrieb den Roman auf Französisch; "La joueuse d' échecs" mußte für den hiesigen Markt erst übersetzt werden. Zuvor gab sie ihren Erstling aber der Nachbarin zu lesen: Caroline Bottaro, gebürtige Bielefelderin, in Frankreich aufgewachsen. Daß diese angehende Regisseuse wiederum Sandrine Bonnaire und Kevin Kline zum Mitspielen überreden konnte, ist mehr als erstaunlich - und für das Publikum ein Glücksfall.

Die Handlung ist im Grunde simpel: Aschenputtel emanzipiert sich. Im vorliegenden Falle entdeckt die genügsame Putzfrau Hélène (Bonnaire) durch Zufall ihr Talent für das Schachspiel. Im ländlichen Korsika weiß man jedoch nicht so recht, was man davon halten soll; auch der Ehemann (eigentlich nett, aber einfältig) und die Tochter (pubertierend) sind wenig begeistert. Aber es gibt ja noch den in solchen Geschichten unvermeidlichen Außenseiter: Dr. Kröger (Kline), einen wohlhabenden amerikanischen Witwer. Zurückgezogen lebend, geheimnisumrankt, unglücklich, etc. ... und natürlich wird er ihr Mentor.

Soweit, so bekannt. Das Schöne an dem Film "Die Schachspielerin" ist jedoch unter anderem, daß er die vielen handlungstechnischen Klischees zwar streift, aber letztlich gerade noch elegant passiert. Sicher, die Farben sind gedämpft, das Erzähltempo ist ruhig - und doch bewahrt der Streifen bei aller Spannung stets einen Rest optimistischen Humores. Sehnsuchterweckende Landschaftsaufnahmen der Insel gibt's gratis dazu.

Langweilig? Keine Sekunde. (Außer, man wartet auf Stunts und Special Effects.) Kevin Kline und Sandrine Bonnaire liefern ein beeindruckendes Kammerstück der Schauspielkunst, und selbst Nebenrollen wie der Ehemann oder die depperte Tochter offenbaren im Laufe der Handlung sympathische Züge. Obendrein endet die Geschichte - Frau Bottaro sei's gedankt, daß sie sich über die Buchvorlage hinweggesetzt hat - genau an der richtigen Stelle.

Fazit: Ein Film, nach dem man das Kino mit einem zufriedenen Lächeln verläßt.

 

(Anmerkung: Wahre Schachenthusiasten werden monieren, daß nicht einmal ein Amateur das einzig mögliche "Matt-in-zwei-Zügen" übersehen würde, oder daß es kein Feld namens "J4" gibt. Die bleiben dann besser daheim.)

Marcus Stöger

Die Schachspielerin

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

F/D 2009
100 Minuten

Regie: Caroline Bottaro
Darsteller:
Sandrine Bonnaire, Kevin Kline, Francis Renaud u.a.

Links:

Kommentare_

Thomas Froehlich - 26.05.2010 : 15.46
In der Tat - ein wunderbarer Film!
groove68 - 21.07.2010 : 22.03
Sandrine Bonnaires Regiedebüt Ihr Name ist Sabine über Bonnaires autistische Schwester Sabine auf DVD und als Video on Demand Stream erhältlich

http://www.realeyz.tv/de/sandrine-bonnaire-ihr-name-ist-sabine_cont2989.html

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