Yes
ØØØØ 1/2
GB/USA 2004
100 Min.
dt. und engl. OF
Regie: Sally Potter
Darsteller: Joan Allen, Simon Abkarian, Sam Neill u. a.
Poetisch, intelligent und bei aller Vielschichtigkeit doch angenehm leichtfüßig: Sally Potter überzeugt mit einer multikulturellen Liebesgeschichte. 29.06.2006
Es ist immer wieder schwierig. Man verläßt das Kino nach einer englischsprachigen Pressevorführung und fragt sich, ob der Film wohl auch in der deutschen Synchronisation funktionieren oder überhaupt einigermaßen erträglich sein wird. Bei einem Werk wie "Yes" stellt sich diese Frage besonders dringlich, denn hier ist der Clou: Die Dialoge sind durchgehend in Versform gesprochen - genauer gesagt, in fünfhebigen Jamben, einem zum Beispiel bei Shakespeare sehr beliebten Versmaß, das vielleicht noch aus dem Englischunterricht oder Baz Luhrmanns "Romeo und Julia" bekannt ist.
Aber was hat diese altertümliche Sprachform hier zu suchen? In einem Film, der im London der Gegenwart spielt und ganz offensichtlich die Probleme in einer Welt nach 9/11 verhandelt? Nach eigener Aussage hat Sally Potter ("Orlando") mit dem Drehbuch kurz nach dem 11. September 2001 begonnen, angesichts der zunehmenden Dämonisierung der arabischen Welt im Westen sowie internationaler Ablehnung der USA. Haben wir es hier also mit gestelztem Kopfkino zu tun? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Die Dialoge fließen, zumindest in der Originalversion, mit einer Leichtigkeit und Natürlichkeit dahin, daß es tatsächlich eine ganze Weile dauert, bevor dem Zuschauer überhaupt auffällt, daß die Protagonisten hier fröhlich vor sich hinreimen. Allein für dieses Kunststück gebührt Sally Potters neuem Werk Respekt.
Zudem verleiht die formell ausgeklügelte, "altmodische" Sprache den vielfältigen Themen des Films - unter anderem Liebe, Sex, Religion und Klassenkampf - eine besondere Tiefe; sie schafft ein Gefühl von Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit, weit über das Setting des zeitgenössischen London hinaus.
Konkret erzählt "Yes" die Geschichte einer irisch-amerikanischen Wissenschaftlerin (Joan Allen), die sich, von ihrem Ehemann (Sam Neill) vernachlässigt, in einen libanesischen Koch (Simon Abkarian) verliebt. "Er" und "sie" (beide bleiben im Film namenlos) haben leidenschaftlichen Sex, diskutieren über Liebe, Politik, Gott, Wissenschaft und den Sinn des Lebens, kommen sich nahe und treiben aufgrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe doch unaufhaltsam wieder auseinander.
Großes Thema von "Yes" ist denn auch die Schwierigkeit, Verständnis füreinander aufzubringen - sei dies zwischen Mann und Frau, Ost und West, Glaube und Naturwissenschaft, Christen und Moslems oder verschiedenen Generationen und Gesellschaftsschichten.
All diese Konflikte werden angerissen, und zwar teils durch die Interaktion zwischen den beiden Protagonisten, teils auch durch verschiedene Nebenfiguren: Kollegen, Ehemann, Freundin, Patentochter und Putzfrau. Besonders gewichtigen Raum nimmt dabei die Putzfrau des Ehepaars ein. Diese übernimmt von Anfang an die Funktion einer Kommentatorin, erinnernd an den Chor in griechischen Tragödien. In direkter Ansprache an das Publikum, mit Blick in die Kamera, philosophiert sie über den allgegenwärtigen Schmutz und die Spuren, die jeder hinterläßt und die kleine Hinweise auf den Charakter der jeweiligen Personen geben. Nichts ist, wie es scheint, so ihre Aussage gleich am Anfang. Wer die Wahrheit sehen will, muß hinter die Fassade schauen. Das klingt erst einmal gut, erweckt andererseits aber auch den unangenehmen Eindruck des Bespitzelns, der totalen Überwachung. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß das erste Zusammentreffen des Liebespaares aus dem Blickwinkel einer Überwachungskamera gezeigt wird.
Entsprechend zwiespältig, ohne einfache Lösungen oder plumpe Schuldzuweisungen, sind die meisten der Konflikte und Konstellationen in "Yes" angelegt. Und gesellschaftliche, persönliche und politische Problemfelder werden hier wahrlich im Überfluß angesprochen. Daraus nicht ein biederes, überladenes Lehrstück zu machen, sondern ein originelles, emotional mitreißendes ebenso wie intellektuell forderndes Stück Kinomagie zu zaubern - das ist Sally Potter auf ganzer Linie gelungen. Der versöhnliche Schluß mag manchem Zuschauer vielleicht zu naiv erscheinen, doch als sehr persönliches Statement, "ja" zum Leben in einer Welt zu sagen, die seit 9/11 mehr und mehr von Haß und Gegensätzen geprägt ist, geht das völlig in Ordnung.
Yes
ØØØØ 1/2
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