Kino_X-Men Origins: Wolverine

Backenbart im Setzkastenkino

Hugh Jackman schlüpft ein viertes Mal in die Rolle, die ihm seinerzeit den internationalen Durchbruch einbrachte. Das vom Südafrikaner Gavin Hood ("Tsotsi") inszenierte Mutanten-Spektakel erkundet den Ursprung des Wolverine-Mythos. Doch nach einem forschen Auftakt wird´s leider bald zu einer zähen Geisterfahrt.    27.04.2009

In diesen Tagen reist nicht nur das bekannteste Raumschiff der Filmgeschichte zu seinen Anfängen zurück, sondern auch einer der populärsten Mutanten. Nach drei überaus erfolgreichen "X-Men"-Auskopplungen erhält mit dem Wolfsmenschen Wolverine nun der erste Charakter der Marvel-Reihe seinen langerwarteten Soloauftritt. Dafür ließ sich Hollywood-Star und Frauenflüsterer Hugh Jackman einmal mehr die Koteletten wachsen (oder ankleben?): "X-Men Origins: Wolverine" liefert gewissermaßen den Prolog zu Bryan Singers "X-Men"-Verfilmungen.

Zu Beginn versetzt uns Regisseur Gavin Hood in Logans/Wolverines Kindheit. Nach dem gewaltsamen Tod des Vaters ist der kleine Logan gezwungen, schnell erwachsen zu werden. Ihm zur Seite steht in dieser schweren Zeit lediglich sein Bruder Victor (Liev Schreiber), der unter dem Namen Sabretooth später Angst und Schrecken verbreiten wird. Daß Victor weder Empathie noch Skrupel zu kennen scheint, macht ihn besonders gefährlich und unberechenbar.

Wolverines Geschichte umfaßt mehr als ein Jahrhundert, den amerikanischen Bürgerkrieg, beide Weltkriege und sogar Vietnam. Während all diese Stationen im hübsch photographierten Vorspann quasi im Schnelldurchlauf abgehandelt werden, spielt der eigentliche Plot in den 70er Jahren (was sich allerdings kaum bemerkbar macht). Logan hat zu diesem Zeitpunkt längst mit seiner Vergangenheit als Mitglied der geheimen Eliteeinheit Team X gebrochen. Er lebt zurückgezogen in den kanadischen Rockies, wo er mit Kayla (Lynn Collins), seiner großen Liebe, eine glückliche Beziehung führt. Doch auch dort holt ihn die Vergangenheit eines Tages ein. Ein schwerer Schicksalsschlag läßt ihn wieder auf William Stryker (Danny Huston), seinen Boß aus alten Team-X-Zeiten, treffen. Der überredet ihn zu einer gefährlichen und gleichzeitig äußerst schmerzhaften Operation, die ihn endgültig in den furchtlosen Mutanten-Kämpfer Wolverine verwandeln soll.

 

Die Eingangssequenz gibt die Marschrichtung vor. "X-Men Origins: Wolverine" will emotional, dramatisch und gleichzeitig cool daherkommen, mit spektakulären Spezialeffekten und Aufnahmen betören. Soweit die klar erkennbare Absicht - das Resultat ist jedoch ein anderes. Der jüngste "X-Men"-Ableger übertrifft selbst Brett Rattners dritten Teil in Sachen cheesy entertainment und wirkt bei dem Versuch, große Gefühle in noch größere Gesten zu packen, nicht selten unfreiwillig komisch. Bereits in den ersten Minuten bemüht Hood den in "Team America" so wundervoll persiflierten Moment, in dem unser Held seinen ganzen Schmerz gen Himmel herausschreien darf. Im Unterschied zum respektlosen Puppentheater der "South Park"-Macher nimmt Hood selbst diese abgedroschene, eigentlich längst totgefilmte Geste jedoch sehr ernst.

Das Humorverständnis von "X-Men Origins: Wolverine" bewegt sich ohnehin auf einem überschaubaren Niveau. Wenn ein an "Fat Bastard" erinnernder Kevin Durand im Ganzkörper-Fettanzug ein T-Shirt mit der hierzu passenden Aufschrift "Save the Whales" trägt, ist das schon einer der besseren Gags. Nun erwartet sicherlich niemand eine Gag-Parade; die einfallslosen Pointen sind aber in gewisser Hinsicht doch ein Indiz dafür, daß bei dieser Produktion offenkundig einiges nicht wirklich zusammenpaßte. Liefert die Geschichte zu Beginn immerhin noch passable Action - vor allem die gemeinsamen Einsätze der Mutantentruppe verbreiten gute Laune -, büßt der Film spätestens mit Wolverines "Auferstehung" und seiner Flucht aus dem Geheimlabor geradezu dramatisch an Dynamik und Unterhaltungswert ein. Obwohl danach mit Gambit sogar ein neuer Charakter die Bühne betritt, der von den beiden Drehbuchautoren David Benioff und Skip Woods leider ziemlich verheizt wird, ist der Leerlauf kaum zu übersehen.

In wechselnden Besetzungen wird da aufeinander eingeschlagen, geschossen, geritzt, geschlitzt und geblutet. Spannend oder gar mitreißend ist das nicht. Eher sehnt man schon bald das Ende des ganzen Mutantenspektakels herbei. Doch so schnell gibt sich Hood nicht geschlagen. Immer wieder täuscht der Südafrikaner die finale Entscheidung an, nur um dann schnell einen Rückzieher zu machen und eine weitere Szene anzuhängen. So geht das ein ums andere Mal. Selbst die Überleitung zu Singers "X-Men"-Auftakt setzt Hood mit Ansage in den Sand. Ein seltsam verjüngter Patrick Stewart sammelt da seine Mutanten-Schäfchen mit bedeutungsschwerem Blick ein. Es ist der letzte schlechte Scherz eines Films, der mit seiner biederen Inszenierung alle Vorurteile an seelenloses Hollywood-Setzkastenkino bedient.

Als echten Affront muß man wohl das werten, was sich der Verleih anläßlich der wenige Tage vor Kinostart angesetzten Pressevorführungen hat einfallen lassen. Alle anwesenden Journalisten mußten sich mit ihrer Unterschrift dazu verpflichten, ihre persönliche Meinung über den Film - und damit ist keine ausformulierte Kritik gemeint - bis zu einem bestimmten Datum zurückzuhalten. Solche Sperrfristen sind nicht neu. Neu ist hingegen, daß demnach weder eine kurze Stellungnahme in einem Blog, in einem Filmforum oder in einem Microblogging-Dienst wie Twitter, ja noch nicht einmal ein Gespräch mit Freunden oder Bekannten über den Film statthaft gewesen wäre. Manch ein Kollege hat hierauf mit dem Boykott der Vorstellung reagiert. So sehr eine solche Reaktion verständlich ist, kann darin wohl kaum die Lösung des Problems liegen. Eines ist jetzt jedoch klar: Wer in dem obskuren Verhalten des Verleihs ein Indiz für die mangelnde Qualität des Films zu entdecken glaubte, sieht sich nach Ansicht von "X-Men Origins: Wolverine" bestätigt.

Marcus Wessel

X-Men Origins: Wolverine

ØØ

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USA 2009

105 Min.

Regie: Gavin Hood

Darsteller: Hugh Jackman, Liev Schreiber, Danny Huston u. a.

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