Kino_Viennale 2011/Journal III

Sturm und Zwang

Das dritte und letzte Kapitel unserer Viennale-Berichterstattung steht im Zeichen der Unruhe vor dem Sturm - und damit der beeindruckendsten Arbeit des Festivals: "Take Shelter".    07.11.2011

Für die diesjährige Viennale muß wohl das Genre des Psychokatastrophenthrillers eingeführt werden. Obgleich es mit Lars von Triers "Melancholia" und David Cronenbergs "A Dangerous Method - Eine dunkle Begierde" zu den Themenfeldern Apokalypse und/oder Geisteskrankheit prominentere Beispiele im Programm gegeben haben mag, wurden sie beide doch in einer anderen Arbeit noch um einen Zacken eindrucksvoller verarbeitet. Nicht daß man den beiden Streifen ihre unbestritten beträchtliche Qualität absprechen müßte – Jeff Nichols' Take Shelter ist aber eben schlichtweg eine Offenbarung, die einem buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzuziehen vermag.

 Die Geschichte ist so einfach erzählt wie schwer zu fassen: Kleinstadt-Bauarbeiter Curtis (Michael Shannon) wird von schlimmen Alpträumen gebeutelt. Er sieht in ihnen einen gewaltigen Sturm aufziehen und braunes Öl-Wasser vom Himmel regnen, während ihn sein eigener Hund beißwütig anfällt oder finstere Gestalten vor seinem Haus oder Auto auftauchen und ihm und seiner taubstummen sechsjährigen Tochter Böses wollen. Sind das Vorboten einer anstehenden Katastrophe? Visionen vom drohenden Ende der Welt gar? Sie werden auf jeden Fall mit jedem Mal drastischer – und scheinen bald auch in sein Tagesleben überzugreifen: Sieht die gewaltigen Vogelschwärme und die Blitze am Horizont nur er? Warum hört keiner sonst das Donnergrollen?

 Seine Frau (Jessica Chastain, grandios wie schon in ihrer ähnlichen Rolle in "The Tree Of Life") und sein Umfeld reagieren zunächst verdutzt und hilflos auf ihren nach und nach aus der Spur geratenden Mann/Freund/Arbeitskollegen, der sich zunehmend verhaltensauffällig und asozial gebärdet. Schließlich ist da ja noch Curtis' Mutter, die einst in seinem Alter (Mitte 30) wegen paranoider Schizophrenie in die geschlossene Psychiatrie mußte ... Liegen die Wahnvorstellungen letztendlich in der Familie? Curtis selbst versucht mit dem Mute der Verzweiflung und zugleich beschränkten Möglichkeiten, seine Situation zu normalisieren: mit Medikamenten und psychologischer Betreuung auf der einen Seite, und dem Bau eines Luftschutzkellers auf der anderen. Nimm Zuflucht, so oder so.

 

Es ist ein schmaler Grat zwischen Omen und Ohnmacht – und mit der nervenaufreibenden Ungewißheit des Protagonisten gräbt sich die latente Verunsicherung auch beim Zuseher immer tiefer ins Bewußtsein. "Take Shelter" raubt einem schleichend und damit umso hinterhältiger die sonst so beruhigende Überzeugung, hier "nur" einem Film beizuwohnen – und das bis weit (manche meinen: Tage) über den Nachspann hinaus.

Das ist zu gleichen Teilen ein Verdienst der so nüchtern-abgeklärten wie bildmächtigen Umsetzung von Regisseur Nichols und seines mit Schauspiel-Superlativen kaum noch einzufangenden Hauptdarstellers Michael Shannon. Der hatte ja auch schon in "Revolutionary Road" und "Boardwalk Empire" alles und jeden an die Wand gespielt – mit einem nachhaltig verstörenden Kraftakt wie diesem war aber nicht zu rechnen. Hier sollte mehr als nur die Nominierung für den Hauptdarsteller-Oscar gewiß sein.

 Man muß sich diesen rätselhaften, so um- wie aus der Bahn werfenden, tja, Psychokatastrophenthriller in seiner Wirkung letztlich wie eine dieser besonders hinterlistigen, weitschweifigen Weltuntergangs-Erzählungen Stephen Kings vorstellen: Ob der Sturm kommt oder nicht, ist irgendwann also gar nicht mehr die alles entscheidende Frage. Sondern jene, ob man die Unruhe davor unbeschadet und noch halbwegs klaren Geistes übersteht. Wie meinten einst schon Ministry? The mind is a terrible thing to taste ...

Christoph Prenner

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