Kino_The Limits Of Control

Kontrollverlust

Jim Jarmusch gilt als einer der letzten großen Independent-Filmer des amerikanischen Kinos. Doch dieser Status ist jetzt in Gefahr. Mit seinem neuen, kryptischen Road-Movie-Thriller liefert der Wahl-New-Yorker enttäuschendes Kunstkino zum Abgewöhnen.    27.05.2009

Abstrakte Kunst eröffnet eine Vielzahl von Interpretations- und Deutungsvarianten. Im Unterschied zu einer konkreten, gegenständlichen Darstellung lassen sich in die Bilder von Kandinsky oder Mondrian unzählige Themen und Motive hineininterpretieren. Mit einem Film von Jim Jarmusch verhält es sich ganz ähnlich. Waren seine früheren Werke bereits alles andere als leicht zugänglich, so schlägt der bekennende Liebhaber von Kaffee und Zigaretten mit "The Limits of Control" nochmals deutlich kryptischere Töne an. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sein Film vor allem Unverständnis, Langeweile und Gleichgültigkeit auslöst - und das vermutlich nicht zu Unrecht.

Dabei gibt sich die Geschichte anfangs noch als typisches "Schweigsamer-Auftragskiller-hat-etwas-zu-erledigen"-Szenario aus. Der schweigsame Auftragskiller (Isaach De Bankolé) hat, wie sollte es anders sein, auch bei Jarmusch keinen Namen. Als "Lone Man" wird er am Ende in den Credits aufgeführt, womit er ein weiteres Klischee über seinen Berufsstand pflichtgemäß erfüllt. Von zwei mysteriösen Gestalten erhält er am Flughafen einen nicht minder mysteriösen Auftrag: Er soll nach Spanien reisen und in einem kleinen, malerischen Ort einen Kontaktmann treffen, der ihm weitere Instruktionen erteilen wird. Bis dahin scheint die Hoffnung, aus dieser zugegeben bekannten Grundkonstellation möge sich ein cleveres Thriller-Puzzle entwickeln, zumindest nicht völlig unrealistisch. Doch mit jeder Minute, die Jarmusch nach der Ankunft in Spanien verstreichen läßt, werden die Zweifel größer.

Nach der kurzen Exposition, die uns den "Lone Man" als meditierenden, prinzipientreuen Asketen vorstellt, schaltet "The Limits of Control" vom ersten Gang umgehend in den Leerlauf. Was folgt, ist eine aufreizend langsam vorgetragene Aneinanderreihung der immer gleichen Szenen und Motive. Unser Hitman setzt sich in ein Straßencafé, bestellt zwei Espresso (in zwei separaten Tassen), wartet auf seinen nächsten Kontakt, von dem er einen kleinen Zettel erhält, den er bereits im nächsten Moment mit einem Schluck Espresso herunterspült. So geht das ein ums andere Mal. Die Gesprächspartner - die man als solche eigentlich nicht bezeichnen kann, da sie eher Monologe aufführen - wechseln, während der Rahmen der Versuchsanordnung von Jarmusch bis kurz vor Schluß um keinen Millimeter verschoben wird. Zwischen den einzelnen Treffen besucht Mr. Schweigsam gerne ein Kunstmuseum, wo er sich jedes Mal nur ein einziges Bild ansieht.

 

Die Redundanz der Ereignisse läßt "The Limits of Control" recht bald zu einer echten Geduldsprobe werden. Selbst wer mit Jarmusch und dessen Arbeiten vertraut ist, dürfte von soviel konsequent vorgetragener Langsamkeit überrascht sein. Auch schwindet mit jeder neuen Gesprächsrunde der Glaube, Jarmusch könnte am Ende doch noch eine zumindest halbwegs plausible Auflösung anzubieten haben. Hat er nämlich nicht. Stattdessen - und da sind wir wieder bei der abstrakten Kunst - mag man in seinem neuen Film alles und nichts erkennen. Immerhin wird hier ausgiebig über das Wesen der Malerei, der Musik und des Kinos philosophiert, über das ganz Große und das ganz Kleine, über das Universum und das einzelne Molekül. Ein von Jarmusch vorangestelltes Zitat des französischen Dichters Arthur Rimbaud sorgt dafür, daß man sich von der ersten Minute an schrecklich intellektuell und wichtig fühlen darf.

Als Inspiration diente Jarmusch nach eigener Aussage unter anderem John Boormans Thriller-Klassiker "Point Blank", zu dem sich in der Tat zahlreiche Querverweise rekonstruieren lassen. So geht Jarmuschs "Lone Man" bei der Umsetzung seines Racheplans ebenso kontrolliert und überlegt vor wie seinerzeit Lee Marvins betrogener Gangster. Weder Sex noch Alkohol oder gar Drogen können die beiden von ihrer im einzelnen doch sehr unterschiedlichen Mission abhalten. Auch eine bildhübsche junge Frau (Paz de la Huerta), die sich nackt auf dem Bett seiner Wohnung räkelt, stellt für den "Lone Man" keine wirkliche Versuchung dar. "No guns, no mobiles, no sex!" lautet dessen Credo der radikalen Entsagung, das er bis zum Schluß mit eiserner Disziplin verteidigt.

Nur sind die filmhistorischen Bezüge allesamt bedeutungslos, wenn das Drumherum nichts als Langeweile und Gleichgültigkeit erzeugt. Allein die schönen Aufnahmen der mediterranen Gemütlichkeit, für die kein Geringerer als Kamera-Maestro Christopher Doyle verantwortlich zeichnete, sowie die zahlreichen Gastauftritte (u. a. von Bill Murray, Gael Garcia Bernal, John Hurt, Tilda Swinton und Youki Kudoh) halten einen davon ab, das Kino vorzeitig zu verlassen. Jarmuschs somnambuler Spanien-Trip gleicht in seiner erstarrten Künstlichkeit einer selbstverliebten, prätentiösen Nabelschau, die bei allem intellektuellen Geschwurbel das Wichtigste vergißt: den Zuschauer.

Marcus Wessel

The Limits Of Control

ØØ

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USA 2009

116 Min.

Regie: Jim Jarmusch

Darsteller: Isaach De Bankolé, John Hurt, Tilda Swinton u. a.

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