Kino_My Summer Of Love

Auf dem Mofa durch die Provinz

Gewollt poetisch und dabei recht trivial ist die Geschichte zweier konträrer Teenager, die ihre Seelenverwandtschaft entdecken und den schönsten Sommer ihres Lebens erleben.    01.07.2005

In Zeiten von zweieinhalbstündigen langatmigen Epen wie "Königreich der Himmel" oder "Alexander" ist es ja schon vielversprechend, wenn ein Film nicht einmal 90 Minuten dauert. Daß sich aber auch 86 Minuten wie Kaugummi ziehen können, beweist das Pubertätsdrama "My Summer of Love".

Die Story klingt wie eine Neuauflage von Peter Jacksons "Heavenly Creatures". Eines Sommers lernen sich die Teenager Mona (Natalie Press) und Tamsin (Emily Blunt) kennen und basteln sich zusammen eine Traumwelt, in der für andere kein Platz ist. Schon ihre erste Begegnung mutet an wie ein Traum. Die mit ihrem trostlosen Dasein in der Provinz frustrierte Mona liegt verschlafen im Gras, als plötzlich Tamsin, hoch zu Roß auf einem Schimmel, über ihr auftaucht. Die rettende Prinzessin ist da, sozusagen, um Mona in ein neues, besseres Leben zu entführen.

Und in der Tat stammt Tamsin aus einer komplett anderen Welt als die Waise Mona, die mit ihrem Bruder Phil (Paddy Considine) über einem abgewrackten Pub lebt. Die neue Freundin ist aus reichem Haus, zitiert mit Vorliebe Freud und Nietzsche, und ist – was Mona besonders beeindruckt – gerade aus einem teuren Internat geschmissen worden, wegen ihres schlechten Einflusses auf andere. Im Laufe des heißen, flirrenden Sommers werden die beiden unzertrennlich. Sie berauschen sich mit Rotwein und Magic Mushrooms, fahren mit Monas Mofa über die verstaubten Straßen Yorkshires, üben Rache an diversen Männern - und schwören sich, für immer zusammenzubleiben. Doch mit dem Ende des Sommers kommt die bittere Ernüchterung, daß nichts ewig währen kann.

 

Das von der Britischen Filmakademie zum Besten Britischen Film 2005 gekürte Drama setzt nicht auf große Gesten, sondern auf leise Töne und bleibt stets – wie heißt es immer so schön – "dicht an den Hauptfiguren". So darf der Zuschauer in endlosen Einstellungen betrachten, wie die Haare der Freundinnen unbändig im Mofa-Fahrtwind flattern, wie die beiden eng beieinander im Bett, auf der Wiese, auf dem Tennisplatz liegen, umschmeichelt von einem einlullenden Soundtrack der britischen Popformation Goldfrapp. Solche Bilder sollen ganz offensichtlich Poesie erzeugen, wirken aber bereits nach kurzer Zeit einfach nur abgedroschen.

Entsprechend klischeehaft ist auch die Gestaltung der Charaktere. Mona, die naive Landpomeranze, ist als Arbeiterklassemädel zwar ungebildet, aber dafür tatkräftig und treu. Die weltgewandte, schicke Tamsin gibt sich tiefsinnig und rebellisch, ist aber letztlich selbstverständlich schwächer als Mona und braucht diese zum Handeln. Eine "klassische Konstellation, wie man sie oft auch bei Mann und Frau findet", kommentiert Regisseur Pawlikowski die Beziehung zwischen seinen Hauptfiguren. Als gewisse Steigerung sind die männlichen Nebencharaktere dann schon keine Klischees mehr, sondern eher Karikaturen – allen voran Monas Bruder Phil, der sich vom kleinkriminellen Schläger zum wiedergeborenen Christen und wieder zurück wandelt. Und so nötigt es auch nicht mehr als ein gleichgültiges Achselzucken ab, wenn am Ende des langen heißen Sommers vorhersehbarerweise herauskommt, daß für eine der beiden Freundinnen die ganze Episode nur ein Spiel war, während für die zweite fast die Welt zusammenbricht.

Anne Herskind

My Summer of Love

ØØ


GB 2004

86 Min.

dt. und engl. OF

Regie: Pawel Pawlikowski

Darsteller: Natalie Press, Emily Blunt, Paddy Considine u. a.

 

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