Kino_Mein Russland

Gartenzwerge in Wodka ersäufen

Nach dem Öffnen der Ostblockgrenzen war es plötzlich da: das Wunderland für kritische Filmemacher, die jetzt auch auf der Leinwand ihren ganz privaten "Culture Clash" inszenieren und mit eigenen Vorurteilen gegen die verachtete Mentalität ihrer Mitmenschen vorgehen dürfen.    05.12.2002

Margit wohnt mit ihrem Lebensgefährten in einer schmucken Villa an der Wiener Peripherie. Sie ist wohlhabend, spießig und gekennzeichnet von einem Mangel an Selbstreflexion - also völlig normal. Doch ihr Alltag soll gehörig aus den Angeln gehoben werden: Ihr Sohn wird eine Russin heiraten, die er in der Table-Dance-Bar kennengelernt hat und die einen unehelichen Sohn hat. Zur Hochzeit reist die gesamte Familie der Braut inklusive des unehelichen Sohns aus der Ukraine an. Im Rahmen des Aufeinanderprallens der Mentalitäten kommt es zu gehörigen Spannungen. Margit droht, die Kontrolle zu verlieren - über ihren Sohn, über ihre Gefühlswelt, über ihre persönliche Lebensplanung für sich und ihre Liebsten. Das kann sie nicht zulassen, und daher schreckt sie auch vor drastischen Mitteln nicht zurück.

Barbara Gräftner, ausgebildete Ärztin und Filmemacherin aus Leidenschaft, hat mit ihrem nahezu gänzlich ohne Fördermittel produzierten Spielfilmdebüt (im "Dogme 95"-Stil) einen unerwarteten Sieg auf mehreren Ebenen davongetragen. Der Film wurde zwar lange vorbereitet, aber in nicht einmal zwei Wochen gedreht - mit so gut wie keinem Budget. In Saarbrücken gewann er prompt den Max-Ophüls-Preis. Er ist ein absolut perfektes Lehrbeispiel für unabhängiges Filmemachen in einem Land, wo Politik darüber entscheidet, welche Stoffe auf die Leinwand oder ins Fernsehen finden dürfen. Er ist zutiefst persönlich und so wahrhaftig, daß einem immer wieder das Lachen im Hals steckenbleibt.

Klaus Hübner

Mein Russland

ØØØØ


Ö 2002

125 Min.
dt. OF
Regie: Barbara Gräftner
Darsteller: Natalia Baranova, Ivan Buzinsiki, Hannes Gastinger u. a.

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