Kino_It´s A Free World ...

Arbeit nervt

Regisseur Ken Loach läßt die Schauspieler in seinen Filmen improvisieren - und kommt damit dem Alltag der Zuseherschaft sehr nahe. Schließlich geht es heute vielen Menschen so wie der Protagonistin seines neuen Films, die in blindem Aktionismus ums Überleben kämpft.    15.12.2008

Angie (Kierston Wareing) ist knapp über 30, kommt aus dem Londoner Arbeitermilieu und verliert einen beschissenen Assistentinnen-Job nach dem anderen. Und das, obwohl die Alleinerzieherin (die ihr Sorgerecht vorübergehend an die Großeltern weitergegeben hat) die Leiharbeitsbranche wie ihre Jackentasche kennt und alles hat, was man braucht, um darin zu bestehen: Know-how, Biß und vor allem keine lästigen moralischen Skrupel.

Als die Wasserstoffblondine wieder einmal gekündigt wird, überlegt sie nicht lange, besichtigt den Hinterhof ihres Lieblingscafés, der die "ideale Lage" für ihr Vorhaben hat, und beschließt: Genau hier wird sie Leiharbeiter anwerben und zu McJobs verhelfen. Sie überredet also ihre Mitbewohnerin Rose (Juliet Ellis), mit ihr "Angie und Rose Recruitement" zu gründen. Während Rose am idyllischen Regenbogen-Logo bastelt, schwingt sich Angie auf ihr Motorrad und geht auf Kundenfang. Sie überzeugt Textilfabrikbosse und Baustellenleiter von der Tatkraft ihrer Leiharbeiter und zieht mit ihrer direkten Art und dem gezielt eingesetzten Augenaufschlag tatsächlich Kunden an Land. Die Arbeiter muß sie zwar noch rekrutieren, aber: "Migranten machen alles." Schon am nächsten Morgen vermittelt sie ehemalige Ärzte aus der Ukraine als Hilfsarbeiter und macht Lehrerinnen aus Polen mit Fließbandarbeit vertraut. Daß ihre Firma nicht angemeldet ist und die "steuerlichen Abgaben" für ein eigenes Büro eingeheimst werden, bleibt ihr kleines Betriebsgeheimnis. Und von Mindestlöhnen haben Migranten sowieso keine Ahnung.

Angie ist eine höchst ambivalente Figur: Während sie einmal Mutter Teresa spielt und einer untergetauchten Familie Unterschlupf bietet, schwärzt sie ein andermal ein Container-Dorf voll Illegaler (zu denen unter anderen besagte Familie gehört) bei der Polizei an. Rose sieht lange untätig zu, bis sie sich mit einem verächtlichen "I just don´t know you anymore" von ihrer Freundin abwendet. Angie treibt es mit ihrem skrupellosen Unternehmertum immer weiter auf die Spitze; sie vermittelt mittlerweile auch Arbeiter ohne Papiere und kann aufgrund geplatzter Schecks selbst Dumping-Löhne nicht mehr ausbezahlen. Die Leute aus der eigenen Tasche zu zahlen, kommt allerdings nicht in Frage: Je mehr Geld sie einnimmt, desto gieriger wird Angie. Ihr Vater beäugt die Machenschaften seiner Tochter kritisch - doch Angie will sich keine Schuld eingestehen, schließlich ist sie nur Teil des Systems ...

 

Der britische Regisseur Ken Loach enthielt - wie in seinen früheren Werken - den Hauptdarstellern bis zur letzten Minute den Plot von "It´s A Free World ..." vor. Die Rolle der Angie war also keine leichte Aufgabe, doch Kierston Wareing meistert sie gekonnt. Vielleicht kennt sie ja das Gefühl, auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt wie Dreck behandelt zu werden. Die Schauspielerin verbrachte die vergangenen zehn Jahre nämlich im Leerlauf und war ewige Endrunden- und doch "Leider nein"-Kandidatin bei Castings. Als sie die Zusage für den Loach-Part bekam, war sie gerade dabei, den Schauspieltraum an den Nagel zu hängen und sich zur Sekretärin ausbilden zu lassen.

Loach beschäftigt sich in seinem neuen Film aus der Mikro-Perspektive mit dem deregulierten Arbeitsmarkt und der Ausbeutung ausländischer Arbeiter. Die sympathische, fesche Angie versucht ja nur, ihr kaputtes Leben mit allen Mitteln zu kitten, damit sie eines Tages ohne Geldsorgen mit ihrem Sohn zusammenleben kann. Oder ist sie vielleicht doch eine Ausgeburt des Turbokapitalismus?

Loach überläßt die Beantwortung dieser Frage dem Zuseher und zeigt (wie bereits in "Riff Raff", "Mein Name ist Joe" und "Just a Kiss") ohne moralischen Zeigefinger aktuelle soziale Mißstände auf. Der Regisseur erzählt die Geschichte flott und flüssig, mit witzigen Dialogen und einer äußerst begabten Hauptdarstellerin. "It´s A Free World ..." ist sozusagen Unterhaltung mit Mehrwert.

Bettina Figl

It´s A Free World ...

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

GB/I/D/Spanien 2007

92 Min.

Regie: Ken Loach

Darsteller: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek u. a.

 

Links:

Kommentare_

Kino
Coraline

Tausche Familie

Henry Selicks neues Puppentrick-Märchen rund um die Abenteuer eines blauhaarigen Mädchens kommt in ähnlich schaurig-schönen Bildern wie sein früheres Meisterwerk "The Nightmare Before Christmas" daher. Die Neil-Gaiman-Adaption ist dabei zum düsteren Fantasy-Streifen mit enormem Spannungs- und Grusel-Potential geraten.  

Kino
It´s A Free World ...

Arbeit nervt

Regisseur Ken Loach läßt die Schauspieler in seinen Filmen improvisieren - und kommt damit dem Alltag der Zuseherschaft sehr nahe. Schließlich geht es heute vielen Menschen so wie der Protagonistin seines neuen Films, die in blindem Aktionismus ums Überleben kämpft.  

Kino
WALL-E

Mensch-Maschine

Der letzte auf dem Planeten Erde zurückgelassene Müllsortier-Roboter sehnt sich nach ein wenig Zweisamkeit. Da kommt ihm die futuristische Roboterdame EVE gerade zupaß - und er folgt ihr verliebt in ihr Mutterschiff. So wird er in ein Abenteuer im Universum verwickelt, in dem er die Rückkehr der Menschheit auf den Planeten Erde sicherstellen muß.  

Print
Karin Duve - Taxi

Mit "Zwodoppelvier" zur Reeperbahn

Eine Taxifahrerin in Hamburg - das war in den 80er Jahren noch etwas Besonderes. Diese Autorin war so eine Rarität und saß 13 Jahre lang am Steuer von Wagen 244. Nun beschreibt sie in Romanform ihren Arbeitsalltag vor der Karriere als Schriftstellerin. Die abstrus-kuriosen Anekdoten lesen sich spannender und witziger, als man glauben möchte.  

Kino
Die Girls von St. Trinian

Anarchy in the UK

Chaos im britischen Mädcheninternat - unorthodoxe Erziehungsmethoden sind dort gang und gäbe. Doch die Schule steht kurz vor dem Bankrott, also hecken die widerspenstigen Gören einen Plan aus, um die Schließung des Instituts in letzter Sekunde zu verhindern.  

Kino
Wanted

From Zero to Hero

Wenn einen Angelina Jolie an die Kandare nimmt, wird man selbst als Waschlappen zum knallharten Auftragskiller. Daran glaubt man spätestens nach diesem Action-Spektakel, das eher an ein Computerspiel als an eine Comic-Verfilmung gemahnt.