A History of Violence
ØØØØØ
USA/Kanada 2005
96 Min.
dt. und engl. OF
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Viggo Mortensen, Maria Bello, William Hurt, Ed Harris u. a.
David Cronenberg zeigt aufs Neue, was in ihm steckt, und garniert eine vermeintlich geradlinige Gangstergeschichte mit irritierenden Reflexionen zum Thema Gewalt. 20.10.2005
Neulich im Kinofoyer: Ein Kritiker-Kollege ärgert sich schwarz, daß er vor ein paar Wochen die einzige Pressevorführung zu "A History of Violence" verpaßt hat: Die Story habe so öd geklungen, Viggo Mortensen auf Rachefeldzug … da habe er die Presseeinladung gleich weggeworfen, ohne zu wissen, daß das der neue Cronenberg sei - zu blöd. In der Tat, aber wer rechnet auch mit so was. Da dreht der Meister bizarrer Psychostudien ("Crash", "Spider") allem Anschein nach plötzlich einen ganz konventionellen Thriller!
Also: Der brave Familienvater Tom (Viggo Mortensen), der in einer idyllischen Kleinstadt lebt, wird eines Tages mit seiner gewalttätigen Vergangenheit konfrontiert, als zwei Gangster seinen Coffeeshop überfallen. Zwar macht er den beiden ebenso schnell wie effizient den Garaus, doch dadurch avanciert er zum Medienstar, was wiederum andere Gangster (u. a. Ed Harris) auf den Plan ruft, die behaupten, noch eine alte Rechnung mit ihm offen zu haben. Um sich und seine Familie zu schützen, entschließt sich Tom zur gewaltsamen Gegenwehr.
Eine 08/15-Geschichte eigentlich. Und auf den ersten Blick könnte der Gegensatz zwischen "A History of Violence" zu Cronenbergs letztem Film "Spider" größer nicht sein. Während da eine düster-klaustrophobische Stimmung herrschte und der Protagonist ein völlig von der Außenwelt isoliertes Dasein fristete, ist Toms Umgebung die sonnige Kleinstadt Millbrook/Indiana, wo er in das gesellschaftliche Leben perfekt eingebunden ist und eine Bilderbuchehe führt. Doch ebenso wie der traumatisierte Spider kann auch Tom seine verdrängte Vergangenheit auf Dauer nicht unterdrücken, und so wird er zunehmend in die Enge getrieben – sowohl von den Gangstern, als auch von den gesetzestreuen Bürgern in seiner Stadt. Gewalt ist der einzige Ausweg, den er sieht, um seine heile Welt wiederzuerlangen.
Doch daß die scheinbare Kleinstadtidylle genauso unnatürlich und aufgesetzt ist wie seine eigene Identität, zeigt sich überdeutlich an den Erlebnissen seines Teenie-Sohns in der Highschool, wo dieser wegen seiner friedfertigen Haltung von Mitschülern permanent gemobbt wird. Respekt kann sich Sohnemann erst verschaffen, als er in die Fußstapfen seines Papas tritt und ebenfalls das Faustrecht walten läßt. Gewalt, so wird deutlich, ist also nichts, was von außen die (amerikanische) Gesellschaft bedroht, sondern sie ist immer schon da und sucht sich nur geeignete Ventile. Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenfalls, daß Toms Frau Edie (Maria Bello) offensichtlich zunehmend fasziniert ist von der neuen Seite ihres Mannes, was sich dann unter anderem in einer rabiaten Sexszene entlädt.
Und wie Edie geht es auch dem Zuschauer. Tom hat mit Blutspritzern im Gesicht und Knarre in der Hand plötzlich ungleich mehr Charisma als der biedere Familienvater zuvor. Ja, er scheint sogar wie aus einem lähmenden Traum aufzuwachen und sein wahres Wesen zu entdecken, wenn er um sich schießt. Daß er seine Familie schützen will, kommt einem dabei letztlich nur als Maskierung, Alibi vor. Wer gerne politische Allegorien sucht, kann dies auch ohne weiteres zum Verhalten der Vereinigten Staaten als Weltpolizei in Beziehung setzen. Klar ist jedenfalls: Gewalt ist allgegenwärtig, und, das ist das Verstörendste, sie bietet oft tatsächlich einen Ausweg. Und mit der kann Toms Familie trotz Belastungsproben letztlich ebenso leben wie der Zuschauer, der fasziniert die Gewaltausbrüche des vermeintlich braven Bürgers betrachtet.
Dies wird ihm natürlich umso mehr dadurch erleichtert, daß dieser Film im Gegensatz zu anderen, eher sperrigen Cronenberg-Werken sehr leicht zu konsumieren ist. Denn was wir hier vor uns haben, ist tatsächlich ein handwerklich perfekt gemachter Thriller, gespickt mit hervorragend agierenden Hollywood-Stars und begleitet von einem Score von "Herr der Ringe"-Komponist Howard Shore. Daß dies aber nicht gleichbedeutend sein muß mit dumpfer Mainstream-Berieselung, hat Cronenberg hier meisterlich bewiesen. Dies ist definitiv einer der wenigen Filme des Jahres, bei denen man nach Ende des Abspanns am liebsten im Kino sitzen bleiben und sich das Ganze noch mal von vorne anschauen möchte.
A History of Violence
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