Games_Watch_Dogs

Grand Theft Data

An jeder Ecke hängen Kameras, die Passanten filmen; unsere Smartphones geben alle Daten und Bewegungsprofile an Herstellerfirmen weiter; die NSA überwacht unsere Gespräche, Mails und Kurznachrichten. Wer das Überwachungssystem kontrolliert, kontrolliert die Welt ... und in diesem Game auch seine Mitmenschen.    10.07.2014

Ubisoft schoß sich ein Eigentor. Die aufwendige und lang andauernde Promophase für "Watch_Dogs" schürte immense Erwartungen, die von vornherein kaum zu erfüllen waren. Das fertige Produkt schafft dies auch nicht. Es ist aber dennoch ein liebevoll gestaltetes Sandbox-Game, das mit einigen Überraschungen aufwartet.

Zur Handlung: Chicago, die nahe Zukunft. Die gesamte Stadt ist vernetzt. Infrastruktur, Kommunikation und Dienstleistungen werden über ein omnipotentes Betriebssystem abgewickelt: das ctOS (City Operating System). Das sammelt außerdem munter Daten über sämtliche Einwohner. Kurzum: Wer ctOS kontrolliert, kontrolliert Chicago. Doch ein Mann hat dieses Machtmonopol der Stadtverwaltung gebrochen. Sein Name ist Aiden Pearce, seine Mission ist Rache, und seine Waffe ist ein Smartphone.

Die Story ist eine Stärke des Titels, daher möchten wir uns hier kurz fassen. Aiden ist ein formidabler Hacker, den seine Fähigkeiten gern mal zum Spiel mit dem Feuer veranlassen. Eines Tages wird dabei jemand verbrannt. Der folgende Rachefeldzug ist nur der Auftakt eines dramatischen und wendungsreichen Epos. Dabei lebt die Geschichte von den Charakteren. Sie wirken menschlich, handeln nachvollziehbar und wachsen dem Spieler unweigerlich ans Herz. Da wäre etwa die liebevolle, besorgte Schwester. Oder der ehemalige Partner, von Gram und Frust zerfressen. Oder die Verbündete, die zwar helfen möchte, mit den brutalen Ereignissen jedoch emotional überfordert ist. Vielfalt und Tiefgang - bravo!

Erzählt wird das Ganze in klassischen Missionen. Einmal muß Aiden ein Gebäude infiltrieren, ein andermal eine Person in einer Menge ausfindig machen oder auch einem Unhold den Garaus machen. Eskortmissionen und Verfolgungsjagden gehören auch dazu. So weit, so gewohnt. Spannend wird´s dann aber dank Aidens Methoden: Per Knopfdruck werden Sicherheitskameras zu seinen Augen. Dank Profiler-Funktion erkennt er, daß eine der Wachen unter Paranoia leidet - Vorratsdatenspeicherung macht´s möglich. Schwupps, eine SMS mit Morddrohung unter unbekannter Nummer versandt. Während der Mann schweißgebadet auf sein Handy starrt, schleicht sich Aiden ungesehen an ihm vorbei.

Alternativ könnte er den Wachleuten auch ohrenbetäubenden Lärm durch den Helmfunk jagen, ihre elektronisch gesteuerten Granaten zum Explodieren bringen oder sie einfach durch gezielte Ablenkungen wie beispielsweise laute Hebebühnen vom Posten locken. Wer gern schleicht, kann hier richtig kreativ werden. Im Nahkampf lassen sich Feinde dann auch lautlos ausschalten. Außerdem ist es möglich, Gadgets wie Bomben oder Störsender aus Einzelteilen zu basteln. Schießwütige Naturen kommen dank reichhaltigem Waffenarsenal ebenfalls auf ihre Kosten. Die Schußwechsel sind jedoch wenig aufregend: Deckung suchen, raus, ballern, Granate, ballern, Mission geschafft. Da macht es weit mehr Spaß, aus den Schatten heraus mittels Fernzünder und Kameranetzwerk gezielte Hinterhalte zu legen. Das ist meist herausfordernder, aber gerade deswegen befriedigender.

 

Sandbox-Gameplay, Autos, Feuergefechte ... Der Vergleich mit "GTA" liegt auf der Hand. Doch den muß "Watch_Dogs" nicht scheuen. Gerade im Design der Spielwelt läßt Ubisoft Montreal die Muskeln spielen. Chicago lebt. Es ist mehr als nur ein schick gestalteter Rahmen für die Ereignisse rund um Mr. Pearce. Denn ctOS ist allgegenwärtig. Dank dem schon erwähnten Profiler kann der Spieler Informationen über jeden einzelnen Passanten abrufen. Hier geht Marcus Brogan, hohes Einkommen, noch höhere Spielschulden. Da vorne die Maklerin Ashley Cable. Wir könnten ihr Konto hacken und uns ein hübsches Sümmchen abzwicken, doch sie kämpft sich gerade durch einen harten Scheidungsprozeß. Sollen wir? Plötzlich schlägt das System Alarm. Ganz in der Nähe wurde ein Verbrechen gemeldet. Wir eilen hin, erblicken den fliehenden Dieb, zielen - und sehen, daß er einen behinderten Sohn hat.

Solche Entscheidungen wirken sich nicht auf das Spiel aus. Es geht nur um den moralischen Kompaß des Spielers, und es bleibt jedem überlassen, wie sehr er sich darauf einlassen möchte. Auf jeden Fall gewinnt "Watch_Dogs" durch derartige Details ungemein an Atmosphäre. Neben den alltäglichen Heldentaten gibt´s noch jede Menge zu tun. Sammelaufgaben, Informationsbeschaffung, Fahrmissionen. Die Hauptstory ist zwar nach gut 30 Stunden durch, doch wer wirklich alles sehen will, kommt auf seine Kosten.

Besonders cool sind die Online-Aufträge. Sobald der Spieler frei in Chicago herumschlendert, kann er von anderen Spielern herausgefordert werden. Sollte er annehmen, geht es direkt ins Geschehen. Neben einer CtF-Variante und klassischen Wettrennen sind besonders die "Mobile Challenges" sowie die Hackerjagden interessant. Bei ersteren muß der Spieler per Auto Wegpunkte abfahren, während ein anderer User ihn daran hindern soll. Er hat dazu das ctOS mitsamt Ampeln, Brücken etc. sowie die Polizei unter seiner Kontrolle.

Beim Online-Hacking steigt ein User ins Spiel eines anderen ein und versucht, seine Daten zu stehlen. Dazu muß er sich eine gewisse Zeit lang im Umfeld des anderen aufhalten. Der Clou: Für die User sieht der jeweils andere Hacker wie ein normaler Passant aus. Das Ergebnis ist ein hochspannendes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem beide Spieler taktisch klug agieren müssen.

 

"Watch_Dogs" leidet allerdings unter einem klassischen Problem der zeitgenössischen AAA-Games. Es spielt sich teilweise selbst. Dabei erinnert es frappierend an Ubisofts Flaggschiff "Assassins Creed". Durch das simple Halten zweier Knöpfe klettert und springt Aiden im "Freerun"-Modus durch die Umwelt. Der Nahkampf besteht aus einem kurzen Tastendruck, der den Feind stets auf die Bretter schickt. Und bei Verfolgungsjagden gibt das Spiel den korrekten Zeitpunkt zum Auslösen der Hacking-Fallen vor. Drück den Knopf, wenn das Symbol aufleuchtet. Action wird zum Quicktime-Event, der Spieler verkommt eher zum Zuseher. Klar, es sieht meistens bombastisch aus, wie Aiden geschmeidig animiert Wachleute ausknipst oder Autos per gesprengtem Dampfrohr durch die Luft jagt. Aber wir haben uns ein Spiel gekauft, keinen Film.

Am Ende liegt es am Spieler, wieviel Spaß er mit "Watch_Dogs" hat. Auf die dichte Atmosphäre des Titels muß man sich einlassen, und die Herausforderungen stellt sich der Spieler am besten selbst. Wie bei einem Smartphone liegt es hier ganz am Nutzer, wieviel er aus den Funktionen herausholt.

 

Philipp Grüll

Watch_Dogs

ØØØØ

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(Ubisoft Montreal)

Erhältlich für: PC, WiiU, PS4, PS3, Xbox One, Xbox 360

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