Games_The Witcher

Hexersabbat

Polen beherbergt - ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung - nicht nur professionelle "Autoborger", sondern auch viele kreative Menschen. Das stellt das kleine Entwicklerstudio CD Projekt mit seinem filmreifen Rollenspiel eindrucksvoll unter Beweis.    19.11.2007

Sein Name ist Geralt, Geralt von Rivia - und von Beruf ist er Monsterjäger. Geralt, der "Witcher", zählt zu den letzten seiner Art und wird von den Menschen in seiner Umgebung gleichzeitig verehrt und gefürchtet. Witcher verdanken ihre übermenschlichen Fähigkeiten - wie schnellere Reflexe, außergewöhnliche Stärke und Intelligenz - einer harten Schule, die vor allem auf genetischen Manipulationen mit Hilfe alchemistischer Tränke fußt. Geralt gehört zu den wenigen, die diese Ausbildung überlebt haben. Nicht jeder, der sich zum Witcher berufen fühlt, übersteht die erste Phase der Mutation. Wer jedoch allen Widrigkeiten zum Trotz am Leben festhält, wird zwar zum Fantasy-Superhelden, muß aber gleichzeitig einen hohen Preis dafür bezahlen. Witcher erledigen nämlich nicht nur die Drecksarbeit für die "braven" Bürger, sondern sind obendrein auch noch unfruchtbar. Deshalb ist die Kaste der "amoralischen Beschützer" langsam, aber sicher dem Untergang geweiht.

In einem filmreifen Intro wird der Protagonist dem Spieler vorgestellt. Ein alter Freund findet den Helden des Spiels nach einem Kampf schwerverletzt und bringt ihn nach Kaer Morhen, einer der letzten Bastionen der Krieger-Magier-Kaste. Die Festung wird kurz nach seiner körperlichen Genesung von einem Geheimbund angegriffen, der auf die Geheimnisse der Hexer - ihre mysteriösen, genmanipulierenden Tränke - aus ist. Geralt stellt sich mit seinen Kameraden dem Kampf, kann aber nicht verhindern, daß die kostbaren Reagenzien aus dem Labor der Witcher gestohlen werden. In den falschen Händen können solch mächtige Mittelchen großes Unheil anrichten. Nach einigen kleineren Quests und dem ersten (von vielen) amourösen Abenteuern begibt sich der Held mit den schlohweißen Haaren auf die Suche nach den Angreifern und gleichzeitig auch nach sich selbst, da er wegen seiner Verletzungen das Gedächtnis verloren hat. Sein Weg führt ihn mitten in einen beginnenden Krieg, bei dem er für eine Seite Partei ergreifen muß.

 

Dieses Szenario ist der Auftakt für ein Game, das im Rollenspielbereich seinesgleichen vergebens sucht. Die Entwickler des jungen polnischen Studios CD Projekt haben mit "The Witcher" ein Spiel erschaffen, das bis vor kurzem noch als Geheimtip gehandelt wurde und innerhalb kürzester Zeit den Weg in den Olymp der RPGs gefunden hat. Allein die fremdartige Spielwelt (die unserer in manch erschreckender Weise gleicht) wurde schon mit derart viel Liebe zum Detail erschaffen, daß man als Spieler nicht anders kann, als sich dort sofort wohlzufühlen. Schwärme von Gänsen weichen den Schritten des Helden schnatternd aus, wilde Hunde beschnuppern ihn neugierig, Füchse huschen verschreckt in ihre Bauten, und überall sind Gespräche im Gange. Kurzum: Es ist eine sehr lebendige Welt. Das geht sogar soweit, daß das gemeine Volk bei einem plötzlichen Regenguß schnell einen Unterstand sucht und dann nichts Besseres zu tun hat, als über das Sauwetter zu schimpfen. Und wenn man als Hexer Geralt bei Sonnenaufgang durch die sich im Wind wiegenden Kornfelder wandert und die Vögel erschreckt davonfliegen, taucht man wirklich in ein virtuelles Universum ein.

Doch bei aller Liebe zum Detail ist es nicht die Graphik, die einen dazu verleitet, sich in Rivia verlieren zu wollen - sondern vielmehr die verschiedenen Charaktere, die der Spieler im Lauf der fast 80stündigen Kampagne kennen und teilweise (vor allem die weibliche Bevölkerung) lieben lernt. In "The Witcher" fliegen keine buntgestreiften und gutgelaunten Elfen durch die Büsche, wie es in so manch anderem Fantasy-Game der Fall ist. Vielmehr stinkt das ganze Land nach Korruption, Intrigen und Pest, wobei sogar der Sex in all seinen Varianten - vom zärtlichen Liebesspiel bis hin zur versuchten Vergewaltigung - allgegenwärtig ist. Vor allem in den Slums ist die Sprache eine dreckige, da die Gedanken der armen Bevölkerung ständig um Alkohol, Sex und Gewalt kreisen. Deftige Einzeiler wie "Your mom sucks dwarven cocks" oder "I fucked a she-elf once" machen das besonders deutlich.

 

"The Witcher" ist eindeutig ein Spiel, das sich an Erwachsene wendet. In Rivia gibt es keine klare Trennung zwischen gut und böse, richtig und falsch. Oft muß der Spieler einfach seiner Intuition folgen und schwerwiegende Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen erst viel später klar werden. So wird in einem Dorf beispielsweise die dort ansässige Kräuterhexe dafür verantwortlich gemacht, daß die Bevölkerung von einem Höllenhund terrorisiert wird. Ergreift der Spieler Partei für die (verführerische) Hexe, so wird er zwar mit körperlichen Freuden belohnt - die Konsequenz ist jedoch, daß durch seine Hand das gesamte Dorf mit Stumpf und Stiel ausgerottet wird. Das Spiel wertet dies weder als gute noch als böse Tat, sondern verfährt vielmehr nach dem Prinzip "Es ist, wie es ist - basta!" An einer anderen Stelle im Spiel wird Geralt von seiner Liebsten des Hauses verwiesen. Daraufhin geht er sich mit Freunden betrinken und torkelt dann sturzbesoffen ins nächste Hurenhaus, nur um nach vollbrachter "Arbeit" wieder zu Frau und Kind zurückzukehren. Wie heißt es doch so schön - das Leben ist ein Spiel. Auf "The Witcher" trifft das ganz bestimmt zu.

Einziger Kritikpunkt sind die langen Ladezeiten, die aber jedem, der schon einmal "Neverwinter Nights" gespielt hat, bekannt vorkommen werden. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da es sich bei der Graphik-Engine von "The Witcher" um eine aufgebohrte Version der "Aurora"-Technik handelt, die schon bei "NWN 1 & 2" Verwendung gefunden hat. Ansonsten ist das Game (nahezu) perfekt - vor allem, wenn man sich für die englische Version entscheidet (was jedem empfohlen sei, der dieser Sprache mächtig ist). Das deutsche Geplapper ist zeitweise nicht auszuhalten, vor allem, weil die Stimme des deutschen Sprechers so gar nicht zum Charakter des Protagonisten passen will.

In "The Witcher" wurde die vom polnischen Erfolgsautor Andrzej Sapkowski kreierte Welt glänzend zum Leben erweckt, wodurch das beste Rollenspiel seit "Baldur´s Gate" und "Planescape: Torment" entstanden ist. Neben der Story und Atmosphäre von Ataris neuestem Streich verblassen sogar Spiele wie "Gothic 1-3", "Morrowind" und sogar "Oblivion".

Ein absoluter Pflichtkauf!

Dragan Andjelkovic

The Witcher

ØØØØØ

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(CD Projekt/Atari)

 

erhältlich für: PC

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